Wir wollen hinauf zum obersten Krater des Ätna. Doch am Abend regnet es sich allmählich ein, bevor in der Nacht regelrechte Schauer auf Sizilien nieder gehen. Nun gut, Sizilien hat im April durchschnittlich vier bis fünf Regentage. Da muss man damit rechnen und sein Programm auch mal kurzfristig ändern.
So wollen wir am nächsten Morgen erst vorsichtshalber in den Süden zur Cava Grande anstelle zum Ätna und damit wahrscheinlich in das nächste große Unwetter fahren. Ein Blick zum Himmel aber lässt mich stutzen, sehen die Wolken doch irgendwie aus, als könnte es später aufklaren. Wir entscheiden, unser Glück mit dem Vulkan zu wagen.
Bereits bei Castiglione beobachten wir, wie sich immer wieder Sonnenstrahlen vereinzelt bis auf die verschneiten Nordhänge des Ätnas durch kämpfen, auch wenn die mittleren Lagen des Bergs von einem dichten Wolkenband verdeckt bleiben. Auf den Serpentinen zwischen Linguaglosse und der Wander- und Skiregion Ätna-Nord aber ändert sich das Bild zusehends.
Immer wieder halten wir an, um schnell ein paar Bilder von einem der nördlichen Vulkangipfel aufzunehmen. Was gar nicht so einfach ist. Denn während die Gipfelregion durch den Schnee blendend hell ist, erstrecken sich vor uns tiefdunkle Lavafelder. Ein Kontrast, der schlimmer kaum sein könnte.
Ein Stück weiter kommen wir schließlich zum Rifugio Citelli, einem eher gewöhnungsbedürftigen Rasthof für Wanderer, bei dem es außer einem dunklen Wolkenband über der Ostküste Siziliens, einem Grillplatz und den Beginn mehrerer Wanderwege nicht viel zu sehen gibt. Außer, dass sich über dem Gipfel immer mehr blaue Flecken am Himmel zeigen. Also flugs zurück zum Auto und auf zum Rifugio Sapienza oder: auf ins Glück!
»Pass auf, bis wir oben sind, ist der Himmel heiter«, prophezeie ich Annette, als wir Zafferana Etnea passiert haben und wieder auf dem Weg nach oben sind. Tatsächlich trüben nur noch dünne Schleierwolken die Sicht hoch zur Gipfelregion,
während die Wolken entlang der Küste hinter uns zurück bleiben. Anstelle von kurzen Stopps können wir die Fahrt nun richtig genießen, ohne Angst haben zu müssen, dass der Gipfel im nächsten Augenblick wieder verschwunden sein könnte.
Eine knappe Stunde nach unserem Halt beim Rifugio Citelli erreichen wir das touristisch deutlich besser erschlossene Rifugio Sapienza. Weil es hier oben einen Tag zuvor Neuschnee gegeben hat, bietet sich uns ein herrlicher Ausblick über die Vulkanlandschaft mit all ihren verschiedenen Rot-, Braun-, Grau- und Gelbtönen und eben dem Weiß der in der Sonne brutzelnden Schneeflecken. Wir sind uns einig: die Fahrt hat sich schon jetzt gelohnt.
Nachdem wir uns einen ersten Überblick über die ausgeschilderten Krater, der natürlichen Grotte vom 18. Juli 2001 (genau zwei Jahre vor unserer Hochzeit) und den touristischen Einrichtungen verschafft haben, nehmen wir als Erstes den Crateri Silvestri in Angriff. Auf geht’s!
Schon wenige Meter von der Straße und einem Rasthaus entfernt passieren wir ein Schild, das das Rodeln im Krater untersagt, und können gleich danach in einen Nebenkrater des Crateri Silvestri blicken.
Zugleich wird damit klar, dass diese Tour eine windige wird. Aber darauf hatten wir uns eingestellt. Also Windjacken zugezogen und rauf auf den Kraterrand!
Wow, Wind ist ja gut, aber dass wir uns gegen einen ausgewachsenen Sturm stemmen müssen, das hatten wir nicht gehofft. Anderen geht es nicht besser. So beobachten wir mehrere Vulkanisten, die an den besonders windexponierten Stellen des Vulkans schräg laufen und ihre Mütze und Taschen krampfhaft fest halten müssen, um ja nichts zu verlieren. Was nicht jedem gelingt, wie auf dem angrenzenden Lavafeld herum liegende Utensilien und leider auch Unrat beweist.
Der Aufstieg aber ist ein Muss. So hätten wir am Morgen nicht gedacht, wie schnell wir beim Rifugio Sapienza schon in den ersten größeren Krater schauen können. Auch die offenen Kegel mehrerer umliegender Krater und selbst ein kleiner, vom Vulkan bisher verschonter Wald,
lassen sich vom Silvestri sehr gut überblicken. Und der Sturm? Meine Güte, dafür haben wir hier freie Sicht bis zur Gipfelregion des Ätna. Nach dem Rundgang um den Krater aber gehen wir erstmal ins Rasthaus, um uns aufzuwärmen und von der kurzen Strapaze zu erholen.
Eine Cola Light später nehmen wir den Aufstieg zum Krater von 2001 in Angriff und brechen zur ersten richtigen Tour auf den Ätna auf. Ein Schild direkt neben der natürlichen Grotte verrät, dass es nur 20 Minuten bis hoch zum Kraterrand sind. Allerdings sind diese 20 Minuten alles andere als ein gemütlicher Spaziergang.
Denn abgesehen davon, dass der Weg ewig steil ist, rutschen wir auf dem Geröll immer wieder mal ein Stück bergab. Als wir das obere Teilstück erreichen und damit aus dem Windschatten kommen, bläst uns der Wind außerdem feinsten Lavasand ins Gesicht, den zwei Jungs vor uns los getreten haben.
Dann aber haben wir den Aufstieg bewältigt - und stehen damit erneut im Sturm. Um nicht zu sagen, es zieht wie Hechtsuppe! Egal, denn zum einen hatten wir uns darauf eingestellt und zum anderen eröffnet sich uns vom Rand des Crateri del 2001 eine herrliche Sicht über die tiefer gelegenen Lavafelder, den südwestlichen, schneebedeckten Gipfeln des Ätna und in den mustergültigen Trichter des Silvesterkraters. Wir sind fasziniert. Uns bläst es fast weg.
Mühsam kämpfen wir uns auf dem Trampelpfad rund um den Krater vorwärts. Zum Glück setzt der Wind immer mal wieder für einige Sekunden aus, so dass wir in den ruhigeren Momenten unsere Blicke über die Kraterlandschaft schweifen lassen können. Als wir den Krater von 2001 umrundet haben, sind wir aber auch froh, dass wir auf einem noch jungen Grat Richtung Gipfelregion abbiegen können und den Wind für den nächsten Abschnitt im Rücken haben.
Als wir eine Stelle erreichen, wo der Weg nach rechts in einen Bereich schwenkt, der vom Rifugio Sapienza nicht einzusehen ist, entscheiden wir, stattdessen einen Abhang mit Lavasand hinunter zu laufen. Er liegt im Windschatten und fühlt sich unter den Füßen wie eine Sanddüne an. Damit schlittern wir in das nächste Erlebnis und machen immer größere Schritte, dann Sprünge, bis wir die Vulkandüne schließlich mehr herunter schlittern als laufen.
Unten angekommen, finden wir uns in einer völlig windstillen Senke wieder. Nachdem wir ein Schneefeld überquert haben, nutzen wir das schöne und warme Wetter zu einer Pause sowie zur Entsandung der Wanderschuhe, bevor wir auf der anderen Seite des Lavafeldes zu dem nächsten größeren Krater kraxeln und schließlich zum Parkplatz zurück kehren.
Nun wollen wir es wissen und den Sonnenschein für eine Tour in die Gipfelregion nutzen. Also auf zur unteren Station der Ätna-Seilbahn und brav angestanden. Die Fahrt nach oben ist teuer, sie ist richtig teuer.
Nach unserer Erfahrung vom Poas-Vulkan in Costa Rica aber, bei der wir für den Ausflug ebenfalls eine Menge gezahlt hatten, obwohl der Vulkan später gar nicht zu sehen war, ist es uns das Wert. Zumal eine Reiseleiterin angibt, dass es sich heute lohnt, bis ganz nach oben zu fahren.
Weil die Seilbahn wegen Wind außer Betrieb ist, müssen wir eine Weile warten. Dann aber geht alles ganz flink und sitzen wir bald in einem der geländefähigen Allradbusse. Oder besser gesagt: werden wir in einem derselben durchgeschüttelt.
In der noch jungen, sich immer wieder ändernden Vulkanlandschaft gibt es natürlich keine asphaltierten Straßen, dafür aber jede Menge Schlaglöcher, in denen der Bus hin und her geworfen wird.
Nach einem viel zu langen Zwischenhalt am oberen Ende der Seilbahn wird der nochmals steilere Weg von zwei meterhohen Schneewänden begleitet. Vor allem die Kinder sind davon begeistert, da der Schnee stellenweise so weit hoch ragt,
dass ihn keiner mehr vom Bus aus überblicken kann. Oben auf rund 3000 Meter über dem Meer angekommen, sind wir in der Region, in der sich niemand ohne einen Bergführer aufhalten darf. So heißt es zumindest.
Nachdem alle ausgestiegen sind, brauchen wir etwas, um herauszufinden, welcher Bergführer uns begleiten soll. Da wir bald feststellen, dass er sich gar nicht groß für uns interessiert, lassen wir ihn jedoch mit der überwiegend italienischen Gruppe hinter uns zurück.
Deutsch und Englisch spricht er eh nicht und um ein von der Lava umschlossenes Gebäude (unterm Schnee) zu finden, reichen uns die paar Handzeichen, mit denen er andere dorthin schickt.
Hatten wir schon das tolle Wetter erwähnt? Es ist wirklich kaum zu glauben. Während wir unten fast vom Kraterrand geweht wurden, können wir den Spaziergang zu einem der jüngeren Krater bei einem lauen Lüftchen genießen. Da kaum etwas los ist, haben wir außerdem freie Sicht auf die herrliche,
verschneite Vulkanlandschaft. Auch ist es in der Sonne trotz des Schnees angenehm warm. Wie er sich überhaupt noch auf dem warmen Untergrund hält, ist uns ein Rätsel. Denn so wie wir ein Schneefeld überquert haben, wird uns unter unseren Füßen angenehm warm.
Ein paar Meter weiter oben verzweigt sich der Weg. Wer möchte, kann hier weiter am Kraterrand laufen. Die allermeisten Besucher aber wählen wohl die Route durch den Krater. So stehen auch wir bald an einer Stelle, von der wir ein gutes Stück weit in den Kratertopf hineinblicken können.
Während sich rund um das schwarze Loch mehrere Schichten Schnee türmen, steigt aus der tiefen Mitte Dampf auf, der an der Luft kondensiert. Offenbar ist es reiner Wasserdampf. Denn als uns der warme Nebel ins Gesicht schlägt, spüren wir nur Feuchtigkeit.
Weiter oben auf dem Kraterrand eröffnet sich uns eine schöne Sicht auf die südlichen Krater des Ätna und, nach Norden, zu den dampfenden und rauchenden Gipfeln des Ätnas. Wie die meisten Besucher sind auch wir schwer beeindruckt, fühlen uns frei und sind froh, die Fahrt auf den Ätna gewagt zu haben.
Schon wieder auf dem Rückweg, folgen wir dem Beispiel einer Jugendgruppe, die es sich auf dem Kraterrand gemütlich gemacht hat. Augenblicklich spüren wir die aufsteigende Wärme der Lavasteine. Wühlt man mit den Händen ein wenig im Lavaschotter, wird es sogar bald fast schon zu heiß. Toll, einfach toll!
Gerne wäre ich noch länger oben geblieben. Aber da Annette etwas angeschlagen war und nicht riskieren wollte, den ganzen Weg bis zur Basisstation hinunter laufen zu müssen, fahren wir bald wieder zur oberen Station der Seilbahn.
Offenbar hat sich der Wind allgemein abgeschwächt. Denn die letzten 581 Höhenmeter können wir bequem in einer der geschlossenen Gondeln zurück legen und damit das Abenteuer Ätna gemütlich ausklingen lassen.