Weder Sturm noch Regen können uns auf der Halbinsel North Mavine die Laune verderben. Wir weichen einfach zu einem Ort aus, an dem die Sonne scheint. Etwa zehn Kilometer westlich der Hafenstadt Lerwick werden wir fündig. Über Scalloway lacht die Sonne von einem strahlend blauen Himmel auf uns herab. Wunderbar! Das an der Westküste liegende Scalloway war einst die Hauptstadt von Mainland Shetland. Es ist kaum zu glauben. Denn die Bebauung mit zumeist kleinen Häusern gleicht mehr einem Dorf. Und mit 1300 Bewohnern ist Scalloway auch nicht viel mehr.
Als Erstes fällt uns das Scalloway Castle auf, welches wie ein kaputter Klotz unwirklich in der Landschaft steht. Gleich dahinter erheben sich die weniger romantischen Anlagen der Fischfabriken und vom Hafen. Verglichen zum Dorf wirken die Schiffe im Hafen wie riesige Monstren, die sich in der gut geschützten Bucht von East Voe tummeln. Wir parken am Museum und besuchen zuerst das Scalloway Castle, bevor wir durch die Gassen von Scalloway bummeln.
Nachdem wir bereits auf der Insel Unst waren, fällt uns auf dem Weg zum Scalloway Castle die Ähnlichkeit zum Muness Castle auf. Ein Grund dafür ist sicher, dass die Festung von Scalloway kurz nach Muness Castle zwischen 1600 und 1607 gebaut wurde. Damit sind beide Burgen in der selben Epoche entstanden. Wichtiger jedoch ist, dass für beide Festungen Andrew Crawford als Baumeister verpflichtet wurde.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sich beide Bauherren nur wenig Mühe gaben, vom Volk geliebt zu werden. Während die Menschen auf der nördlichsten Shetlandinsel ihre Last mit Laurence Bruce zu tragen hatten, führte sich Patrick Stewart, der 2. Earl of Orkney, auf Mainland wie ein herrschsüchtiger König auf. Was sich bald rächte: 1609 kerkerte man ihn in Edinburgh ein, wo er 1615 gehängt wurde.
Nach Stewart richtete sich die Inseladministration von Mainland im Scalloway Castle ein. Auch Oliver Cromwell nutzte die Festung als Quartier für seine Truppen. Nachdem Lerwick zur neuen Inselhauptstadt erklärt wurde, ging es mit der Burg bergab. Sichtbarstes Zeichen dafür ist das, was heute fehlt: die Außengebäude wurden abgetragen und für andere Bauwerke verwendet.
Später brachen das Dach und die Zwischenböden ein. Trotzdem ist Scalloway Castle immer noch ein ansehnliches Gebäude. So haben die vier Stockwerke hohen Außenmauern die Zeit zu großen Teilen überdauert und blieb ein Teil der Erkertürmchen erhalten. Auch der Gewölbekeller unterhalb der großen Halle, in dem einst die Küche untergebracht war, ist weitgehend intakt.
Zusammen mit der kurzen und wechselvollen Geschichte der Burg reicht dies aus, um in Schottlands Denkmallisten einen Platz in der höchsten Kategorie A zu belegen. Zugleich ist das Castle ein Scheduled Monument, also eine geschützte, unbewohnte archäologische Stätte im Vereinigten Königreich.
Viel darauf einbilden werden sich die Bürger von Scalloway jedoch kaum. Denn neben ihrer Festung gibt es im Königreich noch rund 20.000 weitere Scheduled Monuments. Das ist wohl auch der Grund, warum Scalloway Castle frei zugänglich ist. Den Schlüssel gibt es im benachbarten Museum.
In der Burg informieren einige Tafeln über die damalige Zeit. So erfahren wir, dass mit der Herrschaft von Patrick eine Ära auf den Nordischen Inseln zu Ende ging. Die darauf folgenden Änderungen nutzten den größeren Grundbesitzern, verbesserten aber nicht die Lage der gewöhnlichen Shetlander. Zudem wird uns der Charakter von Patrick näher gebracht. So soll er mit jedem - einschließlich seiner eigenen Familie - heftig herumgestritten haben, der seinen Ansichten widersprach oder ihm im Weg stand.
Rasend vor Wut soll er sich die Haare gerauft und in alle Richtungen übelste Beleidigungen geschrien haben. Nachdem 1590 erste Beschwerden über seine Schikanen und Überfälle Edinburgh erreichten, wuchsen sie bis 1600 zu einer Flut an. Als er seine Diener 1608 anwies, erst das Haus und Eigentum von William Bruce bei Sumburgh, dann die Burg von Laurence Bruce zu plündern, war das Maß voll. Wir gehen davon aus, dass sich nur wenige vor Patrick Stewart stellten, als er abgeführt wurde.
Geschichtlich war Scalloway zuletzt während des Zweiten Weltkrieges als Ziel norwegischer Flüchtlinge von Bedeutung. Nach der Besetzung Norwegens brachten Fischerboote die Flüchtlinge mehr oder weniger organisiert auf die Shetland Islands. Im Winter und unter schlechtesten Seebedingungen fuhren die Boote nachts unbemerkt über die wilde See. Der sogenannte »Shetland Bus« brachte die Menschen in Sicherheit und ermöglichte, den Widerstand gegen das Dritte Reich zu organisieren, um gegen die Kriegsmaschinerie der Wehrmacht anzukämpfen.
Klar ist, dass die Einwohner Scalloways mit solch einem Flüchtlingsstrom völlig überfordert waren. Trotzdem waren die Shetlander gastfreundlich und gaben sich Mühe, die Norweger provisorisch unterzubringen. Die Slipanlagen, welche die Fischerboote damals aufnahmen, sind heute noch intakt und in Betrieb. Allerdings gelang nicht allen Booten die Überfahrt. Nachdem die Deutsche Marine den Fluchtweg entdeckt hatte, griff sie die Boote an. An der Küste von Scalloway erinnert ein Denkmal an den Shetland Bus.
In dem gepflegten Ort finden wir hübsche Häuser, die meist aus Naturstein erbaut sind. Viele von ihnen stehen inmitten eines meist kleinen und liebevoll angelegten Gartens. Die Bucht ist offenbar gut wetter- und windgeschützt.
So sind wir doch überrascht, als wir bei Scalloway auf Gärten mit stattlichem Baumbestand treffen. Shetland ist nicht gerade die Insel der Bäume, aber hier finden wir welche.
Es ist Zeit zum Mittagessen. Die Auswahl an Restaurants hat sich auch in Scalloway sehr schnell erschöpft, sodass wir uns schon bald für die kleine Kiln-Bar entschieden haben. Hinter dem großen Panoramafenster lassen wir uns mit Sicht über den Hafen von der Sonne aufwärmen und bestellen Fish & Chips mit Salat. Für eine kleine Überraschung sorgt der Karottensalat, der sich als karottenfarbiger Cheddar-Käse herausstellt.
Kurz nach uns trifft ein Motorradfahrer ein, der uns bekannt vorkommt. Kein Wunder, er wohnt im selben Bed and Breakfast wie wir. Aber wie gesagt, Scalloway ist nicht sonderlich groß. Einen Abstecher ist die alte Hauptstadt aber allemal wert.