Es fühlt sich schon seltsam an, als wir in Andong beim Goryeo Hotel ankommen. Bei der Einfahrt öffnet sich per Lichtschranke ein Streifenvorhang aus groben Schnüren und zieht sich hinter uns augenblicklich wieder zu. Südkorea zählt wahrlich nicht zu den Ländern, in denen man sein Auto vor diebischen Blicken schützen müsste. Uns soll es gleich sein, wir checken ein. Der Rezeptionist reicht das Zimmerkärtchen über den Tresen, würdigt uns jedoch keines Blickes. Egal, für knapp 40 Euro pro Nacht gehört das Goryeo Hotel zu den günstigeren Unterkünften unserer Reise. Freundlichkeit und Frühstück sind bei dem Preis offenbar nicht obligatorisch enthalten.
Das Goryeo Hotel wirkt neu und modern. Und nach dem leicht reservierten Empfang überrascht uns die Zimmerausstattung. Im großen Wohn- und Schlafraum stehen ein bequemes Bett und eine Ledercouch. Das riesige Bad ist sogar mit einer Whirlpool-Wanne ausgestattet. Mehr oder weniger durchsichtige, indiskrete Milchglastüren haben sich inzwischen in vielen Ländern durchgesetzt. Ein riesiger Flachbildfernseher ist ebenfalls längst keine Seltenheit mehr. Komisch jedoch finden wir das viele andere Zubehör, wie einen Heiß- und Kaltwasserspender, Mikrowelle und Minibar.
Auch wartet das Zimmer mit einem kompletten Styling-Equipment mit Kämmen und Bürsten, Haarspray, -lack und -gel auf. Im Bad stehen Hausschuhe, große Spenderflaschen mit Duschgel, Cremebad und Bodylotion. Komplettiert wird das Ganze mit einer großen Tube Zahnpasta und hübsch verpackten Zahnbürsten. In unserem Reiseführer wird das Goryeo Hotel als ein Business- und Mittelklassehotel vorgestellt – und entspricht doch so gar nicht unserer Vorstellung von einem Geschäftshotel.
Erst als die Nacht hereinbricht, fallen uns die vielen Hotels in Andong auf. Überall blinken und blitzen bunte Lichter und lenken Motels mit penetranter Leuchtreklame die Blicke auf sich. Das Goryeo Hotel gehört optisch zu den noblen Häusern, umgeben von viel Klimbim. Doch wozu braucht Andong so viele Übernachtungsmöglichkeiten? Wir bleiben unaufgeklärt und ziehen nach zwei Nächten sorglos weiter nach Daegu in das February Hotel SeongSeo.
Als wir in Daegu ankommen, können wir unser Auto ebenfalls auf eine komische Art unter dem February Hotel SeongSeo vor Blicken »verstecken«. Die Rezeptionistin macht es vor. Sie versteckt sich hinter einer Spiegelverglasung. Als sie uns entdeckt, blickt sie jedoch sofort lachend darüber hinweg und gibt uns den Schlüssel. Irgendwas mit der Rechnung sei noch unklar, doch wir könnten schon mal aufs Zimmer gehen. Als wir wenige Augenblicke später unser großes Gepäck holen, zeigt Lars auf eine Schlüsselbox im Lift: »Da waren vorhin andere Schlüssel drin.« »Die sind vielleicht jetzt alle abgereist?«, entgegne ich. »Mitten am Tag?« Warum nicht?
Erst als wir das mit der Rechnung klären wollen, fällt uns neben der Rezeption das Preisschild auf. Darauf sind die Preise in Stunden aufgelistet. Unter der Woche kosten drei Stunden 30.000 Won, am Wochenende zahlt man für zwei Stunden 45.000 Won. Das entspricht 22 bzw. 33 Euro. Da sind wir bei knapp 80 Euro die Nacht noch günstig bei weggekommen. Wie auch sollten wir bei der Buchung über eine große Reiseplattform auf die Idee kommen, in einem Stundenhotel zu landen? Von dieser Übernachtungsmöglichkeit in Korea hatte ich gelesen. In dem Land kann man jedoch auch in der Sauna übernachten. Aber deswegen buche ich doch keine Sauna! Eine kurze Recherche im Internet bringt schließlich Gewissheit. Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, warum die im Goryeo Hotel so distanziert waren. Es ging einzig um die gebotene Diskretion.
Love Hotels stammen eigentlich aus der japanischen Alltagskultur. Die Olympischen Spiele von 1988 in Seoul gaben einen großen wirtschaftlichen Anreiz, neue Hotels für die vielen erwarteten Besucher zu bauen. Als die Olympia-Besucher wieder von dannen zogen, blieb ein unverhältnismäßig großes Angebot zurück. Das weckte die Kreativität der Eigentümer. Auch wenn man die Japaner hier nicht mag, ihr Stunden-Konzept ließ sich bestens auf Korea übertragen. Denn das Land wächst, der Wohnraum wird immer dichter und vor allem auch teurer. Man lebt eng an eng, in teilweise hellhörigen Wohnungen und Wohnheimen. Junge Paare leben oft bis zur Hochzeit in kleinen Wohnungen bei ihren Eltern. Für Privatsphäre bleibt nur wenig Raum. Diesen finden die Koreaner in den Love Hotels. Hier bewegen sich die jungen Paare abseits der strengen Fürsorge ihrer Eltern. Und wie sie, wollen auch die Eltern ihr Vergnügen. Love Hotels sind nicht unbedingt anrüchig, auch wenn sie genauso für außereheliche Affären und Prostitution – selbst wenn es diese in Südkorea offiziell nicht gibt – genutzt werden.
Viele Love Hotels sollen extrem kitschig und billig sein. Das February Hotel SeongSeo gehört da augenscheinlich zur besseren Sorte. An die Spiegeldecke gewöhnen wir uns schnell, wie auch an die Glaswand zum Bad. Auch hier stehen Hausschuhe bereit, jedoch sind die vielen Cremes, Körperlotionen und Badezusätze einiges geschmackvoller und luxuriöser als im Goryeo Hotel. Diskretion hin oder her, das February Hotel SeongSeo ist einiges persönlicher. So bringt uns die Besitzerin nach dem Rechnungswirrwarr koreanischen Eiskaffee als Entschuldigung und vergewissert sich, dass wir uns wohl fühlen und uns das Zimmer gefällt. Hier gibt es am Morgen auch Frühstück mit koreanischen Leckereien.
Wäre uns bei der Hotelbeschreibung der Begriff Stundenhotel aufgefallen, hätten wir von solchen Hotels sehr wahrscheinlich Abstand gehalten. So aber erwischen wir bei unserer Rundreise gleich drei dieser Herbergen. Der Hauptgrund für die Buchung wahr jeweils die verkehrstechnisch günstige Lage mit Parkmöglichkeit. Und ob wir unser Auto im blickgeschützten Hof oder unter dem Gebäude verstecken oder nicht, ist uns wurscht. Die Zimmer sind in jedem Haus ruhig und sauber. Und entgegen unserer blühenden Fantasie werden die Zimmer während unserer Ausflüge weder tagsüber stundenweise weiter vermietet, noch kommt alle drei Stunden jemand zum Saubermachen und das Bett aufschütteln. Einzig die Putzfrau in Daegu fragt bei der Abreise, wie lange wir im Hotel gewesen wären? »Zwei Nächte«, entgegnet Lars und übersetzt ihren Blick: »Respekt!« Warum also nicht mal in einem Love Hotel übernachten?