Rumänische Dörfer und Burgen erfordern ihre Zeit. So erreichen wir erst gegen Abend Kronstadt, das heutige Brasov. Pünktlich zur Rushhour schieben sich unzählige andere Touristen, Einwohner und rumänische Ausflügler mit ihren Autos durch die Stadt. Alle sind sie auf der Suche nach einem geeigneten Parkplatz. Den Gedanken, direkt vor unserem Hotel zu parken, können wir streichen. Lars lässt meine Mutter und mich vor dem Drachenhaus aussteigen und fährt von dannen. Wann werde ich meinen Mann wiedersehen? Als wir hoffen, dass er noch vor dem Abendessen zurück zum Drachenhaus findet, kommt er auch schon lässig daher spaziert.
Eindrücke von der rumänischen Stadt Brasov, der Kronstadt von Siebenbürgen. Aufnahmen der Piata Sfatului, der Biserica Neagra und der Befestigungsanlagen.
Nach einer kurzen Runde durchs Zentrum hat er in einer Seitenstraße, wenige Schritte vom Hotel entfernt, eine Lücke für das Auto ergattert. Und diese ist sogar kostenlos – ich wusste es doch: Glück in der Liebe, Glück bei der Parkplatzsuche. Ansonsten ist das Parksystem von Brasov hochmodern. Zumindest in puncto Bezahlung. Über eine App gibt man sein Kennzeichen in das Smartphone ein und begleicht so die Parkgebühren von 12 Leu am Tag. Gerne erledigt dies auch das Hotelpersonal und rechnet es später über das Zimmer ab.
Ja, rumänische Großstädte sind ein Graus für Autofahrer. Aber für den Rest des Tages kann mein Held die Kiste stehen lassen. Denn das Drachenhaus ist günstig gelegen, sodass wir die Altstadt fußläufig erkunden können. Über die Strada Michael Weiß sind wir nach bereits 150 Metern in der Fußgängerzone der Strada Republicii von Brasov. Spätestens hier wird klar: wir befinden uns in einer rumänischen Boomtown. Hier reiht sich ein Laden an den Nächsten und erstrecken sich mehrere Reihen Sonnenschirme der Restaurants und Cafés bis zum Rathausplatz, der Piata Sfatului.
In Kronstadt ist alles vom Feinsten. Und das gilt nicht nur für die Touristen, sondern auch für die Rumänen, die hier bereitwillig ihren Verdienst in Lebensfreude ummünzen. Große Autozulieferer, aber auch Continental, Siemens, Miele und Airbus haben rund um Brasov mit ihren Osteuropa-Investitonen Werke mit zigtausend Arbeitsplätzen geschaffen.
Bekannte Supermarktketten schöpfen ihren Teil der Gehälter postwendend wieder ab. Doch auch in den Restaurants der Altstadt geht es zu wie in einem Taubenschlag. Da schaut auch mal der Obsthändler darüber hinweg, wenn die Oma beim Vorbeilaufen an seinem Stand herzhaft in die Trauben greift und sich diese sogleich in den Mund stopft. Er kann es verschmerzen.
Der große Andrang bei den Restaurants birgt aber auch seine Nachteile. Mit unserer Ankunft zieht sich nämlich der Himmel bedrohlich zu und spannt sich ein Regenbogen über die Dächer der Stadt. Es ist kein Wetter, um draußen Platz zu nehmen. Doch obwohl die Innenräume der Pizzerien noch menschenleer sind, bekommen wir keinen Platz.
Diese werden für die Gäste unterm Sonnenschirm freigehalten, falls ein Gewitterschauer hinab prasselt. Wenige Augenblicke später fallen die ersten schweren Tropfen. Na ja, egal, in den Nebenstraßen ist es, wie so oft, eh einiges günstiger. Und meist genauso gut, wenn nicht gar besser und freundlicher, da es dort einfach entspannter als auf einem großen Platz zugeht.
Auf der Piata Sfatului trifft man sich zum Klatsch und Tratsch, schlotzt ein Eis oder knabbert an einem Baumstriezel, während die Kinder auf Minitraktoren im Kreise fahren. Der Rathausplatz bildet ein kleines Idyll inmitten der Altstadt von Kronstadt. Dominiert wird er vom cremefarbenen Casa Sfatului, dem ehemaligen Rathaus, mit seinem 60 Meter hohen Turm. Begonnen hat die Geschichte des Rathauses mit einem einfachen Turm, der über den Stadteingang wachte. Im 14. Jahrhundert stellten die Kürschner ein Ladenhaus dazu, dessen oberes Stockwerk bald als Ratsstube diente.
Doch der barocke Bau hat so einiges mitgemacht. Blitzschlag, Erdbeben und der große Stadtbrand von 1689 setzten dem Gebäude immer wieder zu. Dennoch hielt die Stadtverwaltung bis zum Jahr 1876 an ihren angestammten Sitz fest. Anschließend sah man in dem historischen Bauwerk keinen Nutzen mehr und wollte es Anfang des 20. Jahrhunderts durch einen Neubau ersetzen. Zum Glück haben dies größere Proteste verhindert. So wird das Alte Rathaus heute zumindest als Museum genutzt.
Vorbei am Springbrunnen des Rathausplatzes sticht sofort die Schwarze Kirche, die Biserica Neagra, ins Auge. Sie überragt sämtliche Altstadthäuser von Brasov und ist die größte gotische Hallenkirche in Südosteuropa. 1383 wurde mit dem Bau der Kirche begonnen. Zu der Zeit war Kronstadt ein bedeutendes Handelszentrum zwischen dem Abendland und dem Orient.
Mit dem gewaltigen Gotteshaus wollte man die vielen Fremden, die herkamen, für die katholische Religion gewinnen. Allerdings dauerte es fast 100 Jahre bis zur Fertigstellung. Denn auch Kronstadt musste sich gegen die Türken wappnen, womit der Ausbau der Verteidigungssysteme oberste Priorität genoss. Der heutige Name der Kirche geht auf den großen Stadtbrand von 1689 zurück, dem sie als brandgeschwärzte Ruine ebenfalls zum Opfer gefallen war.
Die Schwarze Kirche wurde zwar wieder aufgebaut und wird auch bis dato regelmäßig restauriert. Trotzdem ist der Platz um sie herum auffallend kahl. An der Kirchwand angebrachte Schilder weisen darauf hin, dass hier sowohl Dachlawinen als auch Steinschlag das Leben gefährden. Der Aufenthalt neben dem Kirchengebäude ist untersagt. Und wenn man genau hinschaut, sind tatsächlich einige Abbrüche im Gemäuer zu sehen.
Der Innenraum hingegen scheint gut gesichert zu sein. In einem Chorraum der Kirche befindet sich das Grab des Johannes Honterus. Der Kirchenreformator und Universalgelehrte trieb das Schulsystem voran, schaffte im großen Umfang Schulbücher an und gründete 1541 das erste humanistische Gymnasium in Südosteuropa. Das Honterus-Gymnasium steht direkt neben der Kirche und ist bis heute deutschsprachig geblieben.
Nach der Kirchenbesichtigung zieht es uns wieder ins Grüne. Westlich der Altstadt führt ein Spazierweg durch den Wald, vorbei am Graftkanal, hinauf zum Schwarzen Turm. Hier war es nicht der Stadtbrand, sondern ein Blitzschlag von 1559, dem der Turm seinen Namen verdankt.
Das pyramidenförmige, postmoderne Glasdach auf dem alten Verteidigungsbauwerk mag seltsam wirken. Doch die meisten Blicke gehen von hier aus zur Altstadt. Hier öffnet sich die schönste Aussicht auf die Schwarze Kirche und wird nun auch die gewaltige Dimension des Gotteshauses deutlich.
Weiter führt der Spaziergang zum 20 Meter hohen Weißen Turm, der diesmal frei in der Landschaft steht. Und auch wenn der Turm für Besucher geschlossen bleibt, bietet die Plattform davor ebenfalls einen schönen Blick auf die Dächer der Altstadt und dem Rathausplatz. Vor allem aber blickt man von hier auf den Brasov-Schriftzug auf dem Hausberg Tampa, den wir ebenfalls noch besuchen wollen. Aber erst geht es wieder die Treppen steil hinab.
Unten befindet sich die Bastei Graft, die den Graftkanal wie eine Brücke überspannt. Auffallend sind hier die Schießscharten und Pechnasen. Aber leider auch einige Graffiti-Schmierereien. Unser Weg führt uns wieder zurück zur Altstadt, in die Pizzeria Strega, wo uns Hexenbilder an der Wand und giftgrüne Limonade daran erinnern, dass wir auch zum Gruseln nach Transsylvanien gekommen sind.
Drachenhaus hört sich ganz gut an für eine Tour durch Transsylvanien. Der Hotelname ist selten ein Entscheidungskriterium für unsere Übernachtungen. Doch das Drachenhaus passt perfekt. Wir bekommen zwei richtig tolle Maisonette-Zimmer zu einem moderaten Preis in ruhiger Lage. Am Morgen erwartet uns ein gutes Frühstück. Was wollen wir mehr?
Vielleicht ein klein wenig Gruselatmosphäre. Und genau die ist eng verbunden mit der günstigen Lage. Denn das einzig gruselige ist die Parksituation, weshalb wir am liebsten eines der Ausflugsangebote vom Hotel zur Burg Bran angenommen hätten. Doch auch das werden wir sicherlich irgendwie selbst schaffen – mit meinem Held, dem Parkplatzflüsterer.