Das Haslital liegt im östlichen Berner Oberland und ist Teil der großartigen Jungfrauregion. Umgeben von 401 Berggipfeln ist das Tal geprägt durch den Einfluss von Gletschereis und Schmelzwasser. Tatsächlich ist es die Wasserwelt, welche uns nach Meiringen, dem Hauptort des Amtsbezirks Oberhasli, lockt.
Dort hat sich die Aare im Lauf der Jahrtausende tief in einen quer zum Tal Kalkberg geschnitten. Als Ergebnis finden wir hier heute eine der spektakulärsten Klammen der Schweiz. Meiringen selbst gleicht einem Schweizer Ferienort wie aus dem Bilderbuch. Südlich des Tals blinzeln die Wetterhörner über das Reichenbachtal. Zu den höchsten Gipfeln dieses Massivs zählen das Rosenhorn (3.689 m), das Mittelhorn (3.704 m) und das eigentliche Wetterhorn (3.692 m). Nördlich ragt das Skigebiet des Haslibergs in die Höhe. Außerhalb der Skisaison schweben Wanderer mit den Bergbahnen Meiringen-Hasliberg in die Hochlagen des Berner Oberlandes. Wer lieber auf dem Talgrund bleibt, besucht die eindrucksvolle und für jedermann gut erschlossene Aareschlucht.
Neben der ganzen Bergidylle wirbt Meiringen mit seiner Pâtisserie. An einigen Konditoreien lesen wir: »Meiringen – Geburtsort der Meringue«. Es ist das zuckerlastige Schaumgebäck, das je nach Region Baiser, Meringe oder auch Spanischer Wind heißt. Ein Konditor namens Gasparini soll diese um 1600 zum ersten Mal in Meiringen hergestellt haben. Der Nachweis dazu sei vorm Zweiten Weltkrieg im Museum für kulinarische Kunst in Frankfurt am Main entdeckt worden. Leider fielen die entsprechenden Dokumente dem Krieg zum Opfer. Dennoch soll die süße Versuchung von Meiringen aus ihren Siegeszug durch ganz Europa angetreten haben. Heiß geliebt war sie sowohl am französischem als auch am britischen Königshof.
Königin Elisabeth I. soll von der Meringue als einen »Kiss« geschwärmt haben. Dies sprach sich wohl bis nach Frankreich herum, weshalb das Gebäck dort als Baiser, also »Kuss« bekannt ist. Wo auch immer das Rezept entstand, es ist kein Hexenwerk. Eiweiß wird mit Zucker steif geschlagen. Die feste Masse kommt in einen Spritzbeutel. Mit etwas Geschick entstehen im bereits nächsten Schritt die hübschen Formen der Meringues. Diese müssen anschließend nur noch getrocknet werden. Mit der größten Meringue der Welt schafften es die Meiringer 1985 zumindest ins Guinnessbuch der Rekorde. Für diesen Berg an Zuckerschaum brauchte es damals 2.500 Kilogramm Eiweiß und 120 Kilogramm Zucker. Begleitet wurde der Rekord durch ein großes Volksfest, bei dem die Teilnehmer die tonnenschwere Meringue verzehrten.
Das Tragische Pendant zum süßen Gebäck ist die zweite, mit Meiringen fest verbundene Geschichte. Im Jahr 1893 besuchte Sir Arthur Conan Doyle das schöne Haslital. Der im schottischen Edinburgh geborene Arzt und Schriftsteller begab sich hinauf zu den Reichenbach-Wasserfällen. Beim Anblick dieses dramatischen Naturschauspiels sah er ein würdiges Grab für seine berühmte Romanfigur Sherlock Holmes. Nach vier langen Kriminalgeschichten und jeder Menge Kurzgeschichten war Doyle seinen Meisterdetektiv längst überdrüssig geworden. So kam es, dass Sherlock Holmes in der Episode »Das letzte Problem« sterben musste.
Bei seiner Reise auf den Kontinent fahren Holmes und Watson mit dem Dampfer und der Bahn nach Genf. Sie wandern eine Woche lang durch das Rhone-Tal und über den Gemmipass bis nach Interlaken. Am 3. Mai 1891 erreichen die beiden Weggefährten Meiringen. Dort übernachten sie im »Englischen Hof«, dem heute anmutig wirkenden Parkhotel Du Sauvage. Am nächsten Tag wollen sie die Gletscherschlucht Rosenlaui durchqueren. Auf den Rat des Hoteliers hin nehmen sie einen Umweg über die Reichenbach-Wasserfälle. Doch nahe der Wasserfälle eilt ein junger Schweizer auf die beiden zu. Dieser bittet Dr. Watson, einer kranken Dame zu helfen, die frisch angereist sei. Der Doktor folgt und lässt Holmes alleine zurück. In Meiringen muss er jedoch bestürzt erfahren, dass man ihn hinters Licht geführt hatte. Es gibt gar keine kranke Engländerin.
Eiligst macht er sich erneut auf den Weg zu den Wasserfällen. Doch er findet nur noch Holmes' Zigarrenetui, seinen Bergstock und ein letztes handschriftliches Grußwort vor. Der Detektiv muss hier seinem ärgsten Widersacher Professor Moriarty begegnet sein. Gemeinsam stürzten die beiden im Kampf den Wasserfall hinunter.
Doyle wollte mit dieser Episode das Kapitel Sherlock Holmes für immer schließen. Doch es kam anders. Längst hatte die Romanfigur eine bedeutende Rolle im Leben seiner Leser eingenommen. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität waren für viele verschwommen. Die Holmes-Fans waren bitterböse, enttäuscht und traurig. Sie weinten um ihren Romanhelden, bis sich Doyle ein Herz fasste. Er ließ verkünden, dass bei dem Handgemenge nur Professor Moriarty sein Leben gelassen hatte. Holmes indes habe den Sturz überlebt. Allerdings blieb er eine Weile im Verborgenen und besuchte Tibet und Arabien. 1894 kehrte er schließlich nach London zurück, wo Watson vor Überraschung in Ohnmacht fällt.
Neben dem Stern bei der Absturzstelle am Wasserfall gibt es in Meiringen weitere Hinweise auf den Besuch von Sherlock Holmes. Auf dem Dorfplatz neben dem Hotel Du Sauvage beherbergt die einstige Englische Kirche das Sherlock Holmes-Museum. Davor wird auf mehreren Stelen die Geschichte über den Tod und der Rückkehr des Detektivs erzählt. Und natürlich sitzt Sherlock als lebensgroße Bronzestatue unter den Bäumen, wo er gemächlich an seine Pfeife zieht. Es lässt den Romanhelden wirklich ein Stück weit lebendig werden.
Es gibt noch eine dritte Geschichte aus dem Haslital. Diese handelt vom Meiringer Tatzelwurm. Doch dazu mehr bei unserer Wanderung durch die Aareschlucht. Jetzt suchen wir erst einmal eine Unterkunft. Als Schriftsteller wären wir natürlich im Parkhotel Du Sauvage bestens aufgehoben. Allerdings ist es uns etwas zu feudal. Wir begnügen uns mit dem deutlich günstigeren Hotel Tourist im nahen Nachbardorf Schattenhalb. Hier können wir das Auto für die drei Wandertage stehen lassen. All unsere Ziele sind zu Fuß zu erreichen. Die Zimmer sind schlicht, aber typisch schweizerisch eingerichtet. Das Frühstück ist prima. Und wer die Kosten nicht scheut, gönnt sich wie wir ein leckeres Abendessen. Wunderschön ist außerdem der Blick aus dem Fenster. Wir schauen direkt auf den tosenden und nachts beleuchteten Wasserfall. Hier lässt es sich gut träumen.