Warum fahren wir ausgerechnet an einem Regentag nach Sinaia? Es schüttet wie aus Kübeln. Die Berge, welche wir bisher immer mal in der Ferne gesehen hatten, sind bei unserer Anfahrt allenfalls schemenhaft auszumachen. Das ist nicht, wie man sich den Sommersitz des ersten rumänischen Königs vorstellt.
Doch wir bleiben guter Dinge, vertrauen darauf, dass die Berge noch da sind, und hoffen, dass der Regen später nachlässt. In zwei Tagen geht unser Rückflug von Bukarest nach Zürich. Mit einem Aufenthalt in Sinaia verkürzen wir die Fahrt vom letzten Tag um ein Drittel. So eingestimmt, kurven wir also Serpentine um Serpentine hinauf in die Südkarpaten.
Schon in Busteni wird deutlich, dass in dieser Region Wintersport groß geschrieben wird. Immerhin gibt es hier die modernste Skianlage Rumäniens. Einige der Anlagen sind auch im Frühling und Sommer für Wanderer in Betrieb. Und da es pünktlich zu unserer Ankunft aufklart, sind wir guter Dinge. Vielleicht reicht die Zeit, um schon am ersten Tag in Sinaia in die Höhe gondeln.
Aber zuerst checken wir mitten in Sinaia, im Hotel New Montana ein. Wir versuchen es zumindest. Denn laut der Empfangsdame sei nur ein Zimmer gebucht. Sie wolle schauen, dass uns ein Beistellbett gebracht wird. Echt jetzt? Erst als wir ihr die Buchungen auf dem Smartphone zeigen, bekommt auch Rita ihr eigenes Zimmer. Natürlich ist der Kollege Schuld an dem Irrtum.
Liegt es an der Höhe, ist die Bergluft in Sinaia schlecht oder trauert man hier der goldenen Zeit als königliche Sommerresidenz nach? Bisher hatten wir die Rumänen als ein sehr liebes Volk kennengelernt. Doch hier oben in den Südkarpaten verblasst dieser Eindruck. Das Personal ist wortkarg, regelrecht unfreundlich und schaut augenblicklich zur Seite, wenn ein Gast auftaucht. Beim Frühstück erlebt Lars eine Premiere: Noch nie hat er solch ein stilles, wortloses Omelett bekommen.
Stattdessen lockert die Hochdruck-Saftmaschine die Stimmung auf und bringt die Kaffeemaschine mit ihrem Mozartgedudel freundliche Töne in den Raum. Eigentlich ist das schade, denn das Frühstücksbüfett ist richtig klasse. Auch sonst ist das Hotel prima. Die Zimmer sind sauber, das Hallenbad groß, lediglich die Sauna ist mit ihren 110 Grad vielleicht etwas heiß. Aber dafür ist sie fast immer leer.
Da Sinaia ein beliebtes Ganzjahres-Urlaubsziel ist, gibt es natürlich eine Reihe an interessanter Sehenswürdigkeiten. Zum einen ist es die Bergwelt des Bucegi Massivs. Da wir ein klein wenig wandern wollen, nutzen wir die Regenpause für eine Bergtour um den Vârful cu Dor. Bleibt noch der Montag für andere Dinge.
Aber wie war das mit den Montagen? Da haben rumänische Museen Ruhetag. Und warum sollte man bei einer Vergangenheit als herrschaftliche Sommerresidenz freundlicher als andernorts gestimmt sein? Andererseits hätte das Schloss Peles angesichts des tristen Wetters wahrscheinlich eh nicht gut gewirkt.
Wir warten also den ersten Regen im Einkaufszentrum gegenüber dem New Montana ab. Beim Blick in die Geschäfte staunen wir, wie billig so manche Elektrogeräte und Smartphones sein können, wenn kein Markenname darauf steht. Aber irgendwas müssen die Rumänen mit ihrem niedrigeren Gehalt ja kaufen können. Auch die Kleiderläden zielen eher auf die heimische Kundschaft ab. Dafür bringt uns die Bedienung im Aussichtsrestaurant eine richtig gute Limonade an den Tisch; und serviert diese sogar mit einem Lächeln im Gesicht.
Als der Regen schließlich nachlässt, spazieren wir durch den Ort. Wir beginnen beim akkurat gepflegten Kurpark mit dem Kasino von Sinaia. Es zählt zu den restaurierten Gebäuden im Zentrum und wird für Besichtigungen geöffnet, nur halt nicht montags. Na gut, weiter geht es immer die lange Hauptstraße entlang durch den Ort. Hier reihen sich alte Märchenvillen an Betonbauten. Wir passieren die Salamandra Villa und das Paltinis Hotel.
Spätestens hier erkennt man, dass das Bergstädtchen einst ein besonderer Flecken Erde war. Nachdem sich der erste rumänische König Carol I. in Sinaia verliebt hatte, ließ er das Schloss Peles als seine Sommerresidenz erbauen. Durch das königliche Interesse kamen bald auch andere Berühmtheiten sowie die Schönen und Reichen hierher. Heute nagt an vielen der herrschaftlichen Villen der Zahn der Zeit. Andere wiederum sind liebevoll restauriert.
Als ich sehr viel später zu Hause die Bilder durchblättere, fällt auf, dass wir uns beim Essen nicht lumpen ließen. »Wir hatten auch deine Mama dabei. Deine Mama lässt mich nicht verhungern!« mault mein hungriger Mann, dem noch unsere Südkorea Rundreise im hohlen Magen liegt. Ja gut, aber was soll man auch Besseres machen, bei solch einem Wetter in Sinaia? Als Irland-Freunde verbringen wir den ersten Abend im Irish House. Das Essen dort ist super. Einzig der Service lässt zu Wünschen übrig.
Unsere Frage, ob wir noch Pilze oder Salami auf der Pizza Gorgonzola bekommen könnten, wird mit einem Vortrag über die Firmenphilosophie quittiert. Auf der Karte stünden 16 verschiedene Pizzen. Da wird ja wohl eine dabei sein, die unseren Ansprüchen genüge. Vom Rezept wird ungeachtet des flauen Betriebs nicht abgewichen. Wir überlegen, gebackene Pilze zu bestellen und einfach selbst auf die Pizza zu werfen. Haben aber Angst, der Koch erwischt uns …
Den nächsten Abend verbringen wir im L'Avalon. Dort werden wir freundlich empfangen. Der sehr junge Ober spricht sogar Deutsch. Die Karte ist wieder italienisch geprägt und bietet eine gute Auswahl. So weit so gut. Leider aber versteht der Ober kein Italienisch, was bedeutet: Er versteht seine eigene Speisekarte nicht. Wo gibt es denn so was? Das Aufnehmen der Bestellung wird allein dadurch zur Geduldsprobe. Wir genießen den Abend trotzdem bei leckerem Wein und deftigem Essen.
Die Ernüchterung folgt mit der Rechnung: Im Gegensatz zu uns hat sich die Chefin auf Barzahlung eingestellt, und bevor sie etwas in ihrer Kasse umstellt, soll mein Mann lieber bei strömenden Regen zum nächsten Bankautomaten rennen. Tut er natürlich nicht, was zu einem kleinen Disput führt. Schließlich aber gibt sie nach und akzeptiert doch unsere Karte. Ja, mein Held und Kassenflüsterer. Wie gesagt, Sinaia zählt nicht zu den freundlichsten Gegenden von Rumänien. Warum auch immer die Leute in den Südkarpaten so sind, Werbung für ein Urlaubsgebiet geht anders.