Nach einem Städtetag in Daegu zieht es uns wieder raus in die freie Natur. Die Fahrt führt uns in den Nationalpark Gayasan. Der Gayasan befindet sich westlich von Daegu und gehört neben dem Seoraksan zu den spektakulärsten Nationalparks von Südkorea. Die kürzeste Strecke dorthin verläuft über Seongju zum kleinen Dorf Baegun-ri. Ab dort wäre zum Beispiel eine Bergtour möglich. Wir sind uns unschlüssig, ob wir eine Wanderung unternehmen sollen oder nicht? Auf jeden Fall aber wollen wir den Haeinsa Tempel besuchen. Dieser sowie die dort beherbergte Tripitaka Koreana sind auf der UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Zudem gilt der Haeinsa als einer der schönsten Tempel des Landes, weshalb wir den Ausflug mit diesem beginnen wollen.
Wir entscheiden uns also für die südliche Anfahrt über Goryeong und stehen nach 55 Kilometern vor dem Parkeingang. Für die Einfahrt mit dem Auto sind 5000 Won zu bezahlen. Zweieinhalb Kilometer nach dem Tor erreichen wir den Zugang zum Haeinsa Tempel. Geparkt wird 300 Meter weiter bei einem kleinen Dorf. Der UNESCO-Status des Tempels ist offensichtlich. Anders als im ruhigen Odaesan Nationalpark, ist der Parkplatz für viele Autos und Busse ausgebaut. Durch unsere Ankunft am frühen Vormittag sind wir jedoch die ersten. Hoffen wir mal auf einen moderaten Andrang.
Beim Zugang zum Haeinsa Tempel befindet sich eine Einkaufshalle, welche allerdings ziemlich herabgewirtschaftet wirkt. Ein Großteil der Läden ist geschlossen und dient offensichtlich nur noch als Lager. Womöglich waren die Ladenmieten so hoch, dass sich die Marktverkäufer lieber mit ihren Ständen an die nahe Straße aufgereiht haben. So spazieren wir an Früchte- und Gemüseständen vorbei und haben schon bald die Hände voll mit leckerem Trockenobst. Kurz darauf passieren wir das Haeinsa Museum, lassen es bei strahlendem Sonnenschein jedoch zunächst links liegen. Das Wetter ist einfach zu schön für Museumsbesuche.
Einen Steinwurf weiter führt ein Waldpfad über einen Bach und hinauf zum Haeinsa Tempel. Nach anderthalb Kilometer Fußmarsch ab dem Parkplatz erreichen wir den Stelenpark. Vor Ort treffen wir eine alte Bekannte, die Schildkröte, welche auch hier eine große Last auf ihrem Rücken trägt. Bunte Fahnen und Lampions zieren fortan den Treppenweg zum Schrein Guksadan. Die Göttin Guksa Daesin wacht über den Haeinsa Tempel. Laut dem Volksglauben bringt sie Segen und erleuchtet alle Lebewesen. Zumindest aber verhindert sie jegliches Unglück in Haeinsa. Somit ist klar, warum sich ihr Schrein am Eingang des Haeinsa Tempels befindet.
Als wir den Innenhof betreten, schlägt ein Mönch gemächlich die Glocke. Mehrere Gläubige laufen andächtig entlang einem ausgelegten Labyrinth in Form einer Swastika, dem buddhistischen Kreuz und Glücksbringer. Trotz der Glockenklänge herrscht eine angenehme Ruhe. Bunte Bänder zieren den Innenhof. Der Zugang zur Haupthalle indes ist durch eine Bühne versperrt. Unser Besuch fällt wohl mit den Vorbereitungen eines Festes im Haeinsa Tempel zusammen. Die Steinpagode im Hof dient der Sammlung von Reliquien – so wie es in jedem Tempel Südkoreas Usus ist. Daneben steht eine Steinlaterne, die das friedliche Licht Buddhas symbolisiert. Solche Laternen sind überall innerhalb des Tempelgeländes errichtet, um das gesamte Kloster zu beleuchten.
Eine Interimsrampe verbindet den Hof mit dem Daejeokgwangjeon, der Haupthalle des Haeinsa. Die meisten Gebäude um den Innenhof sind Wohn- und Seminarhäuser. Der Daejeokgwangjeon hingegen ist dem Adibuddha Vairocana gewidmet. Hier finden religiösen Aktivitäten und Zeremonien statt. Vairocana rettet und beleuchtet die Welt mit Licht. Im Buddhismus ist man sich bei der Namensgebungen irgendwie nie einig. Als Folge heißt der Daejeokgwangjeon mal »Große Halle des ruhigen Lichts«, dann »Große Halle der Ausstrahlung« oder auch »Halle des Vairocana«. Obendrein finden wir hier die Halle der Blumengirlande, da die Welt des Lotusschatzes alle unzähligen Dinge des Universums bewahrt.
Für uns ist das Ganze etwas abstrus. Um die vielen Bedeutungen richtig zu kapieren, muss man sich wohl tiefer in die Glaubensstrukturen des Buddhismus hineinknien. Möglichkeiten dazu bietet natürlich auch der Haeinsa Tempel. Als einer der Haupttempel des Jogye-Ordens, zu welchem der von uns zuvor besuchte Naksansa Temple gehört, bietet der Hainsa Tempelaufenthalte an. Hier kann man Ruhe und früh morgendliche Meditationen finden. Und das einmal mehr in einer traumhaften Umgebung mit viel Wald und Natur.
Im Haeinsa Tempel lagert mit der Tripitaka einer der größten Schätze von Südkorea. Die Tripitaka Koreana ist die weltgrößte erhaltene, in chinesischen Schriftzeichen verfasste Bibliothek buddhistischer Texte. Somit ist die Bedeutung der Tripitaka vergleichbar mit der Bibel oder dem Koran. Sie besteht aus 81.258 hölzernen Druckplatten aus besonders widerstandsfähigem Holz. Untergebracht sind diese in den vier Gebäuden des Janggyeong Panjeon. Dort finden sie bei perfekter Belüftung optimale Lagerbedingungen. Bei der Tripitaka Koreana selbst handelt es sich um eine Kopie der Ur-Version, die einem Angriff der Mongolen zum Opfer fiel. Erstaunlich jedoch ist, dass diese gefertigte Schrift die nachfolgenden Feuer, die Japanische Invasion und sogar den Koreakrieg überstand.
Wirklich etwas zu sehen gibt es von der Tripitaka Koreana allerdings nicht. Die Druckplatten sind ordentlich in den Regalreihen versorgt. Wir haben bereits die Tripitaka in der Kuthodaw-Pagode von Myanmar besucht. Dort ist das »Größte Buch der Welt« in hunderten kleinen Pagoden verteilt. Wer der Schrift und Sprache mächtig ist, kann diese vor Ort lesen. Beide Tripitaka sind Teil des Welterbes der UNESCO. Es ist ein Grund mehr, weshalb die Koreaner ihre Druckplatten besonders schützen und ein Großteil davon abgesperrt ist. Trotzdem zieht genau dieser Schatz viele Besucher an. Als wir unseren kurzen Rundgang beenden, strömen bereits Scharen von Schülern durch die Tempelanlage.
Wir haben viel gesehen und stehen mal wieder vor der Frage, ob wir weitere Tempel besichtigen sollen oder den Rest des Tages doch lieber für eine Wanderung nutzen? An der Zufahrt zum Haeinsa gäbe es den Gilsangam Tempel. Andererseits befinden wir uns noch immer in einem Nationalpark und gibt es in der Nähe die beiden Gipfel Sangwangbong und Chilbulbong. Ein solch traumhafter Himmel bedeutet für uns eigentlich für ein klares Ja für die Wanderung. Einzig die 800 Höhenmeter hinauf und wieder runter, bereiten uns etwas Kopfzerbrechen.