Wer den nördlichsten Norden von Großbritannien sucht, ist auf Unst genau richtig. Auch wenn die Sonne nur selten zu sehen ist, geht sie hier im »Hohen Norden« während der Sommermonate kaum unter. Dies gibt uns reichlich Zeit, um die nördlichste Kirche, den nördlichsten Leuchtturm, das nördlichste Postamt und auch sonst alles nördlichste von Schottland zu besichtigen.
Während die Weiden der Insel Yell eher von Schafen bewohnt sind, fallen uns auf Unst die vielen Shetlandponys auf. Immerhin ist die Insel das Mutterland dieser Spielzeugpferde – aber Vorsicht: so niedlich die Tiere aussehen, so giftig können sie werden, wenn man sie stört.
Eindrücke von Unst, der nördlichsten besiedelten Insel von Großbritannien. Aufnahmen vom Loch of Cliff, Schafen und Shetlandponys.
Heute führen die Shetlandponys ein eher gemütliches Leben. Es ist kaum zu glauben, dass sie früher als Lastentiere eingesetzt wurden. Nachdem 1847 die Kinderarbeit in den Kohleminen verboten wurde, waren die Ponys mit ihrer niedrigen Schulterhöhe ein guter Ersatz. Doch nicht nur in den Minen waren sie gefordert. Wir treffen bei Hagdale auf eine noch gut erhaltene Rossmühle. Sie gilt als die einzige Mühle Großbritanniens, bei der mit Hilfe von Pferden Erz gemahlen wurde.
Pferdemühle von Hagdale
Das Chromerz stammt aus dem nahe gelegenen Steinbruch und wurde in der Mühle getrennt. Noch heute liegen einige Steine mit dem Chromerz um die Mühle. Das Mahlgewicht, der Großteil vom Boden und die Außenmauer sind noch original. Leider fehlen Fotografien oder Hinweise, wie die Mühle damals funktionierte. Eine Zeichnung zeigt nach heutigem Kenntnisstand, wie die Arbeit in der Pferdemühle möglicherweise aussah.
Als weitere Sehenswürdigkeit befindet sich an der Westküste, gleich hinter dem zerstörten Spukhaus von Lund, ein Friedhof mit der verfallenen Kirche von St. Olaf aus dem 12. Jahrhundert. Typisch für die britischen Inseln sind die Gräber, welche innerhalb der verfallenen Kirchenmauern angelegt wurden. Hier finden wir auch die Grabsteine von zwei deutschen Kaufmannsleuten sowie von Thomas Mouat, dem Gründer von Belmont. Unser Hauptziel auf Unst ist jedoch das Vogelreservat von Hermaness. Und da kurz nach unserer Ankunft auf der Insel die Wolkendecke aufreißt und erste Sonnenstrahlen durchlässt, eilen wir in den Norden von Unst.
Weil sich das Wetter bei unserer Ankunft auf Unst von seiner freundlichen Seite zeigte, hatten wir den Loch of Cliff vor unserer Wanderung im Hermaness National Nature Resort zunächst links liegen gelassen. Denn wie auf allen Shetlandinseln gilt auch auf Unst: man kann nie sicher sein, wie lange das Wetter hält. Aber eines ist sicher: der nächste Regenschauer kommt bestimmt. Erst als wir bei unserer Rückfahrt erneut am Loch of Cliff vorbeikommen, entscheiden wir uns für einen Abstecher an den See.
Von der Straße ist es ein kurzer Spaziergang bis ans Ufer des schön gelegenen und natürlich gehaltenen Sees im Norden von Unst. Hier könnten wir sicherlich die nördlichste Forelle von Großbritannien fangen – muss man aber nicht. Das würde zu lange dauern, und die nächsten Regenwolken sind uns schon auf den Fersen. Für ein paar schöne Augenblicke am See reicht es noch. Dann aber beginnt es zu tröpfeln.
Die nachfolgenden kurzen und teils heftigen Regenschauer sind es auch, die uns von einem Besuch der Strände von Burrafirth und Norwick abhalten. Spätestens jetzt sind wir doch froh, dass die Anreise über Yell schneller ging als erwartet und wir auch dadurch die Vogelwelt und Steilküste von Hermaness bei trockener Witterung erlebt haben. Es ist Zeit für ein Café. Die Auswahl hält sich auf der kleinen Insel in engen Grenzen. Aber die ehemalige Basis der Royal Air Force bei Haroldswick ist eine recht gute Adresse. Hier befand sich bis 2006 eine Frühwarnstation, welche während des Kalten Krieges vor sowjetischen Bomber warnen und eventuell Raketen abfangen sollte.
Die hier stationierten Familien wohnten in der Umgebung. Ein paar der ehemaligen Mitarbeiter stellen heute Erinnerungsstücke aus den alten Zeiten im ehemaligen Militärgebäude aus. Spezialität des Hauses ist aber nicht Krieg spielen, sondern sind selbstgemachte Schokopralinen, die überall in den Gängen zum Trocknen stehen. Wir sind uns sicher, dass auch das noch aus der Royal Air Force-Zeit stammt. Irgendwie muss man sich ja auf so einer kleinen Insel beschäftigen. Wir hingegen freuen uns über einen leckeren Kuchen und für schottische Verhältnisse mal richtig guten Kaffee.
Es wird angenommen, dass Unst die erste Insel war, auf der die Wikinger im Nordatlantik siedelten. Mindestens 60 Langhäuser wurden auf der Insel gefunden, was als die höchste Dichte an Wikingersiedlungen außerhalb Skandinaviens gilt. Es gibt einige Ausgrabungsstätten, die besichtigt werden können. Beim Besucherzentrum steht außerdem die Rekonstruktion eines Langhauses, das bei Hamer gefunden wurde.
Direkt neben dem Langhaus steht der Nachbau eines Wikingerschiffs. Es gibt uns eine gute Vorstellung darüber, in was für »Nussschalen« die Menschen damals über die Meere gepaddelt oder gesegelt sind. All diese Sachen sind übrigens schnell abgehandelt und damit bestens geeignet, um die trockenen Phasen zwischen den Schauern zu nutzen.
Papageitaucher haben wir ja inzwischen schon einige gesehen. Da wäre es doch auch schön, ein paar Otter zu finden. Doch das ist gar nicht so einfach. Die Tiere sind extrem scheu. Einen ersten Versuch starten wir bei Baltasound. Von einem provisorischen Parkplatz folgen wir einem Pfad durch Büsche und über versumpfte Weiden zu einer bekannten Futterstelle, bei der die Fischotter auf die Suche nach Muscheln gehen.
Muschelschalen und auch Losungen der Tiere auf den Wiesen sind sichere Anzeichen dafür, dass hier tatsächlich Otter zumindest hin und wieder vorbeischauen. Aber blicken lassen sie sich bei unserem Aufenthalt leider nicht. So bleibt uns, die Sicht über die malerische Bucht mit dem ehemaligen Heringshafen zu genießen. Dann aber kehren wir zum Auto zurück und fahren weiter zur Muness Castle.
Die Festung geht auf Laurence Bruce, einem Nachfahren von Robert the Bruce, zurück. Laurence Bruce war ein Gauner, wie er im Buche steht. Nachdem er einen Widersacher ermordet hatte, musste er auf die Shetlandinseln fliehen. Sein Halbbruder, Robert Stewart, der verhasste Earl of Orkney, verhalf ihm dort zum Posten des Sheriffs, dem Kämmerer und Verwalter des Bistums mitsamt seiner Ländereien.
Laurence nutzte die Stellung, um die Shetlander mit Steuererhöhungen zu schikanieren. Zur Machtdemonstration ließ er 1598 Muness Castle erbauen. Und weil er den Hals nicht voll genug kriegen konnte, manipulierte er die Referenzgewichte der Waagen, um einen noch höheren Steuergewinn zu erzielen. In grobes Leinen gehüllt, musste sich die Bevölkerung ihm am Zahltag unterwerfen, womit er seinem Ansehen zusätzlich schadete.
Muness Castle auf Shetland-Unst
Als Reaktion darauf reiste eine königliche Kommission, die »Mudy Commission«, 1577 nach Shetland und sammelte bei 700 Männern der Shetlandinseln Beweise. Beim anschließenden Prozess in Tingwall auf Mainland wurde Laurence Bruce seines Amtes enthoben. Doch schon im Juni des nächsten Jahres kehrte er als Hilfssheriff zurück nach Muness Castle. Schlagzeilen machte die Burg als Nächstes im Jahr 1608, als Earl Patrick eine Truppe schickte, um die Festung zu belagern, die allerdings erfolglos endete. Nachdem Laurence Bruce 1610 gegen Earl Patrick ausgesagt hatte, beauftrage ihn der Kronrat 1614 im Anschluss einer Rebellion auf Orkney damit, Rebellen festzunehmen, falls diese Unterschlupf auf den Shetlandinseln suchten. 1617 starb Laurence Bruce und wurde innerhalb der alten Kirche bei Sandwick beerdigt.
Zehn Jahre später wurde das Schloss von einem niederländischen Pirat niedergebrannt. Danach diente es zur Lagerung der Fracht des Schiffes Rynenburgh, bevor es 1750 ganz aufgegeben wurde. Heute lohnt sich eine Besichtigung der beiden übrig gebliebenen Geschosse. Um zum Eingang zu kommen, müssen wir um die halbe Burg herum laufen. Das Tor ist nicht verschlossen.
Fähre von Ulsta nach Yell
In einer Box befinden sich sogar zwei große Taschenlampen, die man im düsteren Gebäude benutzen kann. Das Familienwappen über dem Eingang ist inzwischen verwittert und unleserlich. Während die unteren Räume mit der Küche und dem Weinkeller sehr düster sind, führt uns die Haupttreppe in die große Halle. Da das Dach fehlt, können wir uns die Taschenlampen sparen und auch die runden Turmzimmer anschauen.
Nach unserer Schlossbesichtigung treffen wir einen Bauer. Er ist sehr freundlich und bietet uns auch gleich eine Ferienwohnung an. Wer mehrere Tage auf Unst verbringen will, findet also auch beim Muness Castle eine Unterkunft. Für Ruhesuchende ist dies sicher ein guter Platz. Wir aber wollen zurück auf Mainland und fahren vorbei am Standing Stone nach Belmont. Der einzelne Stein ist unser letzter Besichtigungspunkt auf Unst.
Zum Glück, denn auf dem Weg dorthin setzt der nächste kräftige Schauer ein, sodass nur Lars kurz aussteigt, um schnell ein paar Bilder aufzunehmen. Bei der Rückfahrt werden wir schließlich mit Regen und Hagel überschüttet. Nach dem Übersetzen nach Yell beruhigt sich das Wetter aber wieder. So können wir bei Ulsta die Wartezeit auf die nächste Fähre am Ufer verbringen und den Blick über die von mehreren Inseln geschützte Bucht schweifen lassen, während eine Kegelrobbe ihre Bahnen im dunklen Wasser zieht.