Am nördlichen Ende vom Weckengang befindet sich die Heiliggeistkirche. Sie wurde Anfang des 14. Jahrhunderts als Kapelle zum angrenzenden Spital gebaut und ist eine der ältesten Kirchen von Tallinn. Noch bevor wir die Kirche betreten, sehen wir eine der zwei bedeutendsten Kunstschätze der Kirche: die barocke Wanduhr.
Der Bildhauer und Schnitzer Christian Ackermann hat sie 1684 angefertigt und damit eine der am meisten fotografierten Sehenswürdigkeiten von Tallinn geschaffen. Bei der Anzeige für 4 Uhr hat der Künstler schon damals anstelle der lateinischen IV eine IIII gewählt. Erst später erfahren wir, dass eine solche Schreibweise bei Turmuhrenziffernblätter seit jeher üblich ist.
Im Zuge der Reformation in Estland wurden in der Heiliggeistkirche ab 1532 Gottesdienste auf Estnisch gehalten. Damit war hier der geistliche Mittelpunkt der estnischsprachigen Gemeinde Tallinns. Auch soll der Kirchenraum für Versammlungen des Stadtrats genutzt worden sein. Für eine evangelische Kirche ungewöhnlich reich ausgeschmückt ist der Innenraum mit dem Altar aus dem 15. Jahrhundert.
Auf den äußeren vier Bildtafeln des Altars ist die Heilige Elisabeth von Thüringen, die Schutzpatronin des Deutschen Ordens, zu sehen. Während das Kirchenschiff von Leuchtern im Barock- und Renaissancestil erhellt wird, zeigen die Bilder an der Balkonvorderseite biblische Motive wie die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies.
Ganz in der Nähe der Kirche entdecken wir auf dem Dachgiebel vom Haus 25 in der Pikk einen interessiert Ausschau haltenden Mann. Der Legende nach handelt es sich um einen älteren Herren, der die schöne, junge Frau eines Kaufmanns immer dann beobachtet haben soll, wenn diese sich abends auszog.
Als sich die Frau bei ihrem Mann beschwerte, ließ der eine Büste des alten Herren anfertigen und auf dem Giebel anbringen. Blickte der Alte hinüber, sah er damit neben seinem Objekt der Begierde sein eigenes Abbild. Gerüchten zufolge habe ihm dies die Lust verdorben. Beschämt soll er schließlich ausgezogen sein.
Vom Weckengang aus kommen wir durch Börsi Käik in die Lai-Straße. Neben der Pikk und Vene ist sie die dritte lange Achse in der Altstadt von Tallinn. Verglichen mit den anderen zwei ist sie allerdings ein gutes Stück breiter. Daher auch der Name Lai (= Breite Straße).
Restaurants und Cafés gibt es hier jedoch nur wenige. Stattdessen befinden sich in der Lai-Straße mehrere Museen, das Estnische Puppentheater (am Südende), das Stadttheater im zentralen Bereich der Straße und die Olaikirche im Norden.
Auffallend sind die Eingänge zu den Häusern bzw. vor dem Stadttheater, die auf beiden Seiten mit kurzen Steinbänken versehen sind. Diese dienten vor allem dem Austausch von Neuigkeiten in der Stadt und der Nachbarschaft.
In der Praxis sah das dann so aus, dass sich die Anwohner einfach auf eine der Bänke gesetzt und gewartet haben, wer so alles vorbeikommt, mit dem man ein paar Worte wechseln kann.
Ein weiteres, während unruhiger Zeiten wichtiges Gebäude in der Lai-Straße ist die Rossmühle. Wenn Tallinn belagert wurde, konnten die Einwohner in der großen, runden Mühle mit der Zugkraft von bis zu 16 Pferden Mehl mahlen.
Heute beherbergt die Rossmühle ein Café, das mit dem Hotel Meriton Old Town verbunden ist. Im vorderen, an die Lai-Straße direkt angrenzenden Bereich finden Aufführungen des Stadttheaters statt.