Zugfahren in Südkorea soll kinderleicht sein. Das wurde uns gesagt. Nach ein paar Tagen in dem fernen Land machen wir die Probe aufs Exempel. Mit der U-Bahn finden wir uns inzwischen gut zurecht, sodass wir sicher zur Seoul Station kommen. Dort sind die Ticketschalter einfach zu finden. Wir wollen nach Suwon. Mehrere Züge dorthin sind bereits angeschrieben. Der nächste wäre ein Eilzug KTX und kostet 16.800 Won für beide. Das entspricht etwa 13 EUR. Wir nehmen den. Ich finde es so schon günstig, mit der Bahn zu fahren. Tatsächlich aber hätte uns der Bummelzug nur ein Drittel gekostet – bei einer fünf Minuten längeren Fahrzeit. Allerdings hätten wir auf den Bummler warten müssen, während der KTX bereitsteht und nur wenige Augenblicke nach unserem Einsteigen abfährt. Im Zug selbst haben wir einen Sitzplatz zugeteilt bekommen. Die Schaffnerin sieht auf ihrem Tablet, welche Sitze besetzt sein dürfen. Damit entfällt das sonst nötige Kontrollieren der Fahrscheine. Für uns ist dies ein weiterer beeindruckender Fortschritt der Koreaner.
Es ist schwer zu sagen, wo Seoul aufhört und wo Suwon beginnt. Unsere Fahrt führt eigentlich durchweg durch urbanes Gebiet. Nach dreißig Minuten erreichen wir Suwon Station. Leider ist der Hauptbahnhof abseits der Festung Hwaseong gelegen. Zudem hat es zu Regnen angefangen. Da ziehen wir das Taxi dem Bus vor. Für knapp fünf Euro werden wir zum Paldalmun Gate gebracht. Vor Ort erübrigt sich die Frage, wie wir später zum Bahnhof zurückfinden. Denn direkt beim Tor befindet sich der Taxistand der Altstadt von Suwon.
Bevor wir uns am Kreisverkehr des Paldalmun Gates im Regen orientieren, schauen wir uns nach einer Bäckerei um. Gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehen wir die Boulangerie Paris Baguette. Das klingt doch vielversprechend. Das Frühstück im Roadhouse Hongdae hält leider nur kurz satt und Lars leidet seit unserer Ankunft in Südkorea ohnehin unter chronischem Hunger. Ein zweites Frühstück kann also nur nützen, zumal wir auch in Suwon einen Spaziergang entlang der alten Stadtmauer unternehmen wollen. »Paris Baguette« ist eine Boulangerie-Kette, welche verspricht, gesund zu backen. Da ich das Brot aus den deutschen Bäckereien nicht vertrage, bin ich das perfekte Versuchskaninchen. Was soll ich sagen? Hier kann selbst ich schlemmen. Und auch der Milchkaffee dazu ist richtig lecker. Einzig die Sprachkenntnisse haben wenig mit Paris zu tun. Lars spricht das Personal auf Französisch an. Dieses antwortet mit einem fröhlichen Kichern, was ja ganz nett ist, gesteht aber, dass es nicht ein Wort Französisch spräche.
Schließlich raffen wir uns auf, um zumindest einen Teil von Suwon und der Festung Hwaseong zu besichtigen. Immerhin ist Suwon die Partnerstadt von unserer Schwarzwaldmetropole Freiburg. Es regnet zwar immer noch, aber bei Weitem nicht mehr so ergiebig. Auch haben wir mit dem Südtor Paldalum einen guten Ausgangspunkt für unseren Stadtrundgang gewählt. Das Zugangsportal war einst in der Festungsanlage integriert. Nachdem es militärisch längst ausgedient hat, kreist heute der Straßenverkehr drum herum. Dafür wurde beim Paldalum ein 300 Meter langer Abschnitt des ehemaligen Gemäuers durchbrochen. Ansonsten ist die Festungsmauer von Suwon auf einer Länge von 5,7 Kilometern fast durchgängig.
Die Verlängerung des Tores bildet eine Seitenstraße, durch die wir zum Informationshäuschen der Festung Hwaseong finden. Anders als die Festungsmauer in Seoul, gehören die Festung Hwaseong und einige weitere Bauwerke innerhalb der Mauer zum Welterbe der UNESCO. Da liegt es nahe, dass in Suwon Eintritt verlangt wird. Für 1000 Won pro Person dürfen wir dafür so lange umher spazieren, wie wir wollen. Neben dem einfachen Ticket sind auch Kombitickets mit dem Palast Hwaseong Haenggung zu haben. Doch angesichts der immer noch nassen und diesigen Witterung belassen wir es wohl bei der Mauerwanderung.
Der erste Anstieg nach der Information ist ähnlich steil, wie beim Bukak Trail in Seoul. Allerdings geht es weit weniger hinauf. Die Aussicht auf die Altstadt von Suwon und den Hochhäusern am Horizont ist trotz Regen beeindruckend. Nach 20 Minuten erreichen wir das Seonamammun, das geheime Südwesttor. Der steilste Abschnitt der Tour liegt dort bereits hinter uns. Die Festung besitzt fünf dieser geheimen Tore als Durchgang für Menschen, Vieh und militärische Güter. Das höchstgelegene dieser Tore, das Seoammun, war für die Wachposten bestimmt, die Feinde sichten und Warnsignale geben sollten. Auf bequemen Wegen geht es weiter zur Hyowon-Glocke. Wer mag, darf sich was wünschen und bimmeln. Doch Obacht: der Wunsch kostet 1000 Won und beinhaltet keine Garantie, in Erfüllung zu gehen.
Beim Hwaseong Jangdae sind wir froh, uns kurz unterstellen zu können. Leider schützt das wenig gegen den Wind, der uns im oberen Bereich der Mauer kräftig um die Ohren pfeift. Langsam verschwindet außerdem die Stadt im Regen und Nebel. So steigen wir die Mauer schon bald wieder in Richtung Norden hinab, bis wir den Seobukgangnu Pavillon erreichen. Das ist ein schöner überdachter Platz zum Ausruhen und um meinem Lars von der Geschichte der Stadt zu erzählen.
Im Jahr 1789 verlegte König Jeongjo das Grab seines Vaters nach Suwon. Als wahnsinnig betrachtet, wurde dieser durch seinen eigenen Vater, König Yeongjo, getötet. Jeongjo wollte den Ruf seines Vaters wieder herstellen. Er hatte Seoul verlassen und mit dem Neubau der Hauptstadt in Suwon begonnen. Sein Ziel war es, das Land zu reformieren. So entstand zwischen 1794 und 1796 die Festung Hwaseong. Doch auch diese konnte dem Lauf der koreanischen Geschichte nicht standhalten. In den 1970er Jahren mussten fast alle Bauwerke der Festung neu errichtet werden. Wer richtig altes Gemäuer sucht, ist also auch in Suwon fehl am Platz. Dabei haben sich die Koreaner gar nicht erst die Mühe gemacht, der Festungsmauer ein historisches Antlitz zu verleihen. Warum auch? Was heute geboten wird, ist schön anzusehen. Mehr braucht es nicht.
Beim Hwaseomun Gate, beenden wir unsere Tour entlang der Stadtmauer. Der Regen wird wieder stärker, sodass wir nochmals ein trockenes Plätzchen aufsuchen. Nahe dem Tor befinden sich einige neue Hanoks, in die sich teils winzige Cafés eingemietet haben. Hier verweilen wir etwas und überlegen, was Suwon wohl mit Freiburg gemein hat? Irgendwo in der Stadt soll es einen Freiburgturm geben, der dem Seeparkturm nachempfunden ist. Um diesen auf einem zweiten Spaziergang zu finden, bräuchten wir allerdings besseres Wetter. So aber fahren wir mit dem Taxi zur Suwon Station. Für die Fahrt zurück nach Seoul nehmen wir dieses mal den nun bereitstehenden Bummelzug. Dieser ist zwar weniger komfortabel als der KTX, erfüllt aber genauso seinen Zweck.