Unser erster Ausflug zum Museumskomplex Ojukheon bei Gangneung endete wegen den Ausläufern eines Taifuns im nahe gelegenen Gramophone Museum. Am Tag unserer Weiterfahrt in den Süden Koreas fahren präsentiert sich der Himmel jedoch wieder von seiner freundlichen Seite. Strahlender Sonnenschein, ein tiefblaues Firmament und hie und da ein paar Dekowolken reichen, um meinen Mann glücklich zu machen. So nehmen wir den kurzen Umweg nach Ojukheon gerne mit. Außerdem mangelt es wieder am Frühstück. Und nachdem Lars kurz nach Naksan bei einer für Europäer unlogisch schaltenden Ampel bei Rot über die Kreuzung gefahren ist, benötigen wir eine Kaffeepause zur Beruhigung. Kamsahamnida, ein Dankeschön übrigens an die Koreaner, die sich aufs Hupen beschränkt haben, anstatt uns gleich über den Haufen zu fahren.
Bei der Ankunft auf dem Großparkplatz des Ojukheon Hauses empfängt uns gähnende Leere. Das aber liegt daran, dass das Museum erst um neun Uhr öffnet. Dafür ist gleich nebenan das Coffee Art Gallery bereits geöffnet und wirkt mit seiner sonnigen Terrasse schön einladend. Es gibt mit Thunfisch und Schinken belegte Sandwichs zum Frühstück sowie einen Pager, der uns mitteilt, wenn wir das Tablett bei der Theke abholen können. Wir sind die einzigen Gäste in einem winzigen Café. In Sachen Service bleiben sich die Koreaner treu.
Pünktlich öffnen die Pforten. Der Eintritt ist mit circa 2,30 Euro pro Person, wie fast überall in Südkorea, moderat. Wenige Schritte nach dem Kassenhäuschen stehen wir vor der Statue des Yulgok Yi Yi, der hier auf die Welt kam. Yi Yi, auch Yi I, gehört zu den prominentesten konfuzianischen Gelehrten Koreas, aus der Zeit der Joseon-Dynastie. Während Mutter Shin Saimdang mit Yi Yi schwanger war, träumte sie von einem weißen Drachen. Für sie war es die Vorhersage eines Wunderkindes. Also galt es, dieses nach Kräften zu fördern. Die Dreizehn Klassiker des Konfuzianismus musste Yi Yi schon als kleiner Junge lesen. Er entwickelte sich zu einem vielseitigen Philosophen und Schriftsteller und genoss zugleich als Politiker und Reformer hohes Ansehen. Am königlichen Hofe bekleidete Yi Yi mehrere Ministerposten und trat der zu seiner Zeit weit verbreiteten Korruption entschieden entgegen. Seine unerbittlichen Positionen brachten ihn oft in Gefahr, vor allem aber viel Ehre.
Auch Shin Saimdang wird von den Koreanern hoch verehrt. Sie war Malerin, Kalligraphin und eine berühmte Dichterin. Ihre Bilder von Insekten, Pflanzen und Landschaften sind bekannt für ihre feinfühlige Darstellung. Unterstützt durch ihre Familie und später durch ihren Mann, erhielt sie für die damalige Zeit eine eher ungewöhnliche Erziehung und Ausbildung. Shin Saimdang lernte Literatur, Dichtung sowie Kalligraphie und begleitete ihren Mann auf politischen Reisen. Mit 32 Jahren bekam sie ihren Sohn Yi Yi, welchen sie in besonderer und idealisierender Weise förderte. In Korea gilt Shin Saimdang deshalb als das Ideal einer guten Mutter. Sie erhielt den Ehrennamen Eojin Eomeoni, was soviel bedeutet wie Weise Mutter.
Man muss nicht unbedingt nach Ojukheon fahren, um Yulgok Yi Yi oder seiner Mutter Shin Saimdang zu begegnen. Es kann reichen, in den Geldbeutel zu schauen. Das Porträt von Yi Yi ist auf der 5.000-Won-Note abgebildet. Shin Saimdang hat es als erste und bislang einzige Frau auf die 50.000-Won-Note geschafft, der Banknote mit dem höchsten Wert in Südkorea. Mehr über die talentierte Familie Yi gibt es in der Memorial Hall zu entdecken. Und gleich neben der Halle befindet sich das Hanok der Familie. Es zählt zu den ältesten hölzernen Wohngebäuden in Korea. In einem der Häuser befindet sich das Mongryongsil, der Raum der Drachenträume. Hier träumte Shin Saimdang vom Drachen und gebar später ihren Sohn Yi Yi. Gleich dahinter steht das Eojegak. Neben seinem Tintenreibstein ist in diesem Pavillon ein Buch des Philosophen Yi Yi, das »Gyeokmongyogyeol« ausgestellt. »Die Geheimnisse zur Überwindung der Ignoranz« ist ein Handbuch für erfolgreiches Lernen. Drill und Leistungsdruck zählen bis dato zu den Grundfesten des koreanischen Familienalltags.
Der Name Ojukheon leitet sich von einem schwarzen Bambus ab, welcher das Anwesen mit dem Schrein umgibt. Perfekt ist dieser in die umgebenen Gärten mit Lotusteichen eingefügt. Und nur einen Steinwurf davon entfernt werden wir im prächtigen Blumengarten des Ojukheon Zeuge, wie gut koreanische Kinder trotz Smartphones und digitalem Schnickschnack immer noch erzogen sind. Es genügt eine einzige Erzieherin, um mit zwölf Kindern sicher und geordnet durch die Anlage zu spazieren. Brav laufen die Kinder in Reih und Glied hinter der Frau her. Bis sie endlich eine Wiese erreichen, auf der sie kindlich herumtollen dürfen.