Zu den schönsten Segelstrecken in der Karibik zählt die Fahrt entlang der Nordwestküste von Saint Vincent. Viele der Berge zählen zur Kulisse von Fluch der Karibik. Allen natürlich die bewaldeten Hänge nördlich der Wallilabou Bay. So können wir nach unserem früher Aufbruch nochmals einige schöne Eindrücke sammeln, bevor wir auf offene See kommen und Kurs auf St. Lucia nehmen.
Zuvor aber passieren wir den Soufriere, den mit 1234 Metern höchsten Berg von St. Vincent. Weil es sich dabei um einen aktiven, zuletzt im Jahr 1979 ausgebrochenen Vulkan handelt, ist diese Gegend unbewohnt. Zumindest weitgehend, denn da auch die Polizei den Soufriere meidet, bestellen einige Farmer die nur schwer unzugänglichen Berghänge mit Marihuana, weshalb wir den Vulkan bald Pico Marihuana oder Mount Haschisch nennen.
Für die Überfahrt in die ebenfalls Soufriere genannte Bucht im Südwesten von St. Lucia benötigt man bis zu acht Stunden. Wie lange es tatsächlich dauert, hängt von der Strömung ab. So lerne ich bei der Überfahrt, dass wir mit acht, teilweise sogar neun Knoten unterwegs sind. Und das, obwohl uns der Wind nur mit fünf Knoten durch das Wasser schiebt. Wobei das für den Sommer schon viel ist. Denn während wir den Wind direkt aus Ost bekommen, bläst er meistens um diese Jahreszeit meistens aus Nordost und damit den Segeln entgegen.
Trotz der günstigen Strömung und des guten Winds lassen wir etwa ab der halben Strecke zwischen St. Vincent und St. Lucia den Motor der Blue Wave mitlaufen. Denn durch den Gezeitenwechsel wird die Strömung die Richtung wechseln. »Dann kommen Dir auf einmal drei bis vier Knoten entgegen und bist Du nur einen oder zwei Knoten schnell«, erklärt Bobby die Wirkung von Flut und Ebbe auf dem Meer.
Tatsächlich wechselt die Strömung, kurz bevor wir die Bucht von Soufriere erreichen. Damit geht es die letzten zwei Seemeilen nur noch im Schneckentempo voran. Dennoch stellen wir mit fünfeinhalb Stunden eine neue Bestzeit der Blue Wave zwischen St. Vincent und St. Lucia auf. Wie bei Kingstown müssen wir auch hier an einer Mooring festmachen. Es ist das bereits zweite Mal, dass wir an diesem Tag Glück haben. Denn der Mann, der uns mit einem Dingi entgegen kommt und in die malerische Bucht begleitet, steuert eine der wenigen Moorings auf der linken Seite an, sodass wir direkt zu den beiden Pitons hinüberschauen können.
Weniger begeistert ist unser Skipper. Um nicht zu sagen, er reagiert eher mürrisch, als mir auffällt, dass das Boot hier stärker schaukelt als während der gesamten Überfahrt. Was ich nicht weiß: dieses ständige, heftige hin und her ist typisch für die Bucht von Soufriere.
Verursacht wird dies durch das Wechselspiel zwischen den in die Bucht rollenden Wellen und der Steilküste. Praktisch sieht das dann so aus, dass die Boote - je nachdem, wie sie sich gerade gedreht haben - in einem fort auf und ab oder von links nach rechts und zurück schwanken.
Später gesteht Bobby, dass er durch diesen vermaledeiten Wellengang einmal aus seinem Bett in die Lücke zum Frühstückstisch geplumpst ist; mit den Armen dummerweise so, dass er den Sturz nicht auffangen, geschweige sich anschließend vom Boden wieder hochstemmen konnte. Seine Freundin, die damals noch mit an Bord war, hatte ihn dann aus dieser misslichen Lage befreit.
Nun gut, wir sind gewarnt, nachts möglichst so zu liegen, dass uns kein ähnliches Schicksal ereilt. Die Frage ist nur, wie man das am besten anstellt bzw. wie man eine gefundene sichere Lage - etwa mit je einem angewinkelten Bein und Arm - im Schlaf beibehält. Mal abgesehen davon, dass man ja auch noch die Laune des Captains überleben muss.
So ist das erste, was ich am nächsten Morgen höre: »Ich wollte euch alle umbringen ... ! Das nächste Mal anker’ ich wieder woanders!« Armer Bobby, der die ganze, zudem noch regnerische Nacht kein Auge zutun konnte. Zuvor aber steht ein gemütlicher Nachmittag auf unserem Programm, zu dem natürlich auch wieder Schnorcheln gehört.
Unter Wasser wird deutlich, warum die Boote in der Bucht von Soufriere so stark schwanken: von der Mooring, bei der sich der Meeresboden in der Tiefe nur erahnen lässt, benötigt man lediglich ein paar kräftige Schwimmzüge, um in einen Bereich zu kommen, in dem einzelne Felsen bis knapp unter die Wasseroberfläche ragen. Uns ist es recht, da es durch den felsigen Untergrund und dem plötzlichen Wechsel so gut wie kein aufgewühltes Sediment gibt, welches die Sicht trüben könnte.
Dadurch können wir klar und deutlich einen weiteren Weißgefleckten Schlangenaal beobachten, wie er sich zwischen den Felsen hindurchschlängelt. Auch einen Blauen Doktorfisch und verschiedene Riffbarsche zeichnen sich deutlich vor dem Untergrund ab. Neben einer Handvoll Korallen sind aber leider auch die Spuren menschlichen Handels unübersehbar, wie ein alter Lkw-Reifen beweist.
Neben der Hauptstadt Castries und Gros Islet zählt Soufriere zu den wichtigsten Städten an der Westküste von Saint Lucia. In dem Hafen klarieren die meisten Boote ein oder, auf dem Weg nach Süden, aus und neben einigen kleineren Läden gibt es hier auch eine Bank und Geldautomaten direkt am Hafen.
Zudem befindet sich das Wahrzeichen von St. Lucia, die beiden Pitons, gleich um die nächste Ecke. Dennoch ist Soufriere, mal abgesehen von den per Boot durchreisenden Ausflugstouristen, vergleichsweise schwach entwickelt. Zwar gibt es am Hafen den Ansatz einer Flaniermeile, große Hotelresorts und speziell auf Touristen zielende Restaurants aber fehlen weitgehend.
Dafür blieben das französische - Soufriere war immerhin die erste französische Siedlung auf St. Lucia - und karibische Flair bis heute erhalten. So finden wir rund um der Kirche einige Kolonialbauten aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Damals profitierte die schnell wachsende Hafenstadt ausgerechnet von der tiefen, steil abfallenden Bucht, um die heute so manch ein Segler lieber einen Bogen macht.
Wer sich längere Zeit in Soufriere aufhält (und nicht nachts von einem schlaflosen Skipper über Bord geworfen wird), kann unter anderem Ausflüge zu den beiden Pitons unternehmen. Die Wanderung auf den 736 Meter hohen Petit Piton dauert etwa zwei Stunden. Für den 798 Meter hohen Gros Piton muss man drei bis vier Stunden rechnen.
Zudem befindet sich etwas außerhalb von Soufriere der sogenannte »Drive-in-Krater«. Den Namen hat der Krater, weil man früher mit dem Auto bis (fast) in den Krater hineinfahren konnte. Den Besuchern erwartet dort eine Art Mondlandschaft, in der etliche blubbernde Schlammlöcher schwefelige Gase ausstoßen. Mit anderen Worten: es stinkt erbärmlich.
Leider kann man seit einem Unfall, bei dem sich ein Reiseleiter bei einem neu entstandenen Krater einen dreiwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus eingehandelt hat, nur noch vom Rand zu den Schwefel- und Schlammquellen schauen. Da wir solche Fumarolen zudem schon von Furnas auf den Azoren und vom Rincon de la Vieja in Costa Rica kennen, spazieren wir stattdessen zum Botanischen Garten.