»Bevor Du eine Rundreise durch Südafrika planst, nehme die Umrisse des Landes und lege sie über Europa.« Würden wir auf die Idee kommen, Deutschland, Frankreich und weite Teile Italiens in eine einzige Reise zu packen? Wohl kaum. So haben wir uns bei unserer Selbstfahrerreise mit dem eigenen Auto auf den Nordosten Südafrikas mit den Regionen Mpulanga, Gauteng und Limpopo konzentriert. Wir haben gut daran getan. Denn auch bei dieser auf den ersten Blick gar nicht so gewaltigen Tour kamen über 4.300 Kilometer im eigenen Leihwagen zusammen. Für eine Selbstfahrerreise durch Südafrika braucht es damit vor allem eines: gutes Sitzfleisch.
Für den Fahrer ist außerdem eine starke Ausdauer hinter dem Lenkrad von Vorteil. So verführen die schnurgeraden und endlos langen Straßen durch dünn besiedelte, über den Horizont ragende Landschaften dazu, in der Konzentration nachzulassen. Auf der anderen Seite zählt eben diese Weite und Stille - oft auch Menschenleere - zu den Reizen des Landes. So waren wir in einer Lodge nahe Tshipise die einzigen Gäste. Aber was heißt die einzigen Gäste? Ab dem späten Nachmittag waren wir komplett alleine auf dem weitläufigen Areal. Und haben später eine andere Lodge entdeckt, die völlig aus der Welt zu sein scheint.
Zugleich hat uns das Land mit einer Fülle ganz unterschiedlicher Eindrücke verwöhnt. Neben den Big Five in Pilanesberg und im Kruger Nationalpark haben wir mit Nilpferden, Stachelschweinen und Bushbabies jede Menge, oft seltene Tiere beobachten können. In der Gegend um Pretoria sind wir in eine Diamantenmine abgetaucht und haben das Smuts-House besucht, das eng mit der frühen Geschichte der Buren und Südafrikaner verbunden ist. Ein Abstecher in die Region Provinz KwaZulu-Natal hat uns mit den Drachenbergen eine Landschaft eröffnet, die allein für sich schon eine Reise wert ist. Und nicht zuletzt ist es die Gästen gegenüber offene Freundlichkeit und Gelassenheit der Südafrikaner, die uns gleich zu Beginn überrascht und bis zum Abschluss bei Carletonville begleitet hat.
Normalerweise sind wir es, die unsere Reiseziele wählen. Bei Südafrika verhielt es sich anders. Hier hat sich das Reiseziel uns ausgesucht. Aber der Reihe nach:
Ein Jahr zuvor erlebten wir eine wunderschöne Hausboottour auf dem Canal du Midi. Durch die Vielzahl an Schleusen kommt es auf dem Kanal regelmäßig zu Wartezeiten. Und eben diese eröffnen einem reichlich Möglichkeiten, mit anderen Bootstouristen ins Gespräch zu kommen. Verwundert mussten wir dabei feststellen, dass auffällig viele Neuseeländer und Südafrikaner auf dem Kanal unterwegs sind. Was bewegt diese Leute dazu, eine Hausboottour im Süden Frankreichs zu unternehmen? Auf die Südafrikaner übt das Wasser eine fast magische Anziehungskraft aus.
So komme ich bei einer der Doppelschleusen mit Bernard ins Gespräch. Wie ich hat auch er die Arbeit außerhalb des Bootes übernommen. Also helfen wir uns gegenseitig mit den Seilen. Kurz bevor sich unsere Wege trennen, meint er, wir sollen ihn mal in Südafrika besuchen. Klar, immer gerne. Flugs gebe ihm ich eine Visitenkarte, auch wenn ich der spontanen Einladung nur wenig Bedeutung beimesse. Denn trotz mittlerweile unzähliger Reisebekanntschaften hält sich die Anzahl der Rückmeldungen doch in engen Grenzen. Zudem werden Südafrikaner in Südafrika-Foren zwar als umgänglich und offen beschrieben. Andererseits aber auch als sehr oberflächlich.
Einige Wochen später steht unser Bericht über die Midi-Pyrénées vor seiner Vollendung und plane ich pünktlich zur Adventszeit den nächsten Sommerurlaub. Es soll eine große Balkanrundreise mit Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina werden. Sowie die einzelnen Stationen feststehen, erreicht uns eine E-Mail aus Südafrika. Es ist Bernard, der fragt, wann wir ihn und seine Familie besuchen kommen wollen? Ich bin ehrlich.
Südafrika stand bisher nie auf unserer Wunschliste. Besser gesagt: auf meiner. Weit verbreitete Berichte über die hohe Kriminalität sind keine Werbung. Außerdem waren wir ja bereits in Namibia … Lars hingegen ist sofort hellauf begeistert. Wir reden uns noch etwas Bedenkzeit während einer Rundreise durch Myanmar ein. Tatsächlich aber steht schon am Tag der Einladung fest: Wir reisen nächsten Sommer nach Südafrika.
Trotzdem bleibe ich skeptisch. Soviel habe ich mit Bernard nun auch nicht geredet. Und an sein Aussehen kann ich mich nur blass erinnern. Warum lädt er uns überhaupt ein? Hat er einen Löwen im Garten und sucht Lebendfutter? Da hilft auch sein Versprechen wenig, dass wir mit seiner Einladung keinerlei Verpflichtungen eingehen. Ja, wenn ich Futter für meinen Löwen bräuchte, würde ich das auch behaupten. Doch was meint Lars dazu?
»Das wird schon irgendwie passen.« Er vertraut den Nachrichten von Bernard, der bald einige Ausflugsziele in Südafrika vorschlägt. So stellen wir eine Rundreise durch den Nordosten des Landes zusammen, welche sich hauptsächlich auf Natur und Tiere konzentrieren soll. Und auch wenn mir bei dem Gedanken, völlig fremde Leute zu besuchen, etwas flau im Magen wird, wächst die Vorfreude auf die Reise auch bei mir von Tag zu Tag.
Wir wollen so viel wie möglich von Südafrika haben. So sparen wir uns den obligatorischen Urlaubstag fürs Packen. Stattdessen holt mich Lars von der Arbeit ab und müssen wir drei Stunden später nur noch aufs Taxi zum Flughafen warten. Blöd nur, dass sich ausgerechnet dieses um über zwanzig Minuten verspätet. Nach der inzwischen riesengroßen Vorfreude wächst damit auch meine Nervosität bis weit über jedes gesunde Maß. Natürlich kommen wir trotzdem rechtzeitig in Zürich-Kloten an, und sitzen dann auch schon bald im Flieger. Zur Feier des Tages ergattert Lars beim Einsteigen zwei Gläser Sekt. So genießen wir den guten Service der Swiss und schlummern langsam der Nacht entgegen. Immer mit dem guten Gefühl, am nächsten Morgen in Südafrika aufzuwachen.
Kurz nach neun Uhr landen wir pünktlich am Flughafen O. R. Tambo bei Johannesburg. Nun hoffen wir auf eine zügige Einreise. Augenblicke später lehrt uns die Ausländerschlange bei der Passabfertigung jedoch Besseres. An eine baldige Einreise ist hier nicht zu denken. Gelangweilt sitzt manch ein Zollbeamter in seinem Schalter. Eigentlich könnten sie auf sich aufmerksam machen, wenn der nächste an der Reihe ist.
Aber warum sollten sie, wenn auch die einreisenden Schwarzen vor sich hin träumen, anstatt sich zu den Zöllnern zu begeben? Zum Glück ergreift bald eine ungeduldige Europäerin (nicht ich!) die Initiative und verteilt die Wartenden auf die einzelnen Schalter. Damit läuft es schon schneller. Währenddessen drehen bereits unsere Koffer ihre Runden auf dem Ausgabeband.
Nach einer kleinen Ewigkeit sollen wir am Ausgang unseren Heureka-Moment erleben, wenn wir Bernard wiedersehen, besser: wieder erkennen. Beschrieben hat er sich als attraktiven, bärtigen Mann mit Glatze und intelligentem Gesichtsausdruck. Lars hingegen hat uns als die einzigen beiden Deutschen aus einem Schweizer Flieger beschrieben, die einen bärtigen Mann mit intelligentem Gesichtsausdruck suchen. Prima, damit bleibt mir die Hoffnung, dass ein Witzbold den anderen erkennt.
Ich habe Glück. Kaum betreten wir die Ankunftshalle und sehen uns einer Vielzahl von Gesichtern gegenüber, als uns Bernard auch schon winkend entgegeneilt und mich fröhlich umarmt. Plumps macht es, als mir der wochenlang gezüchtete Stein der Ungewissheit vom Herzen fällt. Das war also der nette Mann vom Canal du Midi, klar. Sarie, seine Nachbarin, ist auch dabei. Sie wird uns die nächsten beiden Tage begleiten.
Jetzt kann es richtig los gehen. Wir wollen nur noch geschwind an einen Geldautomaten. Doch Bernard meint, da wo wir hinfahren, brauchen wir kein Geld. Für eine unerwartete Verzögerung sorgt stattdessen der Ticketautomat vom Parkhaus. Leider akzeptiert er weder Geldscheine noch Kreditkarten. Dann aber kann es los gehen zu einer Feriensiedlung in Bushveld. Der Weg dorthin führt uns zunächst nach Pretoria. Denn in unserer kleinen Gruppe fehlt noch Sonja, Bernards Frau.
Sie war die letzten fünf Tage mit ihrer Mutter im Krüger Nationalpark und wartet nun auf uns. So lernen wir eine erste typische Wohnanlage von Pretoria kennen, wo wir mit Tee und belegten Brötchen empfangen werden. Wir sitzen im Garten der Oma und fühlen uns bei eigentlich fremden Leuten so wohl, als wären wir zu Hause. Der Gedanke, wir könnten als Löwenfutter enden, ist längst obsolet. Es scheint eher, als erwarteten sie ein europäisches Paar mit einem Löwenappetit.