Am Tag nach unserer erfolgreichen Wanderung auf den Ulsanbawi Rock ist unsere Wanderlaune ungebrochen. Anstatt zum Unification Park zu fahren, entscheiden wir uns für einen Ausflug in den Odaesan Nationalpark östlich von Gangneung in der Provinz Gangwon-do. Der Name des Parks leitet sich vom 1560 Meter hohen Odae ab. Der Name Odaesan bedeutet demnach »Berg der fünf Ebenen«. Gemeint sind damit die fünf Hochebenen, die sich zwischen seinen fünf Gipfeln erstrecken.
Ab Naksan müssen wir fast 90 Kilometer bis zum Nationalpark weit fahren. Doch die Strecke ist angenehm und führt durch den Landkreis Pyeongchang-gun, vorbei am Yongpyong Ski Resort. Es ist Koreas größtes Wintersportgebiet und zugleich eines der besten Asiens. Hier haben 2018 die beiden Biathleten Martin Fourcade und Laura Dahlmeier je zweimal Olympiagold geholt. Daneben gab es natürlich noch einen ganzen Reigen weiterer Disziplinen und Medaillen. Unser Interesse jedoch konzentriert sich im Wintersport auf Biathlon.
Bis auf ein paar überdimensionierte Wintersport-Piktogramme am Straßenrand sowie bei Brückeneinfahrten erinnert leider nur wenig an die Olympischen Winterspiele 2018. Die Bergwelt wirkt trist. Zumindest solange, bis wir die Autobahn verlassen und uns auf der Landstraße dem Odaesan Nationalpark nähern. Das breite Tal wird von der Landwirtschaft geprägt. So wundert es uns, dass inmitten der ländlichen Ödnis plötzlich der riesige Komplex des Kensington Hotel Pyeongchang vor uns auftaucht. Wer hier hinten aus Versehen solch ein Hotel bucht und ohne Auto unterwegs ist, der hat wirklich verloren. Dafür aber ist es günstig und bietet seinen Gästen einen barocken Garten. Zuletzt sind es ab dem Hotel nur vier Kilometer bis zum Eingang des Odaesan Nationalparks. Na, wenn das kein Verkaufsargument ist?
Am Parkeingang empfängt uns ein Mauthäuschen. Eine Dame lächelt uns freundlich entgegen, Lars zückt den Geldbeutel und wir sind ein paar Euro ärmer. Knapp einen Kilometer weiter stehen wir vor dem Parkplatz des Woljeongsa Tempels. Wir sind uns unschlüssig, ob wir bleiben oder noch weiter in das Tal hinein bis zum Sangwonsa fahren sollen? Letzterer ist eigentlich Teil unseres Alternativprogramms. Da wir aber schon mal hier sind, fahren wir weiter. Es wäre auch ein Jammer, wenn Lars auf die Schotterpiste verzichten müsste. Denn ein Kilometer nach dem Woljeongsa endet die befestigte Straße und gibt Lars damit Gelegenheit, den Hyundai auf seine Off-Road-Tauglichkeit zu testen.
Acht Kilometer weiter im Tal des Flusses Odaesan, mündet die Piste in einen Parkplatz. Es ist ruhig hier. Schon im Reiseführer hatte ich gelesen, dass der Odaesan für koreanische Maßstäbe ein einsamer Park ist. Das mag mit Grund dafür sein, weshalb das Geld für die befestigte Straße gleich nach dem ersten Tempel ausging. Mit uns hat sich ein weiteres Paar bis ans Ende der Straße getraut. Ansonsten aber ist der Parkplatz leer.
Da wir abermals auf das Frühstück im Hotel verzichtet haben, wird es Zeit für einen Kaffee. Direkt beim Parkplatz befindet sich eine Art Geschäft-Café-Mischung. Klingt vielversprechend, bietet aber leider nichts zu Beißen. Und der einfache Filterkaffee wird teuer als Americano verkauft. Wenn sich schon einmal Gäste hierher verirren, dann soll wenigstens die Kasse klingeln. Wir halten uns einmal mehr an den mitgebrachten Keksen, sitzen eine Weile am Panoramafenster und schauen in den Wald.
Der Odaesan wurde 1975 zum elften Nationalpark Südkoreas ernannt. Ausschlaggebend für die Unterschutzstellung waren schöne Täler und eine gewaltige Artenvielfalt. Bisher wurden 1040 verschiedene Pflanzen- und 2748 Tierarten, darunter 1979 Insektenarten, nachgewiesen. Darunter sind Wildschweine, der sehr seltene Habichtskauz und eine ebenfalls seltene Schwertlilie. Anders als im Seoraksan sind die Berge eher unspektakulär. Der Birobong ist mit seinen 1563 Metern der höchste Berg und wäre ab dem Café ein schönes Ziel, wenn sich nicht schon wieder der Himmel mit Wolken zuziehen würde.
Durch den Stupa- und Stelengarten führt eine Treppe hinauf zum Eingangstor des Sangwonsa Tempel. Die Ursprünge des Tempels liegen weitgehend im Dunkeln. Keiner weiß genau, von wem und wann der Grundstein gelegt wurde. Erstmals urkundlich belegt ist der Sangwonsa im Jahr 705, als die Anlage neu errichtet wurde. Danach blieb der Tempel über 1200 Jahre bestehen. Wie so oft war es ein Feuer, welches auch den Sangwonsa 1946 zerstörte. Es dauerte jedoch gerade mal ein Jahr, bis der neue Tempel stand. Dieser blieb sogar im Korea-Krieg weitgehend verschont.
Einem Mythos nach, ist dies einem mutigen Leutnant zu verdanken. Während des Krieges zerstörten die Südkoreaner so viele Gebäude wie möglich. Ziel war es, den vorstoßenden Nordkoreanern jedwede Möglichkeit zu nehmen, in den Bauten Schutzräume einzurichten. So kamen die Soldaten auch zum Sangwonsa im Odaesan Park. Doch hier saß ein meditierender Mönch inmitten des Tempels und weigerte sich, zu gehen. Für den Offizier war die Ausführung des Befehls wichtiger als das Leben des Mönchs. Wäre es nach ihm gegangen, so hätte man den Tempel in Schutt und Asche gelegt – mit oder ohne dem Mönch. Einzig der Leutnant hatte Skrupel. Als Lösung ließ er alle Fenster und Türen aus dem Tempel reißen und vor dem Heiligtum verbrennen.
Die Finte glückte. Für seinen Vorgesetzter hatte es den Anschein, dass der gesamte Tempelkomplex brennt und der Befehl umgesetzt worden war. Seine Freude darüber währte nur kurz. Denn schon bei der folgenden Flucht aus dem Tal starb der Offizier bei einem Hubschrauberabsturz. Der Leutnant hingegen überlebte. Mit ihm überstand auch die älteste Glocke Koreas den Krieg. Sie ist heute eine von drei noch existierenden Glocken aus dem Silla-Reich.
Leider sind bei unserem Tempel-Besuch Bauarbeiten im Gange. Es werden neue Gerüste für Wunschlaternen aufgestellt. Das erste Gerüst hängt bereits voll mit den bunten Lampions. Wir spazieren durch die Tempelanlage hindurch und erreichen östlich davon einen Waldpfad, der hinauf zum Sajaam Tempel führt. Konnten wir uns beim Aufstieg auf den Ulsanbawi Rock über noch luxuriöse Treppen freuen, so wandern wir hier über einen steilen, ausgetretenen Waldpfad. Begleitet werden wir hier jedoch von kleinen Streifenhörnchen, die durch den Wald huschen.
Nach gut 20 Minuten erreichen wir den Sajaam Tempel. Mit seinen versetzten Dächern ist dieser idyllisch im Berghang gelegen. Hier gibt es eine Tempelverkostung. Die vielen Chilischoten vor der Küche sind allerdings sehr verdächtig. Wir verzichten lieber und beschließen, unsere Wanderung bis zum Jyeongmyeolbogung Tempel auszudehnen. Bis dort trennt uns kein Kilometer mehr. Zudem sind der Treppenaufstieg und die Wege hinauf richtig idyllisch. Aus den steinernen Lampen klingen die hölzernen Schläge des Moktak. Es ist ein Tempelblock, ein altertümliches Ritualinstrument, dessen Geräusch die Aufmerksamkeit und Konzentration fördern soll.
Unterhalb der Zugangstreppe zum Jyeongmyeolbogung Tempel treffen wir auf den Abzweig zum Birobong. Bis dorthin wären es noch 1,3 Kilometer. An sich wäre das gut zu schaffen. Allerdings beinhaltet die kurze Strecke 400 Höhenmeter. Von dort käme man über den Sangwangbong und einer dann 12,5 Kilometer-Runde wieder unten beim Sangwonsa Tempel heraus. Alles in allem wäre das eine schöne Wanderung. Leider aber beginnt es erneut zu regnen. Im Wald selbst ist das zwar kaum zu spüren und die Runde also durchaus bei feuchter Witterung gut möglich. Doch die Aussicht wäre nicht gegeben. So belassen wir es beim Jyeongmyeolbogung Tempel. Außerdem bekommen wir langsam Hunger. Wieder ist auf die Koreaner Verlass: Beim Tempelhaus unterm Dach vespert gerade eine Wandergruppe. Kurze Zeit später haben auch wir je zwei recht große Maroni verspeist, die fürs Erste satt machen. Es ist wirklich schön, von den Koreanern gefüttert zu werden.
Der Jyeongmyeolbogung Tempel ist der »Juwelenpalast der Stille und des Aussterbens«. An diesem mystisch wirkenden Ort werden einige Reliquien des historischen Buddha aufbewahrt. Weil er sich auf knapp 1180 Meter Höhe befindet, wird es schnell empfindlich kühl hier oben. So machen wir uns bald auf den Rückweg, welcher uns wieder hinunter zum Sajaam Tempel bringt. Dort wechseln wir auf die breiteren Treppen, anstatt nochmals über den anstrengenden Waldpfad zu wandern. So stoßen wir bald auf eine Fahrstraße, die zurück zum Sangwonsa Tempel führt. Inzwischen ist es Mittag. Damit bleibt nach der wirklich schönen Tour noch genügend Zeit, den Ausflug mit dem Besuch des Woljeongsa Tempels zu verbinden.
Die Anfahrt erfolgt mit dem Auto über Gangneung oder Pyeongchang zum Odaesan Nationalpark. Vorbei am Parkplatz Woljeongsa Tempels auf einer Schotterpiste bis ans Ende der Straße.
Ausgangspunkt | Parkplatz Sangwonsa Tempel |
Koordinaten | N 37.7876, E 128.5668 |
Gehzeit | 1,5 Stunden ohne Tempelbesichtigung |
Distanz | 4,3 km mit Abstecher Jyeongmyeolbogung Tempel |
Anstiege | ca. 297 Höhenmeter |
Anforderungen | T2. Der Wanderweg vom Sangwonsa Tempel zum Sajaam Tempel ist teilweise steil und ausgetreten mit hohen Stufen. Treppen hinauf zum Jyeongmyeolbogung Tempel sind sehr angenehm. |
Einkehr | Beim Sangwonsa Tempel gibt es ein Café mit wenig Auswahl. Beim Sajaam Tempel gibt es Tempelverköstigung. |
GPS-Daten | Wanderung Odaesan Nationalpark gpx |
KML-Daten | Wanderung Odaesan Nationalpark kml |