Allmählich schließt sich unsere Runde durch den Nordosten Südafrikas. Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es zurück zu Bernards Familie bei Carletonville. Die beiden Südafrikaner vom Abendessen hatten uns noch gefragt, was uns denn dorthin verschlägt? Auf Anhieb fiel ihnen gar nichts ein, was es dort gebe. Doch! Unsere nette Gastfamilie, auf die wir uns richtig freuen. So sind wir bald unterwegs und durchfahren einsamste Landstriche im Freistaat.
In gewaltigen Abständen durchstreifen wir mehrere Siedlungen. Oft bestehen diese aus kaum mehr als einer Handvoll Häuser. Lars witzelt über die hiesige Jugend: »Sagt der eine: 'Ich hab jetzt 'ne Freundin im Nachbardorf.' darauf der andere 'Oh, Fernbeziehung; das funktioniert nie!'« Aber es ist wirklich so. Wer hier etwas Abwechslung sucht, muss dafür irre weite Wege in Kauf nehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass vor den wenigsten Häusern Autos stehen.
Da die Luft auf der Hochebene extrem diesig und die Aussicht über die monotone Landschaft mau ist, verzichten wir auf Stopps. Leider führt uns die Route nicht einmal an einem einladend wirkenden Café vorbei. Beides führt dazu, dass wir deutlich vor der abgemachten Zeit Carletonville erreichen. Da Bernard und Sonja heute arbeiten, sollten wir uns bis drei Uhr mittags Zeit lassen. Gut, dann suchen wir halt in Carletonville nach einem Café. Oder nach einer Pizzeria? Oder überhaupt irgendwas?
Kann man hier nirgendwo einen Kaffee trinken gehen? Carletonville ist eine alte Goldgräberstadt. Hier gab es einst jede Menge Gold abzubauen. Die goldenen Tage aber sind längst gezählt. Nur wenige Minen sind noch in Betrieb. Und die Arbeiterschaft ist schwarz geprägt. So Dinge wie Kaffee trinken oder Tea-Time sind offenbar eher in der europäischen Kultur verankert. Auch Touristen verirren sich nur selten in diese Gegend. So suchen wir vergebens, verdudeln dabei aber soviel Zeit, dass wir schließlich doch zu Bernard fahren können.
Sowie wir in der Einfahrt stehen, schlagen die Hunde an. Aber sie wedeln freudig mit dem Schwanz. Kennen die uns etwa noch? Wir warten lieber ab. Tatsächlich vergehen keine zwei Minuten, bis Bernard angefahren kommt und sich freut, uns zu sehen. Wie es die Sitte des Landes gebührt, werden wir erst einmal gefüttert und mit Tee versorgt.
Allzu lange dürfen wir uns damit allerdings nicht aufhalten. Denn er hat noch ein Nachmittagsprogramm auf die Beine gestellt, um die Zeit bis zum abendlichen Braai zu überbrücken. Ziel sind die Spuren des Goldgräbertums.
Als Erstes fährt Bernard mit uns zu den »Dolomiten«. Das ist für Europäer ja ein Begriff. Hoch aufragende Berge sind jedoch weit und breit keine zu sehen. Nein, die Dolomiten nördlich von Carletonville sind unauffällig in der Landschaft verteilt. Und zwar in gewaltigen Erdlöchern. Seit den 1960er Jahren kommt es an verschiedenen Stellen immer wieder vor, dass die Erde plötzlich einbricht. Diese Bergschäden sind jedoch keine eingestürzten Grubenstollen.
Sie werden durch Chemikalien im Boden verursacht, welche den hier anstehenden Kalkstein auflösen. Dieser wird dann ausgeschwemmt, sodass Hohlräume entstehen. Beim Einbrechen dieser Hohlräume bleiben schließlich stabilere Felsen stehen. Das sind Dolomitsteine, welche chemisch mit dem Kalkstein verwandt sind. Sie sind allerdings härter und sehr viel spröder. Durch ihre charakteristische Maserung wird der Stein auch Elefantenhaut genannt.
So manche Pflanzen und Tiere haben sich diese Sinkholes zu Nutzen gemacht. Sie bieten Schutz vor Umwelteinflüsse. So wachsen innerhalb der Löcher Bäume. Wegen Wind und Sonne findet ihr Samen oft nur in diesen geschützten Vertiefungen einen geeigneten Platz. Doch des einen Freud ist des anderen Leid.
Denn diese Einstürze passieren auch immer wieder in Wohngebieten. Durch den Hauptort Carletonville fahren wir zu einer der Arbeitersiedlungen im Süden der Stadt. Wenige hübsch gepflegte Häuser stehen hier zwischen unbewohnten Ruinen und ungepflegten Gärten. Es ist erschreckend.
Unser Ziel ist das Denkmal der Familie Oosthuizen. Am 2. August 1964 kamen die Eltern mit ihren drei Kindern von einem Wochenendausflug zurück. In der Nacht auf den Montag brach die Erde ein und riss die Familie mitsamt dem kompletten Haus in die Tiefe. Die Menschen trauten sich nicht, die Familie zu bergen. Für sie war klar: »Gott persönlich hatte die Familie zu sich geholt.«
In der Folgezeit verließen immer mehr Nachbarn ihre Häuser, welche bis dato peu à peu abgebaut und recycelt werden. Denn auch wenn sich viele Sinkholes entlang wackliger Linien aneinanderreihen, kann keiner mit Gewissheit sagen, wann und wo sich die nächste Katastrophe ereignet. Um die Gefahrenlage zumindest grob abschätzen zu können, werden an vielen Orten Erdpegel angelegt und die Bodenbewegungen kontrolliert.
Wir hoffen, dass Bernards Haus auf stabilem Grund steht. Denn dort verbringen wir unsere beiden letzten Südafrika-Nächte. Als wir zurück sind, ist auch der Rest der Familie eingetroffen. Ein verlockender Braai-Duft strömt uns entgegen. Erling ist bereits mitten in den Vorbereitungen für einen weiteren gemütlichen Grillabend. Wie wir es schon von unseren Tagen im Shona Langa Resort kennen, werden die leckeren Wurst-Fleisch-Spieße alle mit einem mal gegrillt.
Zwischendrin müssen wir immer wieder probieren, gibt es kleine Snacks, wieder probieren und noch mehr Snacks, bis wir pappsatt sind. Zeit fürs Abendessen! Im Haus haben Sonja und ihre Freundin Sarie weitere Leckereien vorbereitet. Überrascht werden wir mit einem Pudding, der ganz anders als in Deutschland zubereitet wird. Wir erleben auf ein Neues einen richtig schönen Abend in familiärer Atmosphäre. Das ist, warum man nach Carletonville fährt.
Aufnahmen von den Sinkholes bei Carletonville, einer alten Bergbaustadt in Südafrika. Eindrücke von der Erosion, die durch die Bergbautätigkeit beschleunigt wurde und Häuser in die Tiefe reißt.
Wir können ausschlafen, während unsere Gastfamilie früh zur Arbeit muss. Aber heute ist Freitag, weshalb sie schon mittags Feierabend haben. Bis dahin beschäftigen wir uns selbst und unternehmen einen Spaziergang durch Carletonville. Der Hauptort ist einiges schöner als die Arbeitersiedlungen bei den Goldminen. Straßen, Häuser und Gärten machen einen gepflegten Eindruck. Alles zusammen lässt einen gewissen Wohlstand erkennen.
Den jedoch gilt es mit (fast) allen Mitteln zu schützen. Private Sicherheitsdienste boomen in Südafrika. Sie versorgen ihre Kunden mit Schutzvorrichtungen wie NATO-, Klingen- oder Widerhakensperrdraht, Elektrozäune oder mit scharfen Spitzen besetzte Gartenzäune. Bei Grundstücken, wo all dies fehlt, muss man mit Kampfhunden rechnen. Manche Firmen werben mit einem 24-Stunden Notfalldienst, der sofort zur Stelle sei, sobald er gerufen werde.
So beschleicht uns schon ein unwirkliches Gefühl, als wir durch diesen Hochsicherheitsort spazieren. Einheimische treffen wir kaum. Selbst für kürzeste Strecken nutzen sie das Auto bzw. den Jeep. Einzig zwei weiße Rollator-Omas auf dem Weg in den Supermarkt fragen uns, was uns denn hierher verschlägt?
Wir erzählen von unserer Einlandung in Bernard's Familie. Klar, die kennen sie auch. Da ergibt auch für sie unser Besuch in Carletonville einen Sinn. Zuletzt raten sie uns, mehr als nur luftige Sommerklamotten anzuziehen. Es ist Winter, da verlässt man das Haus nicht ohne warme Jacke.
Ansonsten ist es still in dem Viertel. Riesige Abraumhalden der Goldminen ringsherum, eine gravierende Wasserverschmutzung durch radioaktiv belastete Abwässer und ein Rückgang der Arbeitsplätze sind eine schlechte Werbung für Tourismus. Es lockt auch keine neuen Bewohner hierher.
Und die Tatsache, dass neben Belgisch-Kongo auch Carletonville zu den Lieferanten von Uran-Oxid für die »Little Boy« genannte Hiroshimabombe gehören soll, machen das Ganze nicht besser. So fallen die Preise für die Häuser. Denn viele von ihnen sind zu verkaufen, finden aber schon lange keine Interessenten mehr.
Geschützte Häuser in Carletonville
Für uns indes ist es eine willkommene Abwechslung, die Menschen abseits der Touristenpfade kennenzulernen. So werden wir in der evangelischen Kirche von Minkie herzlichst begrüßt und herumgeführt. Später treffen wir Nachbarn unserer Gastfamilie, die auf ein Schwätzchen vorbeikommen.
Bald schmunzeln wir über Fragen wie: »Warum heizt ihr in Deutschland eure Häuser? Zieht euch doch, wie wir, einfach wärmer an im Winter!« Ähm ja, wenn bei uns die Winter mal irgendwann so mild und trocken werden wie in Südafrika, überlegen wir uns das mit der Heizung vielleicht mal.
Nach unserem Ausflug zum Vredefort Dome besuchen wir ein Schulfest. Eigentlich hatten wir uns darunter eine Veranstaltung mit Schülern vorgestellt. Vor Ort entpuppt sich das Fest stattdessen als ein heiteres Lieder raten mit einem recht guten Entertainer. In den verschiedenen Rategruppen sitzen ausschließlich weiße Erwachsene aus der Umgebung. Wir werden als Gäste herzlichst empfangen und dürfen sogleich mitraten.
Es macht richtig Spaß. Da uns Sarie tanzen sehen will, darf »die Duitse egpaar« einen Discofox vorführen. Das ist unser Beitrag für den wunderschönen Abend mit jeder Menge netter Südafrikaner. Als Sahnehäubchen bekommen wir Jobangebote als Tanzlehrer. Das gehört zu den Dingen, welche der weißen Minderheit auf dem Land fehlen.