Der Ausblick von unserem Zimmer zum Meer ist ernüchternd. Auch die Wettervorhersage birgt kaum Lichtblicke. Im Laufe des Tages sollen mehrere Ausläufer eines Taifuns auf Südkorea und Jeju treffen. Der Sturm selbst ist zu unserem Glück an Japan hängen geblieben. Doch es schüttet, was das Zeug hält. Wir lassen uns Zeit mit dem Frühstück, welches im Sunshine Hotel wirklich passabel ist. So bekomme ich Lars zumindest satt, bevor wir uns in die Nässe stürzen. Unser Reiseplan beinhaltet nur wenige Indoor Aktivitäten. Schließlich wollten wir ja die Landschaft und Natur auf der Lieblingsinsel der Koreaner erleben.
In unserer Ost-Tour ist zumindest das Hanwah Aqua Planet Jeju enthalten. Damit ist klar, in welche Richtung wir aufbrechen. Der erste Stopp ist bei Hado, einem kleinen Fischerort im Nordosten der Insel. In dem Dorf lebten einst viele Haenyeo, die Meeresfrauen von Jejudo. Nein, das sind keine liebreizenden Meerjungfrauen mit Fischflosse. So hießen Jejus Taucherinnen, welche in der rauen See einem gefährlichen Job nachgingen. Ohne Sauerstoffflasche tauchten sie bis zu 20 Meter tief, um für sich und ihren Familien den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie sammelten Seegras und Meeresfrüchte. In den frühen 1960er Jahren waren die Haenyeo für bis zu 60% des Fischereiumsatzes der Insel verantwortlich. Ihre Männer indes kümmerten sich um Heim und Hof, ohne einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Eine irgendwie verdrehte Welt. (Anmerkung von Lars: »Ist ja nett, dass Du nicht geschrieben hast: 'kommt mir irgendwie bekannt vor'«)
Leider altern die Meeresfrauen langsam aus ihrem Beruf heraus. Nachwuchs ist für solch gefährliche Jobs schwer oder auch gar keinen zu finden. Ein Museum zur Ehre der Haenyeo hat somit seine Berechtigung. Leider ist es bei unserer Ankunft geschlossen. Manchmal ist es wirklich verflixt. Ganz in der Nähe befände sich der Ilchulbong, ein bewachsener Vulkankegel mit atemberaubendem Sonnenaufgangsgipfel. So lautet die Beschreibung. Doch bevor wir uns sinnlos auf die Suche nach einem Sonnenaufgang machen, fahren wir gleich weiter zum Hanwah Aqua Planet Jeju.
Bei einem Eintrittspreis von 30 Euro pro Person schlucken viele Besucher natürlich erst einmal. Vom Oceanário de Lisboa oder dem Sea Life in Konstanz wissen wir jedoch, dass Riesenaquarien ihren Preis haben. Zumindest sind wir im Aquarium im Trockenen. Es bleibt eine verdrehte Welt. Und dafür, dass das Aqua Planet Jeju ein perfektes Schlechtwetterziel ist, treffen wir nur angenehm wenige andere Besucher. So stehen wir alleine vor dem gewaltigen Becken, in welchem das Korallenriff vor Jejudo nachgebaut wurde. Ungefähr 70 Prozent der Korallenriffe von Korea befinden sich vor der Küste der Insel Jeju. Beeinflusst von der Meeresströmung Kuroshio sind diese sehr vielfältig und reichhaltig. Die Weichkorallenkolonien sind seit 2004 geschützt und als Naturdenkmal ausgewiesen. Leider sind auch diese Korallenriffe durch Umweltverschmutzung gefährdet und werden immer kleiner. Das Aquarium im Aqua Planet dient neben der Ausstellung auch der Korallenforschung. Die Gewinnung und Überwachung der Korallen soll dazu beitragen, die Vielfalt des marinen Ökosystems zu erhalten.
Die 5.000 Meereslebewesen des Hanwah Aqua Planet stammen jedoch aus der ganzen Welt. In einigen Aquarien tummeln sich Fische von den Hawaiianischen Inseln, im nächsten Becken entdecken wir uns bekannte Fische aus der Karibik. Auch den Gemeinen Wimpelfisch, den Nashornfisch oder den Paletten-Doktorfisch aus dem Bali-Becken, haben wir bereits in Asien beim Schnorcheln beobachten können. Es gibt wunderschöne Anemonen und natürlich schwimmen kleine Nemos darin und drum herum.
Pünktlich zur Fütterung kommen wir zu den Pinguinen. Hier können wir in witzige Glaskuppeln mitten ins Geschehen hinein krabbeln. Pinguine watscheln rings um uns herum. Seelöwen gleiten durch riesige Glasröhren. Fischotter schwimmen verspielt von einen Raum in den nächsten. Als Clou führt ein Unterwassertunnel durch ein gewaltiges Becken, in dem Haie über uns hinweg gleiten, während nebenan sanft ein Rochen dahin schwebt.
In einem anderen Becken können Fische berührt werden. Neugierig oder auch verfressen kommen diese an die Oberfläche und schnappen nach den Fingern. Sie werden wohl nicht beißen, aber wir lassen das lieber bleiben. Genauso wie wir die Seesterne im Wasser liegen lassen. Der Koreanische Name für Seestern bedeutet »unmöglich zu töten«. Gemeint ist damit ihre erstaunliche Fähigkeit, verlorene Gliedmaßen zu regenerieren. Aber so etwas muss man einem Kind doch nicht unbedingt demonstrieren.
Tatsächlich halten wir es im Hanwah Aqua Planet recht lange aus. Das unterscheidet uns von den koreanischen Familien. Koreaner haben irgendwie nie Zeit, um etwas auf sich wirken zu lassen. In ihrer wenigen kostbaren Freizeit müssen sie so viel sehen wie möglich. Irgendwo länger auszuharren, wäre da kontraproduktiv. Als Folge werden wir ständig überholt. Einzig im Food Court pausieren sie gerne. Wir überlegen, uns dort etwas zum Essen zu holen, verwerfen den Gedanken aber sogleich wieder. Es ist einfach zu laut und die Auswahl ist mau und außerordentlich fettlastig. Umso überraschter sind wir vom Aqua Café. Dieses besticht mit einem riesigen Panoramafenster zum größten Becken im Aqua Planet. Ein paar Tische direkt am Fenster sind sogar frei. Hier gibt es guten Milchkaffee und kleine Knabbereien. So verweilen wir noch etwas und freuen uns über die Rochen, die gemächlich an uns vorbei segeln, sowie über die riesigen Walhaie, die immer wieder sanft auf uns zu schwimmen.
Als wir das Aquarium nach vier Stunden schließlich verlassen, hat es endlich aufgehört zu regnen. Dafür hängt nun ein gewaltiger Dunst in der Luft. Es wird sich auch jetzt kaum lohnen, den Ilchulbong zu bezwingen. Wir fahren also ins Inselinnere. Den Krater des Sangumburi verschieben wir auf morgen. Stattdessen bemerken wir den Parkplatz beim Baekyaki Oreum Vulkankegel. Das wäre zumindest eine Möglichkeit, sich die Beine ein wenig zu vertreten.
Der Weg hinauf auf den Kraterrand ist gut mit Holzbalken ausgebaut und eingezäunt, damit man das Naturschutzgebiet nicht betritt. Es ist extrem neblig, aber ansonsten trocken. Für uns zumindest. Das Verhalten der Koreaner kommt uns oft vor, wie aus irgendwelchen Comics und Zeichentrickfilmen gelernt. Es braucht nur ein bisschen Wolken mit etwas Nebel oder ein paar Tropfen, schon werden die Schirme aufgespannt. Teilweise denken wir, es liegt an der App, die erst noch melden muss, dass der Regen vorüber ist. Das zumindest würde erklären, warum viele eine Viertelstunde, nachdem es aufgehört hat zu regnen, immer noch mit offenem Schirm umherlaufen.
Die Aussicht vom Gipfel ist wie erwartet, also gleich Null. Somit spazieren wir schon bald wieder hinab und begegnen einer koreanischen Hochzeitsfoto-Session. Stocksteif stehen Mann und Frau nebeneinander, die Augen stur auf die Kamera gerichtet, als würden sie einander nicht kennen. Heiraten scheint in Korea eine ernste Angelegenheit zu sein. Den Fotografen hingegen scheint es nicht zu stören, dass andere Menschen im Hintergrund mit auf dem Bild sind. Auch er ist so auf die zwei jungen Menschen fixiert, dass er diese gar nicht wahrnimmt. Es liegt uns fern, anderen in ihrem Tun hereinzureden. Es wirkt allzu schnell besserwisserisch und wird nicht gerne gesehen. Wir schreiten ein. Wenn die beiden schon so ein Mistwetter für ihre Fotos erwischen, dann sollen sie zumindest ein paar besondere Aufnahmen bekommen. Wir stellen die beiden um, zeigen dem Fotografen alternative, interessantere Blickwinkel et voilà, schon strahlt das Brautpaar überglücklich und freut sich über das deutsche Ergebnis. Warum denn immer so verkrampft?