Bei der Fahrt nach Kandy halten wir vor einem Hindutempel. Überall wuseln Kinder um uns herum. Sie sind Tamilen, die sich den Platz vor dem Tempel als günstigen Ort für das Abgreifen von Süßigkeiten ausgesucht haben. Eine Frau sieht sich plötzlich von ihnen umringt, als sie kleine Tüten Haribo verteilt. Drei junge Frauen schlendern über den Platz. In unserer Nähe betet ein Mann.
In beiden Händen hält er eine Kokosnuss, führt sie immer wieder an die Stirn und geht dabei ab und zu leicht in die Knie. Das Schauspiel dauert ein paar Minuten, dann aber hebt er die Frucht und schmettert sie mit voller Wucht auf ein Brett. Im nächsten Augenblick ist er verschwunden, das Opfer ist gegeben, nun soll es ihm Glück bringen. Uns bringt es nasse Füße.
Kandy selbst ist heute mit über 100.000 Einwohnern nach Colombo die zweitgrößte Stadt auf der Insel und wird vor allem am Tage durch die vielen Arbeitskräfte aus der Umgebung verkehrstechnisch nahezu erdrückt. Unüberhörbar dröhnen die schweren Hupen der großen Reisebusse über das "mäkmäk" der kleinen Tuc Tucs hinweg.
Von irgendwo aus der Mitte der Stadt ist das Pfeifen des überfüllten Zuges zu hören. Türen zu gibt es hier nicht, weder in der dritten Klasse der maroden Personenwaggons noch in den öffentlichen Bussen, die sich neben den alten Lastern und Ochsenkarren durch die schmalen Straßen drängeln.
Unser Reisebus ist zum Glück mit Klimaanlage ausgerüstet und bietet durch seine Höhe einen guten Überblick über das bunte Treiben. Außerdem aber ist er zu ungelenk, als dass er uns über die steilen Serpentinen zum Hilltop,
einem früheren Kolonialsitz, fahren könnte. Wir müssen aussteigen, befinden uns für einen kurzen Moment zu Fuß im Straßengetümmel wieder und werden dann auch schon von einem kleinen Shuttlebus zum Hotel gebracht.
Programmgemäß fahren wir zum Zahntempel, dem früheren Königspalast von Kandy. Seit einem Anschlag durch tamilische Rebellen werden hier verschärfte Sicherheitskontrollen durchgeführt.
Daher gibt es vor dem eigentlichen Weg zum Tempel eine Sicherheitsschleuse, in der Frauen und Männer getrennt kontrolliert werden. Vielleicht, denn von uns scheint so wenig Gefahr auszugehen, dass wir durchgewinkt werden.
Auf der anderen Seite der Schleuse führt ein Weg zum eigentlichen Eingang des Zahntempels. Direkt vor dem Palast gibt es übrigens noch einen unbewachten Querweg, welcher ebenfalls zum Eingang führt. Natürlich gibt es auch hier geschäftstüchtige Singhalesen, die den gläubigen Buddhisten Opferblumen und den Touristen Elefantenreiten anbieten. Früher noch, so verrät man uns, wurden die Blüten umsonst an die Gläubigen verteilt. Aber damit konnte offenbar auch niemand seinen Lebensunterhalt bestreiten.
Der Zahntempel gilt als buddhistischer Mittelpunkt Sri Lankas. Hier wird in einem mehrfach verschlossenen Schrein angeblich ein heiliger Zahn des Religionsbegründers aufbewahrt. Weil die Stätte dadurch hochheiliger Boden ist, muss man seine Schuhe am Eingang zur Aufbewahrung abgeben. Natürlich könnte man sie auch einfach stehen lassen, der Geschäftssinn der Schuhverwalter aber kann leicht dazu führen, dass die guten Schuhe später nicht mehr zu finden sind.
Im Juli/August wird eine Nachbildung des Zahns in einer Prozession, der Esala Perahera, durch die Straßen von Kandy getragen, ansonsten aber sind weder das Original im dem goldenen Schrein noch die Kopie zu sehen.
Vor dem Schrein häufen sich die Opferblumen auf mehreren Tischen. Die Luft ist drückend, aber das ist erst zu merken, nachdem man sich an das Dämmerlicht gewöhnt hat. Überall beten Gläubige andächtig, viele, vor allem ältere Buddhisten, sitzen auf dem Boden und sind tief in ihrem Geist versunken. Wir selbst wollen die andächtige Ruhe nicht stören und verlassen die heilige Stätte bald wieder. Der nächste Programmpunkt wartet schon.
Auf dem Weg zu einer Aufführung der Kandy-Tänze kommen wir am Queen’s Hotel vorbei. Unser Leiter erzählt uns, dass dies eines der schönsten Hotels im Ort sei.
Der Lärm aber sei sehr schlimm für das Hotel. Der Grund, warum auch wir nicht in der Stadt, sondern weiter oben auf einem Hügel Quartier bezogen hatten.
Es ist noch etwas Zeit bis zur Vorstellung und so werden wir durch den Markt von Kandy geführt. Dieser gilt seit Jahren als (Geheim-) Tipp bei Touristen und wird dementsprechend oft von Touristen durchquert. Schön anzusehen sind die vielen Obststände, wo die Verkäufer ihre Ware zu »Apfelzöpfen« und einigen anderen Gebilden hübsch arrangiert haben. Alles wirkt sehr frisch und ist liebevoll dargeboten.
Fast schon möchte man allein deshalb nichts kaufen, damit die schöne Ordnung erhalten bleibt. Leider aber ist auch den Marktverkäufern von Kandy nicht entgangen, dass Touristen zuweilen locker sitzendes Geld mit sich herumtragen. So war ein zweiter Aufenthalt am nächsten Tag nur wenig erquickend und fotografieren mochten wir auch kaum, nachdem uns alle zwei Meter »nur schauen« etwas angeboten wurde.
Am kolonialen Uhrturm vorbei, gelangen wir mit der Gruppe in eine Art Theater. Keiner möchte sich in die erste Reihe sitzen. Gut, dann sitzen wir halt da. Bis die Vorstellung beginnt, werden uns im Fünf-Minuten-Takt Getränke und Cashewkerne angeboten.
Endlich geht es los, das Licht wird für einen Moment verdunkelt. Ruhe kehrt ein. Irgendwo tritt jemand gegen eine Colaflasche, die klirrend über den Boden rollt, dann schon setzen die beidseitig gespannten Geta-Bera-Trommeln ein. Bei genauem Hinhören lässt sich erkennen, dass die beiden Seiten mit verschiedenen Schlagfellen bezogen sind: Hart gespannte Kuhhaut im leichten Kontrast zu dem sanfteren Bauchfell der Rhesusaffen. Hm - gut, so genau haben wir dann doch nicht hingehört.
Die Trommeln, das kann ich trotz meiner unmusikalischen Ader bestätigen, geben den Takt an. Dazu führen die Kandy-Tänzer die traditionellen Tänze der Singhalesen auf. Junge Frauen wirbeln über die Bühne und verrenken ihre Leiber zu immer neuen Figuren. Der Hochzeitstanz wird aufgeführt. Er gilt als der klassischste aller Hochland-Tänze. Bei rasanten Drehungen müssen die Tänzer auf die charakteristische Beuge von Ellenbogen und Knie achten.
Uns fällt besonders ein alter Trommler ins Auge. Er ist sehr viel kleiner als die anderen und wirkt zäh, knorrig. In seinem offenen Mund ist ein einzelner Zahn zu erkennen. Der Zahn Buddhas? Nein, doch nur das Überbleibsel in einem sonst zahnlosen Mund eines alten Mannes, der sich ein paar Euros verdient.
Nach der Show werden wir beim Ausgang aufgehalten. Feuerspucken wird als Zugabe geboten. Die jüngeren Männer rollen die brennenden Fackeln über ihre Arme und wirbeln von einer zur nächsten Seite.
Schließlich betritt der erste die glühenden Kohlen, die vor der staunenden Menge ausgeschüttet wurden. Ein zweiter tut es ihm nach. Dann ist die Show vorbei und die Akteure sammeln mit feurigen Eifer die Trinkgelder ein.
Am Nachmittag ziehen wir auf eigene Faust durch die Stadt. Kandy ist zwar eine Großstadt, aber die Orientierung fällt dennoch sehr leicht. Auf einem Hügel thront eine große Buddha-Statue über Kandy, in der Ortsmitte findet man den Uhrturm und auf der, vom Hotel Hilltop aus gesehen, anderen Seite der Stadt befindet sich der Zahntempel mit dem Kandy-Lake. Der letzte ist unser Ziel. Uns wurde empfohlen, im Hotel nachzufragen, wie viel eine Fahrt mit dem Tuc Tuc kostet. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass der Fahrer den doppelten Preis verlangt.
Kein Problem, also geschwind einen Angestellten gefragt, was wir für die Fahrt mit dem Tuc Tuc zu zahlen haben... Ein paar Minuten später begreifen wir schließlich, dass er den Ausdruck »Tuc Tuc« nicht kennt. Daher zur Erklärung: Tuc Tuc ist die deutsche Bezeichnung für das dreirädrige Motorradtaxi. Als Begriff ist »Tuc Tuc« zwar an der Küste überall bekannt, im Zentralland von Sri Lanka aber empfiehlt es sich, nach einem Threewheeler oder aber nach einem Trisha zu fragen.
Nach atemberaubender Fahrt durch drei bis vier »beinahe« Unfälle kommen wir wieder beim Queen´s Hotel an. Beim Spaziergang um den Milchsee finden wir wenigstens ein Dutzend schöne Perspektiven, aus denen wir den Zahntempel unbedingt fotografieren müssen. Der größte Teil des Uferweges wird von hohen Bäumen beschattet und so fällt uns das Gehen trotz der Mittagshitze leicht.
Im Wasser schwimmen Wasserwarane und in den Bäumen über uns hängen hunderte von Flughunden. Auf den abgestorbenen Ästen, die träge im Wasser liegen, sonnen sich Kormorane und am hinteren Ende des Sees entdecken wir sogar einen Pelikan.
Der Weg führt uns an einem Museum vorbei, welches aber derart uninteressant sein soll, dass wir es links liegen lassen. Lieber schon beobachten wir die Affen, die sich in der Nähe des Zahntempels über Essensreste und anderem Müll hermachen. Ein paar Singhalesen verteilen Reis und verschiedene Saucen an Bedürftige.
Hungern muss hier offensichtlich keiner, sonst würde nicht soviel für die Affen übrig bleiben. Ich muss aufpassen, denn ab und zu interessiert sich einer der geschickten Kletterer für unsere Kamera.
Auf dem Rückweg kommen wir wieder ein weiteres Mal am Queen´s Hotel vorbei und finden ein paar Schritte weiter den Royal Pub. In der Nähe vom Eingang drückt eine Frau schnell ihr Baby an die nackte Brust, ein paar Rupies zu erhaschen. Sie hat Pech. Später erfahren wir, dass sie schon vor zweieinhalb Jahren vor dem Pub gebettelt hat. Damals allerdings noch mit ihrem ersten Baby.
Im Innern des Pubs ist es deutlich kühler. Auch hier umfängt uns noch ein Hauch vergangener Zeiten, als die Insel fest in Händen englischen Kolonialherren war. Hier lässt es sich durchaus eine zeitlang aushalten, etwas bekümmern tun mich allerdings die vielen Leute, die draußen ihre Hand für ein Almosen aufhalten. Als wir den Pub wieder verlassen, sitzt die junge Frau immer noch beim Eingang. Tatsächlich sieht sie gar nicht so hilfsbedürftig aus und wird es außerdem sehr viel leichter haben als der Einarmige mit dem hässlichen Gesicht ganz in ihrer Nähe.
Längst schon waren die Gebiete entlang der Küste fest in europäischer Hand. Verloren die Portugiesen ihre eroberten Küstenabschnitte an die Holländer und die Holländer ihre etwas erweiterten Bereiche später an die Krone von England.
Ganze drei Jahrhunderte noch konnte die alte Hauptstadt Kandy, das frühere Senkadagalapura, den verschiedenen Kolonialherren trotzen, bevor auch sie, und mit ihr der Rest des singhalesischen Königreichs, sich der Fremdherrschaft beugen musste.
Am späten Nachmittag kommen wir in Kandy an. Nachdem wir den Zahntempel, die Show der Kandytänzer und den botanischen Garten Peradeniya bereits bei unserer ersten Sri Lanka-Reise angeschaut hatten, unternehmen wir diesmal lediglich einen Spaziergang am Kandy-Lake, auf der Hauptstraße sowie über den Markt.
Als Vorteil einer kleinen Gruppe bringt uns Biankara mit dem Bus ins Zentrum der Stadt. Zudem erklärt Saman, dass wir für die Rückfahrt für die zwei Tuc Tucs auf keinen Fall mehr als insgesamt 400 Rupien zahlen sollen. Das läge immer noch über dem Preis, welchen die Einheimischen bezahlen müssten.
Zurecht, wie sich später herausstellt. Denn die Fahrer wollen zwar die genannten 400 Rupie. Diese allerdings pro Tuc Tuc. Nach dem Rat von Saman erklären wir, dass wir am Tag zuvor nur 200 Rupie pro Fahrzeug zahlen mussten und nicht einsehen, auf einmal mehr zahlen zu müssen.
Nach etwas hin und her können wir uns schließlich durchsetzen. Ohne Saman hätten wir sicherlich mehr bezahlt.
In der Stadt selbst fällt uns auf, dass es jetzt sehr viel ordentlicher als vor drei Jahren ist. Der Müll ist weitgehend von der Straße und den Gehwegen verschwunden. Stattdessen werben Schilder für ein sauberes Kandy und entdecken wir ein paar Stadtarbeiter, welche die einstige Königsstadt in Ordnung halten.
Am See lohnt außerdem ein Blick in die Baumwipfel. Denn in ein paar der großen Bäume warten hunderte Flughunde auf den Einbruch der Nacht. Und mit etwas Glück entdeckt man am Ufer einen Wasserwaran.
Noch während wir schauen, welcher Weg uns auf den Gemüsemarkt führt, kommt ein Singhalese auf uns zu. Zum Markt? Kein Problem. Er zeigt uns den Weg. Allerdings nicht so, dass wir zum Haupteingang kommen, sondern zu einem Seiteneingang. Bei erneutem Zögern ist der nette Mann dann auch schon wieder zur Stelle.
»Kommen Sie, kommen Sie, hier sind Sie richtig.« Natürlich sind wir das. Denn so hat er uns direkt zu seinem Stand gelotst. Immerhin aber hält er uns die anderen Händler ein wenig auf Distanz, sodass wir nicht bei jedem Stand angesprochen werden.
Hier kosten die Gewürze nur ein Bruchteil dessen, was in den Gewürzgärten bei Matale verlangt wird. Die Qualität ist in der Regel genauso gut. Immerhin kaufen hier vor allem die Einheimischen ein, welche sich nicht so leicht schlechte Ware andrehen lassen. Dass uns der Mann vom Anfang über den Markt begleitet, stört tatsächlich kaum. Denn zumindest erklärt er uns, was alles in den Auslagen feil geboten wird und was wofür benutzt wird.
Klar, bei jedem Geschäft wird er sich später einen kleinen Anteil holen. Aber das ist es Wert. Als er erfährt, dass ich Journalist bin und für die eigene Homepage fotografiere, leuchten seine Augen. »Das ist gut, dann sehen andere die Bilder und kommen wieder mehr Urlauber nach Sri Lanka«, erklärt er.
Tatsächlich lassen sich einige Händler gerne fotografieren oder fragen sogar danach, bevor sie aus irgendeinem Eck ein kleines Album herausziehen. Die meisten Aufnahmen zeigen den jeweiligen Händler, zusammen mit einem oder zwei Urlaubern.
Natürlich haben sie sogleich ihre Adresse auf ein Stückchen Papier gekritzelt oder (kaum leserlich) gestempelt und stellen damit klar: zugesandte Fotos sind hier immer willkommen.