Zwei Tage in Seoul und schon drei Paläste besichtigt. Es wird dringend Zeit, mehr Abwechslung in den Reiseplan zu bringen. Mit der U-Bahn geht es zur City Hall. Kaum sind wir wieder an der Oberfläche, hören wir Trommelschläge. Sie begleiten die Wachablösung im Deoksugung Palast. Er befindet sich hier gleich um die Ecke. Doch wir sind uns einig, dass wir in Korea noch das ein oder andere Spektakel mitbekommen werden, und schlagen die andere Richtung zum Namsan Seoul Tower ein.
Leider besitzt die Seilbahn zum Turm keine eigene U-Bahn-Station. So stehen wir vor der Wahl: entweder nehmen wir auf gut Glück den Bus und riskieren eine Fahrt ins Ungewisse. Oder aber wir laufen. Wir gehen lieber auf Nummer sicher und nehmen auf dem Fußweg ein paar weitere Sehenswürdigkeiten mit. Diese beginnen mit dem Sungnyemun Gate, dem »Tor der ehrwürdigen Sitte«. Es wird auch Namdaemun »Großes Südtor« genannt und bildet eines der drei verbliebenen Stadttore Seouls. Einst war es mit der Hanyangdoseong, der alten Stadtmauer, verbunden. Heute indes ist das Südtor von modernen Hochhäusern und mehrspurigen Straßen umringt. Und über genau diese gilt es, heile herüber zu gelangen, will man das Tor aus der Nähe betrachten. Dank mehrerer Ampeln sollte dies eigentlich kein Problem sein. Leider aber erweisen sich die Verkehrsanlagen als ausgesprochen fußgängerunfreundlich.
Das Sungnyemun selbst war nach seiner Fertigstellung im Jahr 1395 das größte Holzgebäude der Stadt Seoul. Auch dieses Bauwerk wurde im Lauf der Jahrhunderte mehrmals umgebaut und verändert. Im Koreakrieg erlitt es schwere Schäden, wurde später aber wieder saniert. Die Krönung des Tors erfolgte 1962, als man es zum koreanischen Nationalschatz Nr. 1 ernannte. Das freilich schreckte einen Halunken nicht davon ab, es in der Nacht vom 10. auf den 11. Februar 2008 in Brand zu setzen. Der Brandstifter war zwar schnell gefasst, das Dach aber wurde von den Flammen vollständig zerstört. Die detaillierte Dokumentation der vorangegangenen Renovierungen ermöglichten die Rekonstruktion. Die Koreaner sind ein fleißiges und ordentliches Volk. Trotzdem dauerte es fünf Jahre, bis das Sungnyemun Gate am 4. Mai 2013 wiedereröffnet wurde. Seither stehen bunt gekleidete Soldaten im Eingang und bewachen das Bauwerk. Unterstützt werden sie von einem Drachen, der von der Decke des Südtors auf die Passanten hinunterblickt.
Zwischen dem Sungnyemun Gate und dem Namsan Berg befindet sich Namdaemun Sijang, der Große-Südtor-Markt. Er soll angeblich Koreas größter Markt sein und ist bis weit über die Stadtgrenze bekannt. Zumindest zählt er zu den ältesten Märkten Koreas. Bereits 1414, zur Regentschaft Königs Taejong, boten die Marktleute hier ihre Waren feil. Als der Handel mit Getreide, Fisch, Obst und anderer Waren boomte, richtete sich König Seonjo im Distrikt ein Büro ein, um seine Tribute besser einheimsen und verwalten zu können.
Der Großteil des Namdaemun Marktes findet offen auf den Straßen statt. Die Marktgassen stammen aus einer Epoche, als noch keine Autos vorherrschten. So sind die Läden bis heute nicht mit dem Auto zu erreichen. Stattdessen dienen Handkarren und Motorräder als Transportmittel und verleihen dem Gassenlabyrinth eine gewisse Authentizität. Es ist also nur logisch, dass sich der Namdaemun Sijang zu einer beliebten Touristenattraktion gemausert hat. Anders als auf den Touristen-Märkten, wie wir sie aus Thailand kennen, sind hier jedoch überwiegend Einheimische unterwegs.
Beim Bummel über den Markt entdecken wir alles, was das Herz begehrt oder wovon man lieber die Finger lassen sollte. Neben Klamottenläden und Juwelieren genießt die asiatische Heilkunst einen hohen Stellenwert. Riesige Ginsengwurzeln sind in großen Flaschen eingelegt. Davor reihen sich Garküchen aneinander und brutzeln Bauchspeck und Fischspieße im Wok. Da wir noch am Anfang unserer Reise sind, bleiben wir vorsichtig. Erst recht, nachdem wir in einer der beliebten Untergrund-Malls einen Stapel Original Dr. Oetker Tiefkühlpizzen ungekühlt neben den Erdnussgroßpackungen gefunden haben ...
Einmal quer durch den Namdaemun Markt gelaufen, erreichen wir am anderen Ende ein edleres Hotelviertel. Hinter dem Rex Hotel finden wir eine Fußgängerunterführung, sodass wir die Sogong-Ro sicher unterqueren können. Weiter geht es immer bergauf in Richtung Namsan Seoul Tower. Dort, wo es schließlich richtig steil wird, befindet sich ein Lift. Er gleicht einer Standseilbahn, bewegt sich im Schneckentempo vorwärts, erspart uns aber einige Treppen. Oben angelangt, trennen uns nur noch wenige Meter vom Eingang der Namsan Seilbahn. Mit dieser überwinden wir die nächsten »gewaltigen« 190 Höhenmeter bis zur Station unterhalb des Fernsehturms.
Rund um den Naman Seoul Turm erwartet uns viel grüne Natur. Wir sind unschlüssig. Für wen genau wurden die vielen Treppen und Stege hier oben errichtet? Man sollte davon ausgehen, dass Spaziergänger auf ihnen zum Turm gelangen sollen. Tatsächlich aber ist der Namsan Seoul Tower für manche zur Nebensache geworden. Das gilt insbesondere für koreanische Mädchen. Mit ihnen macht nämlich die Liebesschlösser-Industrie ein fettes Geschäft. Sämtliche Geländer hängen voll mit den gravierten Schlössern, mit denen Paare ihre Liebe »verschließen«. Sehnsüchtig stehen Mädchen davor und träumen davon, ebenfalls hier oben verewigt zu werden. Leider halten sie die meiste Zeit ihr Smartphone direkt vors Gesicht. Sollte ihnen ihr Traumprinz irgendwann begegnen, sie werden ihn wohl nicht bemerken, sondern weiter fleißig Selfies knipsen.
Wir haben Hunger und nehmen Kurs auf den heute als N Seoul Tower bekannten Turm. Zuerst genießen wir die Aussicht, so lange es diese noch gibt. Es ist Regen gemeldet, der Himmel ist bereits bewölkt und es wird zusehends diesiger. Egal, wir sind hier und blicken über die riesige, wenn auch trübe Stadt Seoul. Gegenüber erkennen wir den Bukaksan, auf den wir am Tag zuvor bei schönstem Sonnenschein gewandert sind. Auf der anderen Seite sehen wir auf die grüne Kuppe des Namsan. Der Turm mag mit seinen 236,7 Metern keine Rekorde brechen. Alleine der Berliner Fernsehturm überragt ihn um gut 131 Meter. Doch aus dieser Höhe lässt sich Seoul wunderbar überblicken. Was wollen wir mehr? Vielleicht etwas zum Essen? Auch das ist im Turm möglich. Kurz nach der Aussichtstour gehen wir ins Restaurant, setzen uns vor das Panoramafenster und lassen es langsam Abend werden.