Unser erstes Ziel in Südafrika ist das Game Reserve Shona Langa nahe Bela-Bela. Von Pretoria bis zur Farm von Bernards Bruder liegen damit gut zwei Stunden Autofahrt vor uns. Nach dem langen Flug wäre das eine gute Gelegenheit, um etwas Schlaf nachzuholen. Tatsächlich aber setzen sich Aufregung und Freude spielend gegen jeden Anflug von Müdigkeit durch. Wir sind pausenlos am Plappern.
Nebenbei sammeln wir erste Eindrücke von den Straßen Südafrikas, die besser als erwartet sind. Doch wie war das mit dem Gepäck, das vor fremden Blicken geschützt im Auto verstaut sein sollte? Bernard fährt einen Safari-4x4er, der bis unters Dach sichtbar voll gepackt ist. Abschließen und andere Sicherheitsmaßnahmen seien eigentlich nur in den Städten wichtig. Na gut!
In der Umgebung von Bela-Bela halten wir kurz am Straßenrand. Es fehlt noch Brennholz für unser Braai am Abend. Auch ein Sack voll Mandarinen passt noch irgendwie in den Fußraum des Jeeps. Kurz darauf sind wir im Bushveld. Wir passieren endlose Zäune riesiger Lodges und Farmen. Die Straße selbst verläuft hier schnurgerade. Links und rechts von uns tauchen erste Impalas, Wasserböcke und Warzenschweine auf.
Hin und wieder stolziert ein Strauß entlang des Zauns oder kreuzen Paviane die Straße. Mitten im Erzählen wundert sich Bernard irgendwann über die näher kommenden Berge. An die kann er sich gar nicht erinnern. Ob er weiß, wo sein Bruder wohnt? Nach einem kurzen Telefonat wissen wir, dass wir vor gut 20 Kilometern am Ziel vorbei gerauscht sind. Aber das kann in dieser Gegend passieren. Es sieht ja alles gleich aus.
Wir wenden und fahren zurück zur Einfahrt mit dem riesigen Schild zum Shona Langa. Das Schild war mir schon bei der Vorbeifahrt aufgefallen. Aber kann ich wissen, wo wir hinwollen? Kurzum: Bernard stellt auf den nächsten Metern seine Multitasking-Fähigkeiten unter Beweis. Er rumpelt den Jeep über eine Naturpiste, lässt Saries (und meine) Häme über sich ergehen und macht zu all dem auch noch eine gute Miene.
Dann halten wir auch schon vor dem imposanten Eingangsgebäude der Shona Langa-Anlage. Das soll die Farm von Bernards Bruder sein? Ja, er wusste nicht so genau, wie er es sonst nennen sollte. Genaugenommen ist Shona Langa ein großes privates Game Reserve, in dem man sich ein Wochenendhäuschen oder auch ein Wohnhaus mitten in der wilden Natur kaufen kann.
Wie die umliegenden Farmen ist auch das Shona Langa Reserve umzäunt und schwer bewacht. Hier kommt nur rein, wer darf, und jeder muss sich am Eingang anmelden. Auf staubigen Wegen geht es nun immer tiefer in den verdorrten Busch. Sarie verspricht uns einen wunderschönen Platz für unser Zelt. Na prima. Doch kurz darauf stehen wir vor einem richtig schönen Haus, umgeben von Busch und Wald.
Anstatt eines Zeltes bekommen wir ein tolles Zimmer mit riesiger Fensterfront zum Garten mit Pool. Wir sind im Nebenhaus untergebracht, das wir mit Bernards Sohn Erling und dessen Freundin Nicole teilen. Es gibt ein gemeinsames, aber schönes Bad – hier lässt es sich wohlfühlen. Jetzt schnell die Koffer auf und … Oh, irgendwie hat sich das Zahlenschloss verstellt. Doch halb so schlimm. Zunächst muss eh erst das Auto ausgeräumt und das viele Essen und Trinken in der Küche verstaut werden.
Und im Anschluss wird erst einmal auf der Terrasse mit Knabbereien, südafrikanischem Gebäck und Tee ausgeruht und natürlich wieder geredet und erzählt und geredet … Schließlich müssen wir uns von den anderen losreißen. Denn wir sind ja nach Südafrika gereist, um das Land und die Natur zu entdecken. So brechen wir zu einem Abendspaziergang auf. Immerhin sind wir in Shona Langa, was soviel heißt wie »der Ort, an dem die Sonne untergeht«.
Für unseren Abendspaziergang gibt mir Bernard eine Karte über das Game Reserve Shona Langa. Auf dem Areal leben jede Menge Tiere, die aber alle ungefährlich sein sollen. Da Bernard selbst ein großer Naturliebhaber ist, beschließt er, uns durch das Reserve zu führen. Wir stapfen also zu dritt über die staubigen Wege und genießen die wärmende Abendsonne. Die Tiersichtungen jedoch halten sich in Grenzen. Einzig ein paar Schopffrankoline, die zur Familie der Fasanenartigen zählen, huschen vor uns über den Weg. Im Sand selbst entdecken wir etliche Fangtrichter der Ameisenlöwen.
Dafür weiß Bernard einiges über das viele dornige Gestrüpp und die Bäume zu erzählen. Nach diesen sind auch die Wege im Shona Langa benannt. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir den großen See des Game Reserve. Im Licht der Dämmerung tummeln sich Weißbrustkormorane und Löffler in ihrem Nachtlager auf den Bäumen.
Apropos Nacht: es wird langsam dunkel und Sonja hat extra betont, dass wir vor der Dunkelheit zurück sein müssen. Leider fehlt es Bernard etwas an Orientierung. Wo denn ist die Karte sei? Ja, die habe ich im Haus liegen gelassen, nachdem Bernard gemeint hat, dass er mitkommt.
Unser schlauer Lars orientiert sich an den restlichen Sonnenstrahlen, später am Mond, zuletzt an den Sternen. Wann wird uns Sonja wohl suchen kommen? Egal, denn plötzlich erscheint direkt vor uns ein Nyala in der Dämmerung. Der Nyala oder auch Flachland-Nyala, der zur Gruppe der Waldböcke gezählt wird, galt lange Zeit als eine der seltensten Antilopenarten.
Durch Schutzmaßnahmen und Zuchtprojekte, wie sie auch das Shona Langa Reserve betreibt, konnten sich die Bestände wieder erholen. So blickt uns das Tier neugierig, aber auch vorsichtig entgegen. Auf seinem Rücken sitzt ein Madenhacker und befreit es von Ungeziefern. Das Männchen unterscheidet sich stark vom Weibchen, weil es neben den Hörnern auch eine buschige Mähne trägt.
Schöne Sache, doch wird es nun wirklich Zeit, zurückzukommen. In Südafrika wird es sehr schnell dunkel und an künstlicher Beleuchtung wird im Bushveld natürlich gespart. Zum Glück führt uns Lars' Orientierungssinn zu einer beschilderten Kreuzung, von der es nur noch ein kurzer Rückweg zum Haus ist. Augenblicke später herrscht im Bushveld stockfinstere Nacht. Jetzt brauche ich nur noch etwas warmes zum Anziehen. Denn mit der Dunkelheit wird es rasch empfindlich kühl. Damit stehe ich wieder vor meinem zwischenzeitlich vergessenen Kofferproblem. Leider lässt sich das Zahlenschloss auch mit X Versuchen nicht öffnen. Zum Glück sind solch verschlossene Koffer für Südafrikaner nicht mehr als eine leicht zu lösende Lappalie. Bernard holt eine Säge und schon hab' auch ich einen warmen Pullover zum Anziehen …
Im Bushveld herrscht nachts eine herrliche Ruhe. So schlafen wir schnell ein, sind am nächsten Morgen früh wach und gut ausgeruht. Da wir trotz der frühen Stunde schon Stimmen hören, machen wir uns geschwind zurecht und wechseln ins Haupthaus. Dort sitzt bereits die ganze Familie im Schlafanzug auf der Couch und trinkt den Morgenkaffee. Sie haben auf uns gewartet, wollten uns nach der Anreise und dem ersten langen Tag aber ausschlafen lassen. Da frühmorgens die beste Zeit für Tierbeobachtungen ist, verzichten wir vorerst aufs Frühstück. Später wird es einen Brunch geben. Doch jetzt gilt es, als früher Vogel den Wurm zu fangen. Mit anderen Worten: Schon bald nach dem Morgenkaffee brechen wir auf geht es raus in die Natur.
In der Garage stehen einige Fahrräder. Wir können uns zwei aussuchen und diesmal auf eigene Faust eine Fahrradsafari starten. Diesmal nehme ich die Karte vom Reserve mit und schon kann es los gehen. Tatsächlich sind wir kaum unterwegs, als wir in der Ferne auch schon eine Herde Zebras erkennen. Ja, heute Morgen haben wir offenbar mehr Glück mit den Tieren als gestern Abend.
Wir radeln nochmals an den See und hoffen, die Löffler in der Morgensonne besser sehen zu können. Leider haben die meisten ihr Nachtlager längst verlassen. Wir wagen uns trotzdem über zwei wacklige Brücken zu den Vogelbeobachtungsstationen. Den gebrochenen Stützbalken unter dem Gebälk der ersten Brücke versuchen wir zu ignorieren, gehen aber vorsichtshalber nur einzeln darüber hinweg.
Von den Schutzhütten aus sehen wir wieder Weißbrustkormorane, Löffler und weiße Reiher. Wir genießen eine Weile die Aussicht, die Ruhe und unsere Mandarinen. Es ist immer ganz wichtig für Südafrikaner, dass sie immer etwas zum Essen mitnehmen, egal wohin. Und als perfekte Gastgeber haben sie natürlich auch uns vor der Tour mit Obst versorgt.
Auf dem weiteren Weg entdecken wir Impalas, Wasserböcke und eine Gruppe Störche. Schließlich begegnen wir auch unserer südafrikanischen Familie, welche lieber mit dem Auto über die Staubpisten kurvt. Heute fällt uns die Orientierung im Reserve einiges leichter. Nur mit einer Lande- bzw. Startbahn für kleine Flugzeuge hatten wir weniger gerechnet. Doch selbst diesen kleinen Luxus gönnt man sich im Bushveld. Dann wird es auch schon Zeit, zum Haus zurückzukehren.
Die anderen treffen kurz nach uns ein und legen gleich los, alles für den Brunch zuzubereiten und zu kochen. Südafrikaner frühstücken ähnlich, wie wir zu Mittag essen. Das Gleiche gilt für einen Brunch. Wie schon am Abend wird wieder unglaublich viel zum Essen aufgetischt.
Hungern muss hier niemand. Bevor es ans Schlemmen geht, ist jedoch ein gemeinsames kurzes Gebet angesagt, welches Bernard für alle spricht. Für uns ist das ungewöhnlich. Die warmen Worte geben uns aber ein schönes Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Nach dem Brunch sitzen wir auf der Terrasse. Während Bernard begeistert unseren mitgebrachten Bildband vom Schwarzwald durchblättert, löchern uns die anderen mit Fragen über Europa, Deutschland und wie wir leben. Erling hat einen Zeitungsbericht über einen Mann ausgeschnitten, welcher täglich durch die Isar zur Arbeit schwimmt. Ob wir ihn kennen? Nein, woher auch? Wir wundern uns nur darüber, was für Themen für südafrikanische Zeitungen interessant sind.
Allmählich wird es Zeit für Siesta. Denn die Südafrikaner halten Mittagsschlaf oder zumindest eine Mittagsruhe. Es ist die bereits zweite ungewohnte Situation für uns innert weniger Stunden. Auf uns allein gestellt, sind wir ständig unterwegs und finden von früh bis spät kaum Ruhe. Wir müssen uns dringend umstellen …
Gut erholt – na ja, dank der üblichen Hummeln im Hintern ruhen wir nur kurz – schleichen wir nach unserer Siesta schon bald wieder durchs Haus. Bernard will für später das Braai vorbereiten. Wir sollen nochmals alleine auf Tour gehen, diesmal aber motorisiert. Er gibt uns seinen Geländewagen. Das ist ja nett. Da es mindestens vier Handgriffe braucht, um den Motor zu starten, übernimmt er dies geschwind. Sekunden später sind wir wieder unterwegs durchs Bushveld.
Wie am Morgen dauert es nur wenige Minuten, bis wir das erste Tier in der Ferne entdecken. Es ist eine Giraffe, die mitten auf der Straße steht. Um sie nicht zu verschrecken, fahren wir nur ganz langsam weiter. Als wir nah genug dran sind, stellt Lars den Jeep schräg in die Straße und macht den Motor aus.
So können wir beide aus dem Seitenfenster sehen. Die Giraffe beobachtet uns zwar, doch sie scheint uns zu mögen. So verweilt sie noch einen Moment, bevor sie zum Fressen wieder in die Büsche trabt. Sooo schön …
Die Tiere in Ruhe zu beobachten, ist natürlich schöner, als wenn der Motor die ganze Zeit läuft. Als wir weiterfahren wollen, rächt es sich jedoch. Denn Lars Versuche, den Motor erneut zu starten, quittiert der Wagen nur mit Piepsen und leisem Hupen. Sonst macht der Diesel keinen Wank. Prima, darf ich jetzt zurückrennen und Hilfe holen? Wir haben Glück. Hinter uns kommt ein offener Geländewagen
Es ist ein geführter Game Drives. Sie hätten eh die Straße verlassen müssen, um an uns vorbeizukommen. Da kann ich sie auch gleich anhalten und um Hilfe bitten. Na, wer sagt es denn, der Fahrer bekommt unseren alten Isuzu nach ein paar Versuchen wieder zum Laufen. Praktischerweise zeigt er Lars außerdem, welche Handgriffe dafür alle nötig sind. Es kann weitergehen ...
Es ist schon komisch. Bei unserer Ankunft im Game Reserve hatten wir gedacht, dass wir per pedes mehr sehen würden und auch mit dem Fahrrad näher an die Tiere herankommen als mit dem deutlich lauteren Auto. Tatsächlich verhält es sich genau umgekehrt. Während sie zum Mensch eine recht hohe Fluchtdistanz einhalten, interessieren sich die Tiere kaum für das Auto. Sie blicken zwar auf, fressen dann aber zufrieden weiter. So sichten wir neben weiteren Impalas und Wasserböcke nun auch Graulärmvögel, Elsterwürger, Zebras, Gnus, Giraffen und eine kleine Schlankmanguste.