Bevor wir den Grand Canyon Nationalpark erreichen, legen wir einen weiteren Stopp beim Little Colorado River ein. Wie der Name sagt, ist der Fluss, verglichen mit dem Colorado River, nur ein Rinnsal. Wie sein großer Bruder hat auch er es geschafft, sich ein paar Meter tief in das rötliche Gestein zu graben.
Beeindruckend wird die Landschaft jedoch erst danach, als wir bei der Weiterfahrt über das Große Plateau den Einschnitt des Canyons rechts von uns bemerken. Aus der Ferne betrachtet, sieht es wie ein riesiger Riss aus, der sich erst als schmales Band durch das Plateau zieht, bevor die Berge beim Grand Canyon weit auseinander klaffen. Die Spannung steigt.
Jährlich kommen etwa 4,5 Millionen Besucher in den Nationalpark. Wie die meisten, steuern auch wir den Südrand (South Rim) an. Er hat eine durchschnittliche Höhe von 2.300 Meter und befindet sich 400 Meter tiefer als der Nordrand.
Im Gegensatz zum höheren North Rim ist er das ganze Jahr über geöffnet. Angst, dass es eng wird, brauchen wir allerdings keine haben, da im Winter nur wenige Besucher zum Grand Canyon fahren.
Beim Parkeingang erhalten wir die deutschsprachige Übersetzung der Grand Canyon-Zeitung. Sie ist gespickt mit allgemeinen Informationen, die helfen sollen, den Aufenthalt im Grand Canyon Nationalpark so gut und sicher wie möglich genießen zu können.
Neben einer Klimatabelle mit Temperaturangaben für den Nord- und Südrand sowie am Fluss (wo es im Sommer durchaus 16° Celsius wärmer sein kann als an den Rändern), gibt die Zeitung Auskunft über die Sonnenauf- und -untergangszeiten an verschiedenen Orten im Nationalpark und erklärt, wie der Shuttlebus funktioniert. Daneben sind auf Karten verschiedene Wanderwege dargestellt und beschrieben und finden sich in der Zeitung Infos zu Campingplätzen und Lodges im Nationalpark.
Bei der Fahrt entlang des Südrands kommen wir an mehreren Aussichtspunkten vorbei, die uns imposante Einblicke in die 1.500 Meter tiefe Schlucht des Grand Canyons ermöglichen. Doch auch zwischen den Parkplätzen führt die Straße immer wieder so nah an den Rand des Canyons, dass sich die Sicht über weite Teile der Landschaft öffnet.
Gerne würden wir ja an ein paar Stellen eine Weile verbringen. Durch die Panne am Vormittag bleibt dafür aber leider keine Zeit, sondern muss Michael auf den bewaldeten Abschnitten sogar über die vereiste Straße rasen, damit wir bloß nicht unseren gebuchten Hubschrauberflug verpassen. Denn der geht natürlich vor.
Ein besonders eindrucksvolles Erlebnis ist natürlich, den Grand Canyon aus der Vogelperspektive zu sehen. Schon vor der Rundreise war damit für uns klar, dass wir uns einen Rundflug mit einem Hubschrauber über die riesige Schlucht gönnen wollen. Bevor wir unsere Pilotin, Heather, kennen lernen,
werden wir jedoch zuerst einmal im Terminal von Papillon Grand Canyon Helicopters auf die Waage gestellt. Gleich danach müssen wir uns ein Video über die Sicherheitsbestimmungen während des Rundflugs anschauen. Weil dieser auf Englisch ist, erhalten wir zusätzlich noch einen Zettel, auf dem alle wichtigen Hinweise zusammengefasst sind.
Das Gewicht entscheidet übrigens darüber, wer wo im Helikopter sitzt. Das soll eine Schieflage verhindern und führt bei uns dazu, dass Annette vorne neben der etwa genauso leichten Heather sitzen darf. Bis auf eine Frau, welcher der einzige Mittelplatz zugewiesen wird, sitzen die übrigen Passagiere alle außen.
Links und rechts entscheidet, wer später welche Seite des Grand Canyons zu sehen bekommt. Denn auch wenn Papillon bei der Wahl der Hubschrauber darauf achtet, dass jeder Gast eine möglichst gute Sicht hat, bleiben die Platzverhältnisse natürlich beengt.
Nach ein bisschen hin und her im Terminal und Verwirrung, welche Gruppe in welche Maschine einsteigen soll, werden wir endlich auf die Landefläche geführt. In welcher Folge wir einsteigen dürfen, entscheidet das Bodenpersonal, das uns beim Angurten behilflich ist und vor dem Start noch einmal kontrolliert,
ob wir auch nichts falsch gemacht haben. Dann wird die Tür geschlossen und heben wir Sekunden später ganz sanft ab. Gut, die Kopfhörer sind absolut angebracht. Aber dass der Helikopter ohne jedes Wackeln senkrecht in die Höhe steigt, hatten wir nicht gedacht.
Nach der Begrüßung erklärt Heather, dass wir Glück haben. Ihr Hubschrauber ist schneller als die anderen, sodass wir auf unserem Rundflug etwas mehr Zeit über dem Grand Canyon verbringen können. Denn der Flugplatz ist ein gutes Stück vom Rand der Schlucht entfernt.
Tatsächlich fliegen wir zunächst acht Minuten über einen Nadelwald und können dabei mehrmals auf eine Bahntrasse hinabschauen, auf der die Zugfahrten als ein weiteres unvergessliches Erlebnis beworben werden; nur mit dem Unterschied zum Rundflug, dass man vom Waggons aus nichts sieht, wenn nicht den Wald.
Weil ich entgegen der Flugrichtung und auf der vom Canyon abgewandten Seite sitze, sehe ich den Grand Canyon als letzter. Dafür aber fällt die Landschaft unter mir am plötzlichsten steil nach unten. Über die Kopfhörer mit passender Musik bedudelt, stockt mir für einen Moment der Atem.
Auf einmal gibt es so vieles zu sehen, dass ich gar nicht weiß, in welche Ausbuchtung des Grand Canyons, in welchen der einmündenden, kleineren Canyons ich zuerst hinab blicken soll. Dabei stehen wir erst am Anfang eines schier unbeschreiblichen Abenteuers.
In einer Fernsehserie habe ich mal die Frage gehört, was ein Journalist macht, wenn für ihn etwas unbeschreiblich ist. Die Antwort war einfach: »Er fotografiert es.« Ja, das ist dann wohl auch die einzig vernünftige Lösung für die Aussicht hinab in den Grand Canyon. Wir haben großes Glück mit dem Wetter, erklärt uns Heather. Schon wieder Glück? Oh ja, und was für eins.
Ich meine, wir sehen den Grand Canyon mit Schnee. Während sich der Colorado River weit unter uns schmutzig-braun durch die Landschaft schlängelt und die unteren Gesteinsschichten in verschiedenem Rot leuchten, werden die oberen, schrägeren Schichten vom Weiß des Schnees dominiert. Welch ein geiler Kontrast!
Was macht es da schon aus, dass ein besonders markanter und mit Namen versehener Fels auf der von mir aus gesehen falschen Seite emporragt? Unter mir ist eine Landschaft wie Pommes rot-weiß (Colorado River, Sandstein, Schnee).
Es ist diese unglaublich Weite, die man sich allein vom Hörensagen nicht vorzustellen vermag. Schlucht an Schlucht, Canyon an Canyon reiht sich in dem geologischen Labyrinth aneinander, getrennt von unüberschaubaren Felswänden, Graten und auch dem ein oder anderen Zeugenberg.
Dass es auf den hinteren Sitzen des Hubschraubers trotz Sitzheizung zieht wie Hechtsuppe, mich kann es nicht stören. Ich sitze vor dem schmalen Spalt des hinteren Einstiegs, sodass die kalte Luft eh nur mein rechtes Knie streift. Und selbst wenn, ich kenne Fotografen, die sich bei ähnlich kalten Verhältnissen angeleint aus dem Hubschrauber hinausgelehnt haben, um die bestmöglichen Bilder zu schießen.
Aber überlassen wir das den Waghalsigen. Mit etwas Beweglichkeit reicht auch der kleine Ausguck neben mir, um vernünftige Ergebnisse zu erzielen. Wobei, Annettes Platz hätte ich natürlich auch gerne gehabt. Sie konnte zur Seite, nach vorne und außerdem schräg nach unten durch den Glasboden im vorderen Bereich des Helikopters hinab auf den Grand Canyon sehen.
Gut und gerne würden wir es ein bis zwei Stunden oder auch nur bis zum Sonnenuntergang über dem Grand Canyon aushalten. Langeweile käme hier sicher keine auf. Als wir nach einer knappen halben Stunde wieder auf dem Fluggelände von Papillon aufsetzen, sind wir aber auch so einig: der Flug mit dem Hubschrauber ist teuer - und er ist jeden einzelnen US-Dollar wert.
Wenn wir sehen, was wir schon in anderen Ländern für Ballermann-Ausflüge gezahlt haben, können wir sicher sagen: trotz allem Massentourismus’ und jeder Strapazierung der Landschaft in den Werbeprospekten für Arizona haben wir beim und über dem Grand Canyon ein unvergessliches, einmaliges Erlebnis erfahren dürfen, das bei einer Rundreise durch den Westen nicht fehlen darf.
Eindrücke vom Glen Canyon Staudamm und Rundflug mit dem Helikopter über den Grand Canyon im Winter.
Vom Flugplatz fahren wir zurück in den Grand Canyon Nationalpark bis zur Bright Angel Lodge. Sie befindet sich direkt am Rand des Canyons, am oberen Ende eines der wichtigsten Trails in die Schlucht. Viele Wanderer, die den benachbarten, kürzesten Abstieg in den Grand Canyon gewagt haben, wählen für ihren Rückweg den Pfad hinauf zur Bright Angel Lodge,
da dieser beschattet ist und es auf der Strecke Stände mit Erfrischungen gibt. Das ist auch nötig. Denn wer im Sommer in den Canyon hinab steigt, sollte sich mit reichlich Wasser und Mineralien eindecken. Andernfalls droht die Dehydrierung, die auch schon fitten Sportlern zum Verhängnis geworden ist.
Mit ganz anderen Schwierigkeiten haben zwei Wanderer zu kämpfen, die wir bei unserem Besuch den steilen Pfad empor kraxeln sehen. Dick eingepackt, um der eisigen Kälte zu trotzen, tragen sie Eisen unter den Schuhen, um auf dem vereisten Untergrund vorwärts zu kommen.
Erschöpfung steht in ihren Gesichtern geschrieben, als sie uns begegnen. Ich gehe mal davon aus, dass ein einmaliges Erlebnis hinter ihnen liegt. Ich gehe außerdem davon aus, dass ich Annette bei Schnee, Eis und einer so irren Kälte auf gar keinen Fall zu so einer Tour überreden kann.
Tatsächlich hält es Annette - wie die Mehrheit unserer Gruppe - nur kurz auf dem Spazierweg am Rand des Grand Canyons bzw. den beiden nächsten Aussichtsplattformen aus, bevor sie sich in die Bright Angel Lodge flüchtet.
Mit den wenigen Unerschrockenen unserer Reisegruppe spaziere ich noch bis in die Nähe des Pfads, der nach unten führt, und lass’ mir erklären, wie sich eine Tour durch den Grand Canyon am besten realisieren lässt. Bis mich die Kälte schließlich auch zurück in die Lodge treibt.
Dort angekommen, finde ich Annette am beliebtesten Platz der Lobby: direkt vorm Kaminfeuer. Während sich andere mit heißem Kaffee aufzuwärmen versuchen, lassen wir uns einfach von der angenehmen Hitze bestrahlen.
Da bereits die wenigen Eindrücke von der Bright Angel Lodge und ihren Nebengebäuden sowie die auf dem Gelände der Lodge verstreuten Bungalows Geschmack auf mehr machen, verfestigen sich zudem unsere Pläne, noch einmal nach Utah und Arizona zu reisen. Für diese tolle Landschaft braucht es einfach mehr Zeit als bei einer Rundreise mit so vielen Programmpunkten möglich ist.
Nach Einbruch der frühen Nacht erreichen wir das Holiday Inn in Flagstaff. Der Eingangsbereich ist überdacht, sodass wir selbst bei Regen trocken vom Bus ins Hotel gekommen wären. Aber wer denkt hier an Regen? Es ist immer noch bitterkalt, sodass es höchstens schneien kann. Da wir an der Rezeption bereits erwartet werden, geht das Einchecken und Verteilen der Zimmerkärtchen zügig,
sodass wir direkt nach der Ankunft aufs Zimmer verschwinden können. Dort angekommen, begrüßt uns die Heizung lautstark. Zum Glück lässt sie sich abstellen, ohne dass wir später frieren müssen. Am nächsten Morgen merken wir, dass außerdem die Dusche sehr laut ist. Damit ist es wohl besser, wenn man etwas früher als die Zimmernachbarn aufsteht...
Direkt gegenüber vom Hotel gibt es einen Jack in the box, Mc Donalds, Pizza Hut und Kentucky Fried Chicken. Wer Fan der schnellen Küche ist, kommt auf jeden Fall auf seine Kosten. Weniger schön ist hingegen das Frühstück, was am nächsten Morgen leider nicht vorbereitet war, da wir angeblich nicht angemeldet waren.
Statt dem erhofften (und sonst wohl auch üblichen) Büfett gibt es deshalb für jeden Rührei, Speck und Kartoffelwürfel, dazu Kaffee, O-Saft und zwei Scheiben fetttriefenden Toast. Schade, zumal das Essen im Restaurant ganz toll gewesen sein soll.
Um Annettes Erkältung nach der erneuten Kälte nicht noch weiter anzuschüren, verzichten wir auf ein Bad im Hallenbad des Hotels, lassen uns aber berichten, dass er schön und sehr heiß sein soll. Mehrere Runden zu schwimmen, sei nicht möglich gewesen.
In der Hitze des Whirlpools haben es die jüngsten unserer Reisegruppe nur fünf Minuten lang ausgehalten. Ob das Wasser bei unserem Aufenthalt im Holiday Inn Flaggstaff wirklich so unerträglich heiß war oder es an dem krassen Temperaturunterschied zwischen dem Ausflug zum Grand Canyon und dem Pool lag, bleibt ein Rätsel.
Schade ist, dass sich das Holiday Inn mal wieder in einer Art Industriegebiet befindet. Nach Downtown Flagstaff wären es ein halbstündiger Fußmarsch gewesen, auf den wir wegen der Kälte und Annes Erkältung lieber verzichtet haben. Doch die Nähe der Stadt zum Grand Canyon Nationalpark und die Lage an der historischen Route 66 hat auch Flagstaff zu einem populären Touristenziel gemacht.
Flagstaff wird gerne als »das Tor zum Grand Caynon« bezeichnet. So gehen wir eigentlich davon aus, dass die Innenstadt zumindest ein klein wenig zu bieten hat. Doch davon bekommen wir nichts mit, da wir am nächsten Morgen schon wieder auf der Interstate 40 unterwegs sind.