Nach unserer Ankunft am Ostmeer hat es fast einen ganzen Tag und auch die Nacht hindurch in einer Tour geregnet. Am nächsten Morgen ist der Himmel noch immer grau bedeckt, scheint ansonsten aber von den himmlischen Fluten endlich befreit zu sein. Wir hoffen auf weitere Besserung und nutzen den Tag für unseren geplanten Ausflug in den Seoraksan Nationalpark. Durch den Regentag hat sich dieser auf einen Sonntag verschoben.
Das ist denkbar ungünstig, um eine der beliebtesten Wanderregionen Koreas zu besuchen. Wir schauen, dass wir früh starten, und verlegen das Frühstück in den Nationalpark. Einen kleinen Vorteil zumindest hat der vergangene Regen: die Luft ist schön klar. Schon bei Naksan sind die Berge des Seoraksan Nationalpark gut zu sehen. In der Ferne erkennen wir sogar die Gesteinsformationen des Ulsanbawi. Die markante Felsgruppe bildet das Ziel unserer Wanderung.
Der Seoraksan gilt als einer der malerischsten Parks in Südkorea. Der schneebedeckte Daecheong ist mit 1708 Metern der dritthöchste Berg von Südkorea. Von den heißen Quellen bei Osaek aus, könnten wir in viereinhalb Stunden bis hoch auf den Gipfel steigen. Nach sechs weiteren Stunden wäre auf der anderen Seite Seorak-dong erreicht, der Startort der Ulsanbawi-Tour.
Mangels Zeit nehmen wir lieber das Auto. Der Bereich Outer Seorak ist über den Fischerort Sokcho gut zu erreichen. Die Anreise zum Nationalpark führt durch eine ländliche Gegend sowie an einer Art Hotelsiedlung vorbei. Sie macht auf uns einen abweisenden Eindruck. Erschreckend sind die riesigen Parkplätze, welche am frühen Morgen noch allesamt leer sind.
Wir fahren weiter und stehen kurz darauf im Stau. Hätten wir noch früher aufbrechen müssen? Doch die vielen Fahrzeuge verteilen sich zwar langsam, aber stetig auf den Parkplätzen vor dem Seoraksan Nationalpark. Diese sind bereits gut gefüllt. Trotzdem ist Lars so mutig, dass er an allen vorbei bis ganz vor zum Eingangstor des Parks fährt. Hier werden wir abgepasst, müssen 7000 Won Eintritt aus dem Auto heraus bezahlen und dürfen in den Park hineinfahren. Dieser kleine Luxus kostet uns zusätzliche 5000 Won. Bei einer Hotelruine nördlich der Restaurants endet schließlich unsere Fahrt. Ab nun wird gelaufen.
Oder es wird erst einmal gefrühstückt. Im Restaurant Solhyang duftet es nach frisch gebackenen Teigwaren. Da werden wir wohl was finden? Nein. Wir halten uns an Kekse und Milchkaffee. Denn die frische, deftige Backware entpuppt sich als Knoblauchbrot.
Mit ganz viel Knoblauch darin. Glauben wir unserer Nase, sind wir leider die einzigen, die auf den Leckerbissen verzichten. Fortan verfolgt uns der Geruch nämlich auf Schritt und Tritt, und das während der gesamten Wanderung.
Nach dem Frühstück spazieren wir durch Seorak-don zur Stupa der Wiedervereinigung und zu einem Kriegerdenkmal. Auf dem breiten Fußweg kommt uns ein Volksmarsch an Koreaner entgegen. Wir bleiben zuversichtlich. Die wenigsten Besucher erwecken den Anschein, als würden sie auf den Ulsanbawi Rock wandern wollen. Stattdessen steuern sie direkt auf die Seilbahn zur Festung Gwongeumseong zu. Von ihrer Plattform aus kommt man im Schnellgang zu schönen Aussichten über dem Seoraksan Nationalpark.
Auf der Homepage der Seilbahn wird der Ulsanbawi Rock als Aushängeschild genutzt. Den sieht man der Plattform allerdings nur aus der Ferne. Immerhin liegt das Tal Cheonbuldong zwischen der Festung und dem Gipfel. Besucher des Gwongeumseong können lediglich einen kurzen Spaziergang zum Gipfel Bonghwadae sowie zum Anrakarm-Tempel unternehmen. Unsere Ansprüche sind heute jedoch etwas höher gesteckt.
An der Talstation der Gwongeumseong-Seilbahn vorbei, spazieren wir hinein in das Cheonbuldong-Tal. Es bedeutet »Tal der 1000-Buddha-Höhlen« und ist das Haupttal des Seoraksan Nationalparks. Die erste Buddha-Statue, die wir im Park passieren, sitzt allerdings in keiner Höhle. Auch wenn der Tongil Daebul sitzt, misst er noch immer eine Höhe von 14 Metern. Mitsamt dem Lotus-Thron kommt die Buddha-Statue auf stolze 19 Meter. Tongil Daebul ist der Buddha der Wiedervereinigung.
Die Statue wurde in der Hoffnung auf eine friedliche Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea errichtet. Sie dient der buddhistischen Bitte des koreanischen Volkes, das auf die Wiedervereinigung des Landes und ein Ende der über ein halbes Jahrhundert dauernden Spaltung zwischen Nord- und Südkorea hofft. In ihrem Innern birgt die Bronzestatue eine Reliquie des historischen Buddha Shakyamuni, ein Geschenk der burmesischen Regierung.
Bei der Steinbrücke überqueren wir den Fluss und erreichen kurz darauf den Sinheungsa Tempel. Der Mönch Jajang gründete im Jahr 652 den Hyangseongsa-Tempel, welcher allerdings alsbald von König Hyoso niedergebrannt wurde. An neuer Stelle wieder aufgebaut, änderte man den Namen des Tempels in Seonjeongsa, dem darauf an die 1000 Jahre Wohlstand beschert waren. Erst 1642 fiel der Tempel einem Feuer zum Opfer. Die drei Mönche Yeongseo, Hyewon und Yeonok gelobten, den Tempel wieder aufzubauen.
Im leidenschaftlichen Gebet versunken, erschien ihnen ein silberhaariger Gott. Dieser zeigte auf die heutige Sinheungsa-Stätte und versprach, dass der Tempel an jener Stelle von keinen Katastrophen wie Feuer, Fluten oder Sturm mehr heimgesucht werde. Bis dato stimmt die Vorhersage, sodass wir im Eingangstor von den schönsten Vier Himmelskönigen von ganz Korea begrüßt werden.
Einige Meter nach dem Tempel sind wir bereits tief im Cheonbuldong-Tal. Um uns herum sind nur noch wenige Menschen unterwegs. Auffallend ist, dass die Koreaner penibel gut für ihre Bergtour ausgerüstet sind. Wanderklamotten vom Feinsten, klobige Bergschuhe und teilweise Stöcke sind Standard. Gekrönt wird all dies vom prall gefüllten Rucksack.
Den Ulsanbawi Rock sollten wir besser nicht unterschätzen. Der Aufstieg gehört zu den schwierigsten Wanderwegen im Seoraksan Nationalpark und laut Parkinfo zur zweithöchsten Schwierigkeitsklasse im Land überhaupt. Bisher jedoch ist der Weg bequem und einfach zu laufen. Wir sind gespannt, was uns erwartet.
Während die meisten Koreaner sich beim erstbesten Rastplatz eine Pause gönnen, unternehmen wir einen Abstecher zur Naewonam Hermitage. Die Einsiedelei ist idyllisch im Wald gelegen. Sie wirkt jedoch heruntergekommen. Das Gros der Wanderer wird sie links liegen lassen. Weiter geht der Weg nun stetig bergauf.
Wir erreichen einen Felsblock, von dem aus wir erstmals über den Wald hinweg blicken können. Richtung Süden sehen wir den Gwongeumseong, auf den die Seilbahn fährt. Richtung Norden versperrt uns ein gewaltiger Felsbrocken die Sicht. Es ist der Ulsanbawi Rock, der unwirklich vor uns in der grünen Landschaft liegt.
Über den Ulsanbawi Rock gibt es eine schöne Legende. So befahl einst der oberste Gott, dass sich alle schönen Berge des Landes am Geumgangsan im heutigen Nordkorea sammeln sollen. Sein Plan war es, dort 12.000 Gipfel zu errichten. Der Ulsanbawi Rock folgte der göttlichen Anordnung und begann seine Reise von Ulsan aus. Doch sein Weg war lang, gut 350 Kilometer. Ulsanbawi musste hie und da eine Pause einlegen.
Als er das Ziel endlich erreicht hatte, war das göttliche Projekt längst abgeschlossen. Er war zu spät. Unverrichteter Dinge zog der Felsbrocken wieder von dannen und machte sich auf den Rückweg nach Ulsan. Hier bei Seoraksan fand er schließlich einen Rastplatz, der genauso schön, wenn nicht noch schöner war als Geumgangsan. Somit beschloss er, einfach hier zu bleiben.
Über Waldpfade, Holztreppen und -stege erreichen wir alsbald die buddhistische Anlage Gyejoam. Sphärische Klänge aus den Meditationsräumen empfangen hier die Besucher. Auffallend ist ein Felsbrocken, um den sich die Koreaner rangeln. Der riesige Heundeulbawi balanciert auf einer Felsplatte. Mit viel Kraft lassen sich die 16 Tonnen durch Menschenhand bewegen. Doch niemand kann ihn umstürzen.
Wirklich niemand? Auf meinen Mann ist Verlass. Nach einem winzigen Schubs scheint es, als würde Lars von dem Ding überrollt. Warum bloß wundert mich das nicht? Der Wackel-Felsen selbst zählt zu den Must-haves für Bildergalerien jeglicher koreanischer Smartphones, mit oder ohne Superhelden davor. Schön, dass wir die einstudierten, ewig-gleichen Posen um eine bereichern konnten.
Nach dem Gyejoam Tempel wird es ernst mit dem Aufstieg auf den Ulsanbawi Rock. Erst sind es steinerne Treppen, welche weiter bergauf führen. Um das Auftreten zu erleichtern, sind einige Holzstufen darin eingebaut. Dieser Wanderweg ist Luxus vom Feinsten. Immer wieder blicken wir durch das Blätterdach im Wald hindurch auf den Felsen.
Auch wenn wir ihm schon ein gutes Stück näher gekommen sind, so wirkt er umso unbezwingbarer. Diesmal ist auf die Koreaner Verlass. Sie machen es möglich, dass so ziemlich jeder den Ulsanbawi Rock bezwingt. Einzig etwas Schwindelfreiheit wird vorausgesetzt. Metallene Stufen und Stege überwinden die Steilwände des Ulsanbawi. Natürlich mit rutschsicherem Belag.
Anstrengend ist der Aufstieg trotzdem. Das hört man besonders an den koreanischen Männern, die hemmungslos jammern, während ihre Frauen fröhlich lachen. Gut zwei Stunden nach dem Sinheungsa Tempel erreichen wir den Gipfel. Oder besser gesagt, die Gipfel. Es gibt hier oben mehrere gesicherte Podeste. Auf einem solchen verspeist eine koreanische Wandergruppe gerade den Inhalt ihrer Rucksäcke. Wir haben auf solch Ballast im Rucksack verzichtet, ohne dass es uns zum Nachteil wird.
Denn kaum angekommen, hält uns schon der erste Wanderer Gebäck unter die Nase, eh uns eine Frau einen riesigen Apfel reicht. Es wäre unhöflich, abzulehnen. Hier im Nationalpark fällt auf, dass die Menschen viel wacher sind, miteinander kommunizieren und auch die Dinge um sich herum wahrnehmen. Damit bildet die Kulisse den Gegenpart zu Seoul, wo der Blick nur noch auf ein wenige Quadratinch großes Display gerichtet ist.
Von den Gipfeln überblicken wir einen großen Teil des Seoraksan Nationalpark bis zum Küstenstreifen entlang dem Ostmeer. Die Berge sind mit Wäldern bedeckt und beherbergen eine vielfältige Flora und Fauna. Zu den 1400 Pflanzenarten und fast 2000 verschiedenen Tieren gehören der gefährdete Weißbauchspecht, die Graue Goral Antilope, Moschustiere und jede Menge Wasserkröten.
Zurecht hat die UNESCO den Park in die Liste der Biosphärenreservate aufgenommen. Bei Outer Seorak strömen die Besucher noch geballter auf den Ulsanbawi Rock. Wir treffen deutsche und Schweizer Studenten, die ein Auslandssemester in Seoul absolvieren. Ein Busausflug brachte sie hierher. Andere Gebiete des Parks sind schwieriger zu erreichen, sodass dort die Pflanzen- und Tierwelt geschont wird.
Nachdem zig Gipfelfotos im Kasten sind, kehren wir auf demselben Weg zurück ins Tal. Auch wenn sich der Abstieg in die Länge zieht, bleibt genügend Zeit für hübsche Aufnahmen der Bächlein und natürlich für eine Tasse Kaffee. Neben den ollen Pappbechern gibt es im Coffeeshop auch richtige Tassen. Allein unser Versuch, den Caffè Latte in einem mehrmals verwendbaren Becher zu bekommen, scheitert.
»It's too busy!«, erklärt ein junger Mann. Das Nationalpark-Café ist um diese Zeit nur schwach besucht. Und doch bringt er damit bringt sehr schön auf den Punkt, warum alle Bemühungen im Klimaschutz, im Umweltschutz und in der Müllvermeidung scheitern werden. Es ist einfach »too busy«.
Eine abschließende Pause im Park einzulegen, erweist sich jedoch als eine gute Entscheidung. So können wir auf einen wunderschönen Tag voll angenehmer Eindrücke und Begegnungen zurückblicken und uns nebenbei ein Stück weit von der Anstrengung erholen.
Als wir den Park schließlich verlassen, dämmert es bereits. Die meisten Ausflügler sind längst auf dem Heimweg, die Busse abgefahren. Entsprechend schnell ist das Auto auf dem nun leeren Parkplatz gefunden, sodass wir entspannt zurück nach Naksan fahren können.
Die Anfahrt erfolgt mit dem Bus oder dem Auto über Sokcho nach Seorak-dong in den Seoraksan Nationalpark.
Ausgangspunkt | Eingang Seoraksan Nationalpark |
Koordinaten | N 38.17391, E 128.48985 |
Gehzeit | 4 Stunden für den Trail |
Distanz | 8 km für Hin- und Rückweg |
Anstiege | ca. 517 Höhenmeter |
Anforderungen | T2. Die Wege sind sehr gut ausgebaut. Über Treppen geht es steil hinauf. Beim Aufstieg über die luftigen Treppen ist ein gesundes Maß an Schwindelfreiheit von Vorteil. |
Einkehr | Bis zum Sinheungsa Tempel gibt es mehrere Cafés und Restaurants. Auf dem Ulsanbawi keine Einkehrmöglichkeit. |
GPS-Daten | Wanderung Ulsanbawi Rock gpx |
kml-Daten | Wanderung Ulsanbawi Rock kml |