Viscri | Deutsch-Weißkirch

Musterbeispiel eines sächsischen Dorfes

Kirchenburg Viscri Kirchenburg Viscri

Viscri oder auch Deutsch-Weißkirch ist ein dankbares Ziel auf der fahrt von Schäßburg nach Brosav. Der schmucke Ort soll seine ursprüngliche Siedlungsstruktur bis heute kaum verändert haben. Damit stellt Viscri das Musterbeispiel eines sächsischen Dorfes dar.

Video über Viscri - Deutsch-Weißkirch

Wir besuchen Viscri, das ehemalige Dorf Deutsch-Weißkirch. Es gilt als Musterbeispiel eines sächsischen Dorfes in Siebenbürgen.

Besondere Lage von Deutsch-Weißkirch

Beim Blick auf unsere Karte von Rumänien erkennen wir, warum das Dorf so ursprünglich geblieben ist. Verkehrstechnisch liegt Deutsch-Weißkirch abseits von allem. Wie sollen da neue Strukturen hingelangen? Aus wirtschaftlicher Sicht ist das natürlich zunächst ein deutlicher Nachteil. Mit der Zeit aber rücken eben solche Orte verstärkt in den Fokus des Tourismus'.

Anfahrt nach Viscri

Bei Bunesti verlassen wir die E60 in Richtung Viscri und stehen nur wenige Meter weiter auf einer Schotterpiste der extrem holprigen Art. Wollen wir wirklich in dieses abgelegene Dorf fahren? Schon, allerdings nicht über Bunesti. Denn am Dorfende empfängt uns eine Barriere mit der Info, dass die nächsten sieben Kilometer nach Viscri wegen Bauarbeiten voll gesperrt sind. Laut einem Dorfbewohner ist die Zufahrt nur über Rupea möglich.

Neue Straßen nach Deutsch-Weißkirch

Rupea steht wegen seiner Festung ebenfalls auf unserem Programm. Doch so wird der geplante Umweg über Viscri zu einem größeren, zeitaufwendigeren Abstecher. Zumal unser Navi für die letzten zwölf Kilometer fast 40 Minuten veranschlagt. Wir wagen es und sehen, dass die Straße von Rupea bis zum Dörflein Stein ja schon einmal ganz ordentlich ist. Die Überraschung folgt bei Stein.

Eine nagelneue, perfekt ausgebaute Straße lässt die berechnete Fahrzeit auf einen Bruchteil zusammenschmelzen. Drei Bautrupps sind noch unterwegs und erledigen kleinere Restarbeiten an der Randbefestigung. Insgesamt aber ist Viscri nun superschnell über eine tolle Fahrbahn und ohne Holpern zu erreichen. Das wird den Bewohnern sicher Freude bereiten. Oder vielleicht auch nicht?

Weltkulturerbe der UNESCO

Exakt am Dorfeingang endet die Ausbaustrecke, sodass wir uns auf der nächsten staubigen Piste im Ort wiederfinden. Anders als bei der Landstraße wird sich hier in Sachen Ortssanierung in Zukunft wohl wenig ändern. Denn die UNESCO hat neben der hiesigen Kirchenburg gleich den kompletten Ort auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt. Und das zurecht, denn das im 12. Jahrhundert von den Siebenbürger Sachsen gegründete Deutsch-Weißkirch, heute Viscri, ist ein Idyll aus sächsischen Höfen. Wir sind so begeistert, dass wir prompt die Verbotsschilder missachten und dem Navi schnurstracks zum eingegebenen Ziel, dem Cafe Artizanat, folgen. Das Café befindet sich am Fuße der Kirchenburg. Bei unserer Planung hatte ich dort den perfekten Ausgangspunkt für unsere Dorfbesichtigung ausgemacht.

So also holpern wir entlang der Langgasse und dann die Neugasse hinauf. Autos stehen hier keine. Sind wir die einzigen Gäste im Dorf? Natürlich nicht, bloß die einzigen, die ihr Auto mit hierher nehmen. Die Dorfbevölkerung selbst besteht hauptsächlich aus Rumänen und Roma. Auch in Deutsch-Weißkirch sind die Siebenbürger Sachsen abgewandert.

Viele der Dorfbewohner lebten oder leben noch immer in einer problematischen wirtschaftlichen Lage. Trotzdem sind ihre Häuser gepflegt und werden die sächsischen Höfe nach wie vor bewirtschaftet und instand gehalten. Manche der Bürger erzählen, sie kämen kaum über die Runden. Andere hingegen nutzen ihre Chance. Immerhin hat sich Viscri längst zu einem Touristenmagnet entwickelt. Einige sehen das mit Argus Augen.

Die Schattenseite des Tourismus'

So wurde mir bereits eine »Touristik-Romantik« unterstellt, woraufhin ich mich bei den Rumänen selbst erkundigt habe. Inzwischen ist es nämlich so, dass Viscri dem Ansturm trotzen muss. Busse, Wohnmobile und Autos parkten, wo immer sie wollten und verschandelten das Ortsbild. Zudem störten sie die Dorfbewohner. Ein größerer Parkplatz musste her und sollte so gelegen sein, dass die Gäste ein gutes Stück bis zur Kirchenburg zu Fuß zurückzulegen haben.

Auf der anderen Seite motzten die Busfahrer wegen der schlechten Zufahrtsstraße und drohten, Viscri gar nicht mehr anzufahren. Zuletzt wehrten sich viele Bewohner vehement gegen den Straßenausbau, weil sie fürchteten, dann vollends überrollt zu werden. Sie wollen kein zweites Bran werden und setzen lieber auf Öko-Tourismus. Irgendwie hat alles seine Vor- und Nachteile.

Deftig versorgt im Cafe Artizanat

Zumindest aber nutzen heute einige Familie den Tourismus als zusätzliche Einnahmequelle. Und das auf sehr dezente Art. So zum Beispiel das Cafe Artizanat, bei dem wir uns zum Mittag eine deftige Suppe mit frischem Bauernbrot gönnen. Bereits vor uns ist eine wandernde Männergruppe aus der Schweiz eingetroffen, was man fast schon als einen größeren Ansturm bezeichnen könnte. Doch es ist genug für alle da und jeder wird versorgt. Bei dem Café bekommen wir zugleich einen Einblick in den sächsischen Baustil.

Denn die in Reih und Glied gebauten Häuser mit ihren Höfen sind normalerweise kaum einsehbar. So stehen die Giebelfassade der Wohnhäuser und die Toreinfahrt in der Regel zur Straßenseite. Stallgebäude und Scheunen ziehen sich dann weit nach hinten. Das Artizanat hat seine Ställe in ein Café umgewandelt und einen kleinen Souvenirshop angegliedert. Und wer Angst hat, er müsse mit einem alten Donnerbalken vorlieb nehmen, wenn's pressiert, wird sich wundern, wie modern und sauber das freistehende Toilettenhäuschen ausgebaut ist.

Die Kirchenburg von Viscri

Vom Cafe Artizanat führt ein Pfad am Friedhof vorbei, hinauf zur Kirchenburg von Deutsch-Weißkirch. Schon wenn man davorsteht, erkennt man, dass hier eine der kleineren Kirchenburgen von Siebenbürgen steht. Doch auch wenn alles sehr gedrungen wirkt, finden wir alle wesentlichen Elemente einer Kirchenburg.

Sechs Wehrtürme überragen die Burganlage auf ihrem Hügel über Viscri. Im 14. Jahrhundert wurde die Kirche nach den ersten Türkeneinfällen befestigt. Der doppelte Mauerring folgte im 17. Jahrhundert. Wie bei den meisten Kirchenburgen wurde auf besondere Kunstwerke am Bau verzichtet. Trotzdem wurde auch diese Kirchenburg niemals von Feinden eingenommen.

Wohn- und Vorratsräume als Museum

Interessant finden wir das kleine Museum, das in den ehemaligen Wohn- und Vorratsräumen eingerichtet ist. Neben der Ausstellung von Alltagsgegenständen, Möbeln und Trachten, wird hier die straffe Organisation der typischen Sachsendörfer beschrieben. Besonders in Deutsch-Weißkirch haben sich die Nachbarschafts-Strukturen lange gehalten.

Armer Boden und die schwierigen Zuwege erklären, warum Weißkirch nie ein reiches Dorf war. So beschreibt Misch Orend: »Hier ist die Zeit stillgestanden, vierhundert Jahre sind vorbeigegangen, und noch immer ist in Haltung und Bewegung, in Bauweise und Tracht das ausgehende Mittelalter da«. Die Dorfbewohner mussten sich schon immer auf einfache und funktionelle Dinge und Lösungen beschränken.

Organisierte Nachbarschaften als Lebenshilfe

Außerdem mussten die Dorfbewohner zusammenhalten. So schlossen sich die einzelnen Familien zu organisierten »Nachbarschaften« zusammen. Es bildeten sich soziale Strukturen. Man half sich gegenseitig beim Hausbau oder bei der Feldarbeit. Es gab in Holz geschnitzte Nachbarschaftszeichen, die für mündliche Benachrichtigungen von Haus zu Haus getragen wurden. Die Zeichen waren hauptsächlich für Versöhnungen, Begräbnisse oder für den Richt- und Sitttag gedacht. Das Zeichen für Begräbnisse durfte jedoch nie in den Hof hinein getragen werden, da es sonst den Tod hätte bringen können.

Der Aberglaube verlangte, dass solange geklopft wird, bis der Nachbar herauskommt und ihm die Nachricht übermittelt werden konnte. Solche Strukturen waren üblich für die Dörfer der Siebenbürgen Sachsen. Doch sind diese Wirtschaftsformen so ziemlich überall dem Lauf der Zeit zum Opfer gefallen. Einzig die Baustruktur von Weißkirch konnte sich über die Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart halten, was das Dorf zum Kulturdenkmal Europas und zum Weltkulturerbe gemacht hat.

Spaziergang durch Viscri

So eröffnet einem selbst diese eher kleine Kirchenburg neue Einblicke in die hiesige Kultur. Und obgleich Viscri wenig mit Bran zu tun haben will, so hat es doch seinen ganz eigenen, wenn auch nur kleinen Vampir. Als die Autorin Angela Sommer-Bodenburg in den 1990er Jahren Viscri besucht hatte, ließ sie sich von der Kirchenburg inspirieren. In ihrem Roman lebte die Familie Schlotterstein nach der Heimkehr aus Transsylvanien im Keller der Kirche. Wir indes wollen noch etwas vom Dorf sehen und verlassen den Burgberg über die Neugasse. Es gibt nur wenige Straßen in Viscri, die sich dafür ziemlich in die Länge ziehen.

Es ist ruhig geworden im Dorf. Auch das Cafe Artizanat hat inzwischen sein großes Tor geschlossen. Uns begegnen hauptsächlich Hühner, freilaufende Kühe und eine weitere Touristengruppe. Es sind die Belgier, denen wir zwei Tage zuvor in der Gräfenburg Kelling begegnet sind. Siebenbürgen ist ein wirklich kleiner Landstrich. Bleibt die Frage, wo genau das Haus des Prinzen Charles, dem Prince of Wales, steht? Er zählt zu den prominenten Feriengästen des Ortes und hat mit seiner Stiftung ein Haus gekauft. Und auch wenn er nur selten Zeit für einen Besuch findet, so macht er anderen Mut, in ihre Häuser zu investieren.

Ökotourismus und Kaffee aus der Luxusmaschine

Es gibt inzwischen einige Unterkünfte für Gäste. So stehen wir bald vor dem nächsten blauen Haus mit offenem Tor. Auch hier erwartet uns ein liebevoll eingerichtetes Café in einer ehemaligen Scheune. Altes trifft hier auf Moderne.

Denn Öko-Tourismus hin oder her, hier gönnt man sich eine Luxuskaffeemaschine, um seinen Gästen den perfekten Milchkaffee bieten zu können. Wir nehmen gerne an und genießen in Ruhe die restliche Zeit in Deutsch-Weißkirch.

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