Die Insel Jeju ist gespickt mit Vulkankegeln noch und nöcher. Es wäre ein Leichtes, den nächsten Aufstieg zu einem Krater nahe dem Sangumburi zu finden. Doch wir haben bereits Mittagszeit und machen uns auf die Suche nach einem Café. Der Krater-Kiosk bietet neben einer langen Warteschlange leider nur Coffee-to-go-Becher an. Wahrscheinlich ist es hier »too busy«, um den Kaffee in richtigen Tassen auszugeben. Wir fahren also in das nächstgelegene Dorf Gyorae. Dort bekommen wir in einem winzigen Eckcafé eine ordentliche Tasse voll Milchkaffee und Kekse zum Knabbern.
Als nächster Punkt steht der Jeju Stone Park in unserem Reiseplan. Es ist ein Steingarten, der die Geschichte der Insel anhand seiner Mythen und Steine wiedergibt. Doch soll sich der Park über ein riesiges Areal erstrecken. Als Alternative gäbe es in der Nähe des Sangumburi ein Miniaturland mit Eiffelturm und Freiheitsstatue. Ebenso könnten wir mit einer nachgebauten Dampflok durch den Ecopark fahren und Windmühlen besichtigen. Kurzum, Themenparks besitzt Jejudo zuhauf. Der Jeju Stone Park erscheint uns schließlich als die bessere Wahl, selbst wenn wir uns nur einem kleinen Bereich des Parks widmen können.
Tatsächlich bietet der Jeju Stone Park reichlich Platz für Besucher. Entsprechend groß ist die Anzahl an Parkmöglichkeiten. Bei der Ankunft macht es Sinn, erst einmal eine Runde bis zum Eingangsbereich zu fahren. Wir nehmen zwar die vorderste Parklücke, jedoch auf dem hintersten Parkplatz. Als wir endlich zum Parkeingang gelaufen sind, ist es uns schließlich zu müßig, das Auto nachzuholen. Dafür erwischen wir einen Tag, an dem der Eintritt frei ist. Warum das so ist, erschließt sich uns nicht. Das Schild vor der Kasse wirkt auf uns eher, als wäre der Park geschlossen. Eine freundliche Mitarbeiterin bemerkt meinen fragenden Blick, drückt mir eine englische Karte in die Hand und weist uns den Weg hinein. Unsere Reise durch Südkorea ist um eine nette Überraschung reicher.
Wir starten unseren Rundgang mit dem Pfad Nummer eins, dem Pfad der Legenden. Wir treffen auf neun Steintürme, welche als Gedächtnistürme für Seolmundae Halmang, die Großmutter und ihre Fünfhundert Söhne errichtet wurden. Die Legende bezieht sich auf einen Ort namens Yeongsil am südwestlichen Hang des Hallasan. Dort ragt eine Felsformation hoch in die Luft, welche Fünfhundert Generäle genannt wird. In der Geschichte des Folkloristen Kim Yeoungdon lebte die Großmutter Seolmundae Halmang mit ihren fünfhundert Söhnen zusammen. Bis eines Jahres eine verheerende Hungersnot über sie hereinbrach.
Als die Söhne unterwegs auf Nahrungssuche waren, sprang Seolmundae in einen riesigen Kessel, in dem sie Brei für ihre Söhne kochte. Nach ihrer Rückkehr aßen diese den Brei. Der jüngste Sohn jedoch kam später zurück als seine Brüder. Er fand beim Umrühren einen großen Knochen im Brei und erkannte das Opfer seiner Mutter. Er verließ seine Brüder, da er nicht mehr mit ihnen leben konnte, und fiel in tiefe Trauer. Sein Weg führte ihn bis ins Meer, wo er sich in die Insel Chagwi, das heutige Jejudo, verwandelte. Da wurden auch die verbliebenen Brüder von Trauer und Qual ergriffen, sodass sie zu Stein erstarrten und fortan die Yeongsil-Felsen bildeten.
Als Nächstes erreichen wir den Himmelsteich. Er ist Teil des Jeju Stone Park Museums, welches unterirdisch gebaut wurde, um das Landschaftsbild nicht zu stören. Der Himmelsteich ist ein weiteres Symbol für den Tod der Großmutter. Somit steht er zum einen für den Kessel, in welchem sie sich opferte. Zum anderen steht er aber auch für den Kratersee Muljangori. Seolmundae Halmang werden nämlich mehrere Charaktere nachgesagt. Einer davon ist die endlose mütterliche Liebe. Die anderen sind Stolz und Neugierde.
Eine weitere Legende beschreibt Seolmundae als eine riesige Frau. Wenn sie sich schlafen legte, nahm sie den Mount Halla als ihr Kopfkissen, während ihre Füße über den Inselrand herabhingen. Sie war stolz auf ihre Größe und wollte herausfinden, ob die Gewässer auf der Insel Jeju tiefer waren als sie groß. Der Yongyeon-Teich in der Hauptstadt Jeju-si schwappte ihr gerade mal über die Zehen. Der Hongil-Teich in Seohong-dong im Süden Jujudos reichte ihr zumindest bis ans Knie. So reiste die Riesin von Teich zu Teich, bis sie schließlich zum Kratersee des Muljangori-Oreum am Berg Hallasan gelangte. Arglos sprang sie hinein und ertrank. Es hatte ihr keiner gesagt, dass dieser See bodenlos war.
Im Museum des Stein-Parks werden Bilder zu vulkanischen Aktivitäten und Steinformationen ausgestellt. Doch wir bleiben lieber unter dem schönen blauen Himmel. Denn auch hier finden wir eine Fülle an Ausstellungsstücken, wie Mahlsteine, Wasserbecken oder einfach nur Grenzsteine. Denn das Lavagestein der Insel Jeju war Bestand des täglichen Lebens. Endete das Leben, kamen die Dolmen zum Einsatz. Wir passieren einem wunderschönen Ilex rotunda, ein Stechpalmengewächs, welches voll mit Beeren hängt. Dahinter wird veranschaulicht, dass Dolmen und Menhire in verschiedenen Formen und Gestaltungen auch hier den Begräbnissen dienten.
Jeju war eine Insel vieler Götter. Es wird gesagt, dass es ungefähr 18.000 Götter gab. Die Menschen, die auf diesem Vulkanland lebten, waren seit jeher von Meer umgeben. Sie haben eine Vielzahl von Gottheiten geschaffen, um für ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit zu beten. Ein kleines Dorf auf der Rundtour Nummer zwei zeigt verschiedene Kulturen der Insel. Wir treffen auf unterschiedliche Grabtypen. Mal sind es Steingräber, dann wieder Hügelgräber, wie bei Gyeongju. Wir finden Heiligtümer, Altäre und Schreine mit göttlichen Wesen.
Als wir in den Wald eintauchen, betreten wir eine unheimlich anmutende Kulisse. Zwischen den Bäumen, an den Hängen und hinter dem Farn; von überall starren kleine Wesen zu uns. Es sind die Dongjaseok, die Kindersteine von Jeju. Sie bestehen aus porösem Basalt, messen weniger als einen Meter und dienten als Grabwächter. Trotz ihres schlichten Aussehens strahlen sie eine spirituelle Aura aus. Diese Wirkung wird durch Moose und Flechten verstärkt, die einen grünen Flaum über die zwergenhaften Wesen ziehen. Dongjaseok halten oft Dinge wie Kerzenhalter, Weinkrüge, Weinbecher, Blumen oder Fächer an ihre Brust. All dies steht für die Liebe und Fürsorge der Lebenden für die Toten.
Die Zeit im Jeju Stone Park vergeht wie im Flug. Es wird langsam dämmrig. Wir verzichten auf den dritten Rundweg und laufen langsam in Richtung Ausgang. So stoßen wir auf die 48 Dol Harubang. Es sind die merkwürdigen Steinfiguren, welche an die Statuen auf den Osterinseln erinnern. Mit ihren Glubschaugen stehen sie überall auf der Insel herum. Dol Harubang bedeutet steinerner Großvater. Sind das die Großväter der Fünfhundert Generäle? Wohl eher nicht. Die Originale wurden während der Verwaltung von Gouverneur Kim Monggyu hergestellt. Das war um 1754. Die Dol Harubang standen sich einst an den Seiten der Eingänge zu den Festungen gegenüber. Sie fungierten als Wächter für das Wohlergehen und den Wohlstand der Dörfer. Auch wurde angenommen, dass sie Unglück abwehren. In früheren Zeiten fungierten sie sowohl als Grenzmarker als auch als Torhüter.
Im Jeju Stone Park werden sie Abends wunderschön von der Sonne angestrahlt und bilden allein dadurch den Anziehungspunkt schlechthin. Sie sind zumindest schöner als die 500 Generäle, denen wir nahe dem Ausgang nochmals begegnen. Diesmal mit einer etwas anderen Variante der Legende. Hier fällt die Oma nämlich in eine Suppe und ertrinkt. Trotzdem schlürften die Söhne nach ihrer Rückkehr die Suppe und fanden sie köstlicher denn je zuvor. Die restliche Geschichte bleibt beim Alten. Die Söhne verwandeln sich zu Stein und werden hier durch eine Gruppe von Felsformationen symbolisiert.
In einer künstlich geschaffenen Steinhöhle befindet sich der Raum der Mutter. Hier steht ein weiterer und letzter kostbarer Lavastein. Die Form des Steins erinnert an eine liebevolle Mutter mit ihrem Sohn im Arm. Die von der Natur geschaffene Skulptur soll die Seolmundae Halmang darstellen, deren mütterliche Liebe tiefer als das Meer und höher als der Berg ist. Bei der richtigen Beleuchtung wirft der Stein einen Schatten mit der bemerkenswerten Silhouette an die Wand. Da erkennen selbst Banausen, was gemeint ist.
Der Jeju Stone Park bietet genug Sehenswertes, um einen ganzen Tag zu füllen. So gibt es noch den Rundgang Nummer drei mit einem traditionellen Dorf, wie auch das Museum und die Galerie, welche wir ausgelassen haben. Der Park hat uns überraschend, schön und interessant den Nachmittag gefüllt. Nirgendwo anders auf der Insel haben wir so viel über die Kultur gelernt wie hier. Wer sich also für mehr als nur Strand und Vulkane interessiert, der ist hier genau richtig.