Napoleon nannte den Markusplatz einst den »schönsten Salon Europas«. Es ist einfach so, wir stehen auf dem bedeutendsten, bekanntesten und beliebtesten Platz von Venedig. Mit seinen Arkadengängen, der Markuskirche, dem Campanile und dem Dogenpalast bildet dieser eine besondere und wundervolle Einheit.
Meine Schwiegermutter erzählt: »Auf dem Markusplatz habe ich den teuersten Cappuccino der Welt getrunken!«. Diese Erfahrung teilt sie mit unzähligen Besuchern der Stadt – und die meisten machen dies sogar freiwillig. Wer Venedig besucht, verbringt automatisch viel Zeit auf und um dieser riesigen Piazza.
Unsere Unterkunft befindet sich nahe dem Markusplatz. So überqueren wir diesen bereits bei der Anreise. Sofort fallen uns die Stegvorrichtungen auf, welche aufeinandergestapelt auf dem Platz verteilt sind. Ob diese von vornherein hier gelagert werden oder ob Hochwasser erwartet wird? Wir wissen es nicht. Aber es ist Herbst und es geht langsam auf die winterlichen Hochwasser von Venedig zu.
Das so genannte Acqua alta schreckt, ausgenommen ein paar Chinesen, keine Touristen davor ab, in die Lagunenstadt zu reisen. Im Gegenteil, viele betrachten das meist nur wenige Stunden anhaltende Hochwasser als ein besonderes Spektakel. Anderes Wasser kommt von oben. An unserem Abreisetag hängen dunkle Wolken über der Insel San Giorgio und der Nehrung von Lido. Wir bleiben von nassen Füßen verschont. Ein ordentliches Acqua alta benötigt mehr Faktoren als einen Platzregen.
Der Ursprung des Markusplatzes liegt im Bau einer Grabeskirche für die Gebeine des Heiligen Markus, nachdem diese aus dem ägyptischen Alexandria nach Venedig überführt wurden. Das Kirchlein aus dem Jahr 829 diente als Kultstätte für die Reliquien des Evangelisten und als Kapelle des Dogenpalastes. 976 brannten das Kastell der Dogen mitsamt der Kirche und rund 300 Häusern in der Umgebung vollständig ab. Zwischen 1063 und 1094 erfolgte der Neubau auf einem romanisch-byzantinischem Grundriss. Im Lauf der Jahrhunderte erfuhr die Basilika wiederholt repräsentative Ausschmückungen, sodass sich Elemente aus Gotik und Renaissance vermischten.
Der Markusdom war das zentrale Staatsheiligtum der Republik Venedig. Die vier goldenen Pferde des San Marco, über dem Eingangsportal, könnten allerdings mal wieder eine Politur gebrauchen. Die Originale zierten zeitweise – als Raubgut Napoleons – den Arc de Triomphe du Carrousel. Doch Paris ist nur eine der Stationen auf der Reise der Pferde, welche von Rom bis Konstantinopel bereits einiges sehen durften.
Doch das beeindruckendste Bauwerk auf dem Markusplatz ist der Campanile. Der freistehende Glockenturm des Markusdoms stellt den Kirchenbau gerne in den Schatten. Mit seinen 98,6 Metern Höhe bildet er das höchste Bauwerk Venedigs. Für die Seefahrer war der Turm schon von Weitem zu sehen und markierte ein Landzeichen. Nachts diente er durch ein Feuer als Leuchtturm. Seine Spitze ziert der goldene Erzengel Gabriel. Dieses heilige Geschöpf zog jedoch Blitze an, bis schließlich 1776 ein Blitzableiter installiert wurde.
Letztendlich werden jedoch Baumängel dafür verantwortlich gemacht, dass der erste Turm 1902 in sich zusammenfiel. Nach dem Motto »dov’era e com’era«, wo und wie er war, wurde er rekonstruiert und ist heute der beliebteste Aussichtspunkt der Stadt. Deutlich wird dies allein durch die nie enden wollende Schlange an Menschen vor dem Eingang. Uns ist die Zeit zu schade, um diese mit Warten zu vergeuden.
Unser Spaziergang führt durch die Gassen neben dem Giardini Reali, dem königlichen Garten. Hier reichen sich die Luxuslabels Dior, Louis Vuitton und Prada die Hand. Die Schaufenster sind akkurat geputzt, die Gassen poliert – und zusammen versprühen sie ein charmantes Flair von Langeweile.
Das authentische Venedig jenseits dieser Gegend bildet den romantischen Kontrast. Viele Artikel sind selbst stark reduziert noch teuer. Es fehlen die Kreuzfahrtschiffe, die allesamt gerade brachliegen. Das Klientel, welches im Herbst 2020 durch Venedig tingelt, sucht eher nach Ruhe, statt Puschel-Sandalen von Jimmy Choo.
Soll es dann doch ein Kaffee am Markusplatz sein? Immerhin wollen die Venezianer die Erfinder der Kaffeetraditionen sein. Der Kardinal Gianfrancesco Morosini berichtete 1585 zum ersten Mal von einem »absonderlichen schwarzen Wasser«. Händler aus dem Osmanischen Reich brachten den Kaffee in die Stadt. 1683 eröffneten die ersten Kaffeehäuser unter den Arkaden am Markusplatz. Das Caffè Florian war eines der ersten, die einen Espresso gebraut haben.
Bis dato verbreiten diese Cafés einen Hauch von Nostalgie auf dem Markusplatz. Und auch wenn während unseres Besuchs ein Großteil der Tische frei bleibt, so geizen die Kaffeehäuser nicht an ihrer Musik. Beim Caffè Quadri erfüllen Klavierklänge die Arkaden. Das Caffè Florian gönnt seinen wenigen Gästen eine komplette Combo. Die Livemusik sorgt insbesondere abends für eine wundervolle Atmosphäre auf dem Markusplatz.
Kulinarisch konzentrieren wir uns selbst auf die Gassen beim Hotel Ca’ del Nobile. Die Bar Oasi ist gemütlich und klein. Ein Platz am Fenster ermöglicht, die vorbeigehenden Leute zu beobachten und trotzdem nicht zu frieren. Der Wirt empfiehlt Spaghetti al nero di seppia, eines der traditionellen Gerichte von Venedig. Lars bleibt lieber bei der bekannten Pizza. Ich bin mutig und probiere die schwarzen Tintenfisch-Spaghetti.
Die schlammig, schwarz gefärbten Nudeln wirken auf den ersten Blick unappetitlich. Doch ich muss zugeben, das Gericht ist wirklich lecker. Während die Tintenfischstücke gut herauszuschmecken sind, hat die Tintensoße einen speziellen, guten Geschmack. Und die schwarze Farbe, die sich an den Lippen und Zähnen kurzweilig festsetzt, verflüchtigt sich mit der Zeit wieder.
Die Spaghetti sind eine gute Wahl, wie auch der empfohlene Wein Santa Cristina. Es ist schon witzig, wenn man in einem fernen Restaurant einen Wein empfohlen bekommt, den man zu Hause gelegentlich trinkt. Haben die Italiener keine Wein-Auswahl? Egal, wir genießen die Abende in der Bar Oasi, auch wenn wir die meiste Zeit alleine im Restaurant sitzen. Manchmal setzt sich der Wirt aus Langeweile zu uns. Wir haben eine wirklich perfekte Zeit für die Lagunenstadt erwischt. Der Wirt hingegen hat noch nie eine solche Besucherflaute erlebt.
Ungeschickt versuchen er und sein Kollege, ein paar Passanten von der Straße ins Lokal zu lotsen. In normalen Zeiten füllt sich der Laden quasi von alleine. Nun betreten die beiden mit dieser Art des Anbiederns Neuland. Des einen Freud ist des anderen Leid. So gesehen, hätten wir unseren Aufenthalt in der Stadt am liebsten verlängert. Es gibt in Venedig noch so vieles zu entdecken. Wir können verstehen, warum die Menschen sonst scharenweise hier einfallen oder den Wunsch hegen, es zu tun. Auch wir werden gerne wiederkommen.