Nachdem wir uns an der Westküste zwei Tsunami-Gedenkstätten angeschaut haben, besuchen wir in Kosgoda die Victor Hasselblad Turtle Hatchery.
Das heißt, das neue Victor Hasselblad Sea Turtle Research And Conservation Centre, da die alte Schildkrötenfarm von den Wellen komplett weggerissen wurde.
Während ein mittlerweile fast zur Unleserlichkeit verblichener Zeitungsartikel am Eingangsbereich von der Zerstörung der Kosgoda-Farm berichtet, sehen die neuen Gebäude einiges robuster aus. Auch müssen die im Sand vergrabenen Eier nicht mehr mit Plastiktüten vor den Vögeln geschützt werden, da der gesamte Brutbereich jetzt mit einem Drahtgeflecht überspannt ist.
Den alten Mann und Gründer der Schildkrötenfarm, Fernandez, sehen wir nicht, erfahren aber, dass er den Tsunami heil überstanden hat. Wohl aber seien alle Schildkröten ins Meer geschwemmt worden und konnten auch nur zwei wiedergefunden werden.
Bevor zu den Becken kommen, zeigt uns ein Mitarbeiter ein paar (leere) Eier und erklärt uns, dass an der Küste von Sri Lanka fünf der weltweit nur sieben Meeresschildkrötenarten vorkommen.
Um diese zu schützen, kauft die Farm am Strand gefundene Eier auf, sodass diese nicht in »wir-rotten-alles-aus-Restaurants« landen. Weiter geht es zu den frisch geschlüpften Schildkröten.
Wie kleine Aufziehspielzeuge paddeln die ein bis drei Tage alten Babys durch das Wasser. »Dann ist der Bauchnabel geschlossen und lassen wir sie ins Meer frei«, erklärt der Angestellte. Während wir vorsichtig ein bis zwei dieser Babys aus dem Becken nehmen, fischt unser Fahrer, Biankara,
gleich eine ganze Handvoll Schildkröten aus dem Wasser. Fasziniert schaut Hans-Werner auf das Gewimmel, als ihm Biankara die Schildkröten in beide Hände legt. Dann aber kommen die kleinen wieder schnell ins Wasser, wo sie einfach weiterpaddeln, als sei nichts geschehen.
Anschließend geht es in den Laden der Farm. Wer typische Souvenirs aus Sri Lanka mit nach Hause nehmen will, hier findet er alles wichtige: aus Muscheln und Schnecken gefertigte Schildkröten, aus Holz geschnitzte Elefanten und Masken, Tücher, Tassen, T-Shirts und Ansichtskarten. Alternativ freut sich die Farm aber natürlich auch über eine kleine Spende, die hier gut aufgehoben zu sein scheint.
Als der junge Fernandez beim Spielen sah, wie Fischer im Meer gefangene Schildkröten auf den Rücken legten, um sie später für den Kochtopf oder als todschicken Aschenbecher zu verkaufen, bekam der kleine Junge Mitleid mit den Meerestieren. Anstatt sie den Fischer zum Verkauf zu überlassen, drehte er die vielen der Sonne preisgegebenen Tiere wieder um und rettete ihnen das Leben.
Weniger erfreut über die Rettungsmaßnahme waren jedoch die Fischer, die sich durch den Achtjährigen um ihre Beute gebracht sahen - in der nächsten Nacht wurde Fernandez von ihnen windelweich geschlagen. All Prügel aber konnte Fernandez nicht davon überzeugen, dass es richtig sei, Schildkröten zu fangen und zu töten. Statt dessen blieb ihm dieses knüppelharte Ereignis so sehr in Erinnerung, dass er sich bereits im Kindesalter schwor, sein Leben den Schildkröten zu widmen.
Tatsächlich gründete Fernandez später in der Nähe von Ahungalla die Turtle Hatchery Kosgoda als erste Schildkrötenfarm auf Sri Lanka. Das Prinzip seiner Arbeit ist dabei recht einfach: um dem Verzehr von angeblich potenzsteigernden Schildkröteneiern zuvorzukommen, bietet Fernandez den »Findern« von Eiern ein paar Rupies mehr als sie von den singhalesischen Feinkostschlachtern bekommen würden.
Finanziert wird das ganze durch Spenden der Besucher bzw. dem Souvenirverkauf innerhalb der Schildkrötenfarm, ein Eintrittsgeld nämlich verlangt Fernandez nicht.
Der Eingang der Farm sieht recht unspektakulär aus, es gibt zwar ein paar kleine Hinweisschilder, die mit verwaschener Schrift verraten, wo man sich gerade befindet, Kassenhäuschen, Kiosk und all die anderen typischen Tourismuseinrichtungen aber gibt es hier nicht.
Fernandez selber spricht kaum Englisch, von deutsch gar nicht erst zu reden, dafür aber begleitet uns der Tuctuc-Fahrer, der uns vom Hotel dorthin gefahren hatte, durch die Anlage und übernimmt zugleich den Part des Reiseleiters.
Wir kommen zu ein paar größeren Sandkästen, in denen kleine Schilder, L.T. oder G.T. jeweils mit einem Datum versehen, stecken.
Um den Schildern herum ist der Sand ein wenig angehäuft und über einem dieser Hügel liegt eine alte Plastiktüte. Schon dachten wir, ein paar zu bestaunende Sandburgen (wie sonst sollte es auch aussehen, wenn Schildkröteneier ausgebuddelt werden?) wären alles, was es in der Turtle-Hatchery zu sehen gab, als sich Fernandez bückte, die Tüte beiseite schob und im Sand zu buddeln begann.
Wenig später krabbelten ein paar Minischildkröten auf seiner Hand, die er an uns weiterreichte, um die nächsten Babys aus dem Sand zu holen. »Die Tüte dient zum Schutz vor den Vögeln«, erklärte derweil unser Fahrer, während wir erstmals kleine, zappelnde Karettschildkröten in der Hand hielten. Schon zog Fernandez die Tüte wieder über den Sandhügel und führte uns in den hinteren Teil der Anlage, wo sich mehrere Bassins befinden.
Auch das Babybassin wird durch ein Gitter vor Möwen und Krähen geschützt.
Unzählige Karett- und Lederschildkröten tummeln sich in dem hellen Wasser, und schon bald haben wir »unsere Babys« aus den Augen verloren.
Neben der Aufzucht der jungen Schildkröten - sie müssen am dritten Tag ins Meer entlassen werden, sonst verlieren sie ihren natürlichen Instinkt - beherbergt Fernandez aber auch ausgewachsene Tiere wie eine seltene Albinoschildkröte oder eine fauchende Greenturtle, welche Fernandez »Bin Laden« nennt.
Gut möglich, dass wir für unsere Souvenirs - aus kleinen Muscheln gebildete Schildkröten - zu viel gezahlt haben. Am Abend jedenfalls sollten wir auf Bitte von Fernandez unbedingt nochmals einmal in die Turtle Hatchery Kosgoda zurückkehren, um auch ein paar der kleinen Schildkröten am Strand auszusetzen.
Dieses Mal nicht nur mit dem Tuc Tuc-Fahrer unterwegs, sondern außerdem in Begleitung seines deutsch sprechenden Bruders (=Reiseleiter, der einen auch sehr gerne zu einer Mondsteinmine oder sonst wohin bringt) kommen wir also kurz vor Sonnenuntergang ein zweites mal zur Farm.
Fernandez will freundlich sein und gibt uns in westlicher Manier die Hand. Nun ja, vielleicht sollte er lieber bei der singhalesischen Form der Begrüßung bleiben. Es würde ihm niemand verübeln - und etwas anfassen, was wie ein totes Stück Fleisch hingehalten wird, ist ja auch nicht jedermanns Sache. Sei’s drum.
Wieder führt uns Fernandez zu dem Becken mit den kleinen Schildkrötenbabys und drückt Annette einen Eimer in die Hand (geht doch). Auf geht’s zum Schildkrötenbabysfischen:
mit geübter Hand holt Fernandez eine Schildkröte nach der anderen aus dem Bassin, schaut geschwind, ob sich der Nabel an der Unterseite schon geschlossen hat, und - wenn dies der Fall ist, setzt er die drei Tage alte Schildkröte in den Eimer. Auch ich versuche mein Glück, erwisch aber nur Schildkröten, bei denen der Nabel noch einen kleinen Spalt weit offen ist und muss sie alle wieder ins Becken zurücksetzen. Dennoch kommen rasch zehn kleine, mit den Beinchen flappende Schildkröten zusammen.
Zusammen mit dem Tuc Tuc-Fahrer, unserem neuen »Reiseleiter« sowie dem Sohn von Fernandez durchqueren wir einen Palmenhain, der die Farm vom Strand trennt. Einen richtigen Weg gibt es nicht, dafür aber ein wackliges Brett, was über eine kleine feuchte Rinne gelegt ist. Entlang eines völlig fehl am Platz wirkenden Stacheldrahtzaunes gelangen wir schließlich zum Strand.
Ein paar Krähen befinden sich in der Nähe, also dürfen noch keine Schildkröten ausgesetzt werden. Zu groß wäre die Gefahr, dass die kleinen Dinger schon gefressen werden, bevor sie überhaupt das Wasser erreicht haben. Der Junge sammelt am Strand ein paar kleine Steinchen, um die Vögel vom Strand zu vertreiben. Auch der Tuc Tuc-Fahrer hilft ihm und dennoch geht es ein paar Minuten, bis sich die Vögel nicht mehr blicken lassen.
Endlich ist es soweit, können die Schildkröten einigermaßen gefahrlos ausgesetzt werden. Wer nun aber denkt, dass eine Schildkröte sofort los wetzt, wenn sie erst einmal Sand unter sich spürt, der irrt oder hat bisher nur Green Turtles ausgesetzt. Die anderen nämlich kommen nur ganz allmählich von der Stelle, bleiben immer mal wieder stehen und eine ist sogar in die falsche Richtung gerannt.
Obwohl, eigentlich auch kein Wunder. Denn wer würde sich schon im zarten Alter von nur drei Tagen in einen derart riesigen Ozean stürzen? Einzig den Green Turtles kann es gar nicht schnell genug gehen, dass sie ins Wasser kommen.
So einfach aber ist es dann doch nicht, denn kaum werden sie von der ersten Welle getroffen, finden sie sich sogleich ein bis zwei Meter höher am Strand wieder. Tatsächlich gelingt es den meisten Tierchen erst nach mehreren Versuchen, sich von einer Welle ins Meer hinaustragen zu lassen.
Lange noch schauen wir ihnen nach, wie sie am Rande des riesigen Indischen Ozeans immer wieder mal ihre Köpfchen aus dem Wasser strecken, dann aber verlieren wir sie schließlich doch aus den Augen. Ein Blick zum Palmenhain lässt uns aufatmen - keine der Krähen ist bisher zurückgekommen und mittlerweile hat sich auch schon die Abenddämmerung über die Bucht gelegt. Die erste Gefahr haben unsere Schildkrötenbabys damit heil überstanden.