War es abends zuvor noch ein Scherz, dass unsere Wanderung auf den Berg mit der weißen Haube führt, so ist der Thaneller am nächsten Morgen tatsächlich schneebedeckt. Zum Glück ist jedoch nur wenig Schnee gefallen und das meiste nach dem Frühstück bereits geschmolzen. So können wir das wieder bessere Wetter nutzen, um eine unserer geplanten Wanderungen nachzuholen. Zumindest die 1.000 Höhenmeter vom Hotel bis hoch zum Gipfel des Thanellers (2.341 m) wollen wir mit nach Hause nehmen.
Vom Kaiserhof ist es nur ein Katzensprung bis zum ersten Wegweiser. Nachdem wir uns erst zweimal links halten und einem asphaltierten Wirtschaftsweg vorbei an einem Pferdehof folgen, verlassen wir diesen nach etwa zehn Minuten. Damit wechseln wir auf einen richtigen, also nicht mit Autos befahrbaren Wanderweg. Zugleich erwartet uns die bereits erste Hürde: freilaufende Pferde! Nicht, dass sie aggressiv wären. Es ist nur, dass wir uns mehr mit dem Verhalten von Hinterwäldern und Braunvieh auskennen. Pferde hingegen wissen wir kaum einzuschätzen. So wird es Annette doch mulmig, als ihr ein blonder Gaul folgt, bevor er sich von ihr streicheln lässt. Als wir die Alm verlassen, bleibt er aber letztendlich zurück.
Nach der Rinder- und Pferdealm geht es in einigen Serpentinen spürbar bergauf. Kommen wir im unteren Bereich des Bergs noch durch einen Mischwald, wechselt dieser weiter oben in einen Fichtenwald. Darüber schließen die niedrigeren Latschenkiefern an. Wo immer sich eine Lücke zwischen den Bäumen auftut, können wir zurück nach Berwang und den höher gelegenen Speichersee schauen.
Während wir selber auf teils schwierigem, aber absturzsicherem Terrain wandern, sehen wir, warum der Hönig auf der Gegenseite des Tals bei Nässe als gefährlich eingestuft wird. Dort erstrecken sich mehrere weitläufige Grasmatten bis hoch zum Gipfel und fallen doch in einigen Bereichen steil nach Berwang ab. Ein Ausrutschen kann da schnell als halsbrecherische Talfahrt enden.
Immer noch im unteren Bereich des Thanellers erreichen wir den Kampeleplatz. Hier vereinen sich die Wanderrouten von Berwang und Rinnen. Danach wird die Landschaft karger und kommen wir über den durchweg steil bleibenden Pfad über die Baumgrenze. Nach etlichen Höhenmetern im Wald haben wir damit wieder freie Sicht auf den Gipfel. Zugleich können wir unseren Blick über eine Reihe Berge der Lechtaler Alpen schweifen lassen, die vom Berwanger Tal aus nicht zu sehen sind.
Doch auch der Blick über die Almen unter uns lohnt sich. Denn weil wir an diesem Morgen die ersten Wanderer auf dem Thaneller sind, grasen die Gämse noch friedlich am Osthang. Es sind um die zwanzig Tiere, die langsam in die höheren und weniger gut einsehbaren Bereiche des Massivs laufen. Ab und zu fressen sie ein paar Büschel Gras, um uns dann doch genau zu beobachten. Nach den Steinböcken am Tomlishorn nehmen wir diesen Eindruck gerne mit, bevor es über den Südgrat hinauf zum Thaneller-Gipfel geht.
So wie wir auf den baum- und strauchlosen Südgrat kommen, wird es merklich kühler. Wir haben Ende August. Wir stehen im Wind. Und wir passieren immer wieder Stellen, an denen sich der Schnee trotz Sonnenscheins hält. Auch sind wir froh, Wanderstöcke mitgenommen zu haben. Denn sie geben einem auf dem Geröll deutlich mehr Halt. Außerdem lassen sich kleine Hindernisse schneller überwinden, sodass wir gut vorankommen.
Zugleich können wir froh sein, direkt bei Berwang gestartet zu sein. Denn während die Südseite vom Thaneller freie Sicht hat, wird die zweite Aufstiegsmöglichkeit, der Werner Riezler Steig, von Wolken verhüllt. Mal abgesehen davon, dass man für den Werner Riezler Steig Übung im Klettern und die entsprechende Kletterausrüstung benötigt. So zeigt eine Tourenbeschreibung auf Allgäu-Ausflüge ein Mädchen, das auf einem der Schneefelder trotz Stöcken und guten Wanderschuhen ausrutscht, bevor sie im Seil an ihrem Vater hängt. Da genießen wir doch lieber die Ausblicke vom Südgrat über die umliegenden Lechtaler Alpen bis hin zur tief verschneiten Zugspitze und erfreuen uns an den Steinbrech und den Glockenblumen, die trotz der Kälte noch blühen. Rund 200 Höhenmeter unterhalb vom Thaneller-Gipfel halten wir inne.
Die Kulisse, die sich uns hier vom Südgrat aus öffnet, entschädigt den kräftezehrenden Aufstieg. Beim Blick voraus scheint der Gipfel zum Greifen nahe. Wir befinden uns in der Region der Zugspitzarena. Ob sich Wanderer zeitgleich mit uns im Aufstieg auf die Zugspitze befinden, können wir nur mutmaßen. Wohl aber werden sie einen deutlich schwereren Aufstieg zum höchsten Gebirgsgipfel dieses Landstrichs haben. Und doch liebäugeln wir damit, die Region rund um die Zugspitze bei einer weiteren Reise besser kennenzulernen. So lohnen neben Berwang auch die anderen sechs Orte der Zugspitzarena einen Besuch.
Ob Ehrwald, Lermoos oder Bichelbach - alle bieten tolle Möglichkeiten zum Wandern, Erkunden und Entspannen. Daneben reizt uns die Übernachtung in einem der Chalets Tirol im beschaulichen Biberwier. Gut, es bin vor allem ich, der den Landschaftsgenuss gerne mit einem gemütlichen Ambiente in einer komfortablen Unterkunft verbindet. Tatsächlich aber freut sich auch Annette, immer wieder anderes auszuprobieren. Einen Moment harren wir unseren Gedanken nach. Dann holt uns eine kühle Windbö jäh in das Jetzt und Hier zurück. Vor uns liegt immer noch der Thaneller und wartet das Gipfelbuch auf unseren Eintrag.
Die letzte Etappe unserer Thaneller-Wanderung verläuft zunehmend windig. Es ist ungemütlich - und außerdem müssen wir uns sputen, wenn wir heute die ersten auf dem Gipfel sein wollen. Denn auch wenn wir statt der angeschriebenen 3:20 Stunden von Berwang bis zum Gipfel nur 2:30 Stunden benötig haben, taucht hinter uns auf einmal ein älterer Herr auf, der rasch näher kommt. Als er den Thaneller-Gipfel zehn Minuten nach uns erreicht, meint er, dass er erst vor 1 Stunde 45 Minuten in Berwang gestartet und dies nur die Vorbereitung für eine größere Gletschertour sei. 1.000 Höhenmeter als lockeres Aufwärmtraining? Unfassbar.
Nachdem Annette uns im Gipfelbuch eingetragen hat, spazieren wir noch ein paar Meter weiter. Bald aber endet der Wanderpfad und erklärt ein Schild, dass hier kein Abstieg möglich sei. Als wir sehen, wie steil es vorm Ende des Pfads auf beiden Seiten zugleich hinunter geht, glauben wir dies gerne - zumal die Nebel- und Wolkenschwaden an der steileren Seite keine Sichtweite zulassen.
Als wir die nächsten Wanderer auf dem Südgrat entdecken, verlassen wir den Gipfel wieder und verlagern unsere wohlverdiente Pause in einen windgeschützten, etwa 200 Meter tieferen Bereich. Wobei wir bald von den Alpendohlen Gesellschaft bekommen.
Ohne Scheu hüpfen sie vor uns herum und hoffen auf ein Stück Brot. Leider haben wir keines dabei. Mit Apfelstücken geben sie sich aber auch zufrieden. Bis ich schließlich den Apfelrest in ihre Richtung werfe und sich eine der Dohlen damit in die Tiefe stürzt.
Beim anschließenden Abstieg laufen wir direkt in die Wärme des Berwanger Tals hinein. Gut, so richtig warm ist es natürlich nicht. Wenn man von einem eisigen, windexponierten Gipfel zurück in den windstillen Wald kommt, reichen aber schon wenige Grad Unterschied, dass Jacken zu warm werden. Als wir die Alm mit den Rindern und Pferden wieder erreichen, bedauern wir dann auch, dass wir schon wieder nach Hause fahren müssen. Denn während unserer Thaneller-Tour ist das Wetter im Tal richtig schön geworden, sodass sich auch die Blüten der vielen Silberdisteln zu beiden Seiten des Wanderwegs geöffnet haben. Mit diesen letzten Eindrücken verlassen wir die Lechtaler Alpen an einem milden Herbsttag - Ende August.
Die Anfahrt erfolgt über die B 179 Reutte - Ehrwald. Bei Bichlbach auf die L 21 abbiegen und weiter bis nach Berwang fahren. Parkmöglichkeiten gibt es in der Straße zum Kaiserhof und beim Lift Egghof Sun Jet.
Ausgangspunkt | Hotel Kaiserhof (1360 m) in Berwang |
Koordinaten | N 47.4090, E 10.7443 |
Gehzeit | 5 bis 5.30 Stunden |
Distanz | 8,3 km |
Anstiege | ca. 1000 HM |
Grad | T3 |
Einkehr | Auf der Strecke gibt es leider keine Einkehrmöglichkeiten. Gastronomie in Berwang. |
GPS-Daten | Wanderung Thaneller gpx |
KML-Daten | Wanderung Thaneller kml |