Einmal im Leben im Boot durch den Canal Grande fahren – das hörte sich für uns bislang nach einem kostspieligen Traum an. Doch wir haben ein 48-Stunden-Ticket der Actv für den Vaporetto und sind schon bei der Anreise überrascht, was für eine tolle Aussicht diese Wasserbusse bieten.
Nachdem wir einen kompletten Morgen durch die Gassen von San Marco und Castello spaziert sind, ist jetzt Zeit für eine Pause. Wer dabei trotzdem etwas sehen will, trifft mit dem Vaporetto eine gute Wahl.
Wir befinden uns gerade in der nordöstlichen Ecke von Castello. Celestia ist laut unserem Stadtplan die nächste Haltestelle. Für eine Tour durch den Canal Grande ist diese etwas ungünstig gelegen. Also sammeln wir zunächst Eindrücke von der Nordseite der Lagunenstadt.
Da an der Haltestelle überhaupt nichts los ist, sind wir froh, dass überhaupt ein Vaporetto kommt. Allerdings endet die Linie am Fondamente Nove. Hier hätten wir die Möglichkeit, nach Murano oder zur Friedhofsinsel zu fahren – zwei schöne Ziele für unsere nächste Reise nach Venedig.
Nach dem Umstieg führt uns die Fahrt um das jüdische Viertel herum. Die ersten Juden zogen bereits im 5. und 6. Jahrhundert als Händler in die Stadt. 1516 erhielten sie von der Republik Venedig das Wohn- und Arbeitsrecht. In beengten Verhältnissen lebten sie getrennt von der übrigen Bevölkerung. Sie erhielten jedoch Schutz und eine in Europa damals einzigartige Rechtssicherheit.
Der Begriff Getto stammt übrigens von dieser Insel. Er leitet sich vom italienischen Ausdruck Geto für Gießerei ab. Grund für die Ansiedlung im Stadtsechstel Cannaregio war wahrscheinlich eine ungeliebte Eisengießerei. Hier wurden einst Kanonen gegossen. Beim Vorbeifahren sieht die Gegend noch immer einfacher und ärmlicher aus als die anderen Sestieri. Dafür findet sich hier auch Platz für einige Bootstankstellen.
In den Canale di Cannaregio abgebogen, wirken die Häuser augenblicklich wieder edler. Es gibt hübsche Hotels, kleine Restaurants, romantische Brücken und die ersten Gondolieri, die ihre Kundschaft über den Kanal schippern. Dann öffnet sich der Canal Grande vor uns – eine beeindruckende Kulisse! Wir müssen abermals umsteigen.
An der Ferrovia (Eisenbahn) startet die Linie Nummer 1 mit einer der beliebtesten Touren über den Canal Grande. Leider hält unsere Linie bei der Ponte die Sant'Andrea, irgendwo hinter der Piazzale Roma. Vorbei am Parkhaus, müssen wir somit erst wieder zurück zur Ferrovia finden.
Pünktlich zur Abfahrt der Nummer 1 erreichen wir die Haltestelle. In Windeseile füllt sich der Vaporetto. Wir warten lieber auf den Nächsten. Ein riesiger Vorteil dieser Wasserbusse sind die Sitzplätze im Freien. Manche Wasserbusse haben nur im Heck ein paar Freisitze. Doch die Nummer eins ist auch vorne in der Spitze bestuhlt. Dort wird den Fahrgästen eine Aussicht geboten, wie sie ein Ausflugsboot kaum besser bieten kann.
Diese Art von Sightseeing ist allerdings beliebt bei den Touristen, was oft für überfüllte Vaporetti sorgt. Manche Touristen nehmen dafür auch lange Wartezeiten in Kauf. Stadtbewohner mit genügend Geld nehmen sich dann lieber das Taxi, anstatt den Wasserbus. Heute ist alles kein Problem. Keines der Boote wird voll. Beim nächsten Boot der Linie 1 können wir ohne Drängelei einsteigen und ganz vorne in der Spitze Platz nehmen.
Nun gilt es, sich zurücklehnen und in Ruhe zu genießen, wie Palazzi und Kirchen langsam an uns vorbeiziehen. Es ist ein Traum. Die ursprüngliche Bedeutung von Vaporetto lautete »Dampfschiffchen«. Der erste Vaporetto lief 1881 vom Stapel. Als Regina Margherita wurde es wie die Pizza nach der italienischen Königin Margherita benannt.
Heute dampft es nicht mehr, sondern qualmt und lärmt, da die Schiffe mit Diesel betrieben werden. Damit büßt der Canal Grande etwas von seinem Flair ein. Wer sich ein sündhaft teures Hotel mit Blick auf den Großen Kanal gönnt, muss dafür auch den Feinstaub und Lärm der Dieselmotoren in Kauf nehmen.
Der Canal Grande misst knapp vier Kilometer und ist 30 bis 70 Meter breit. Mit bis zu fünf Metern Tiefe bildet er die Hauptwasserstraße der Lagunenstadt. Rund 45 kleinere Kanäle münden in den Canal Grande ein. Vier Brücken überspannen den großen Kanal. Die älteste ist die Rialtobrücke.
Als vierte und bisher letzte Brücke wurde 2008 die Ponte della Costituzione eingeweiht. Seither haben der Busbahnhof am Piazzale Roma und der Bahnhof Santa Lucia eine direkte Verbindung für Pendler. Vorausgesetzt, diese können Treppen steigen und schleppen keine schweren Koffer oder Kinderwagen mit sich. Barrierefreiheit wird völlig überbewertet.
Über 200 prächtige Adelspaläste säumen den Canal Grande. Die durch große Fenster geöffnete Fassade ermöglicht eine leichte Bauweise. Sandiger und unsicherer Grund, mitten im Wasser der Lagune, machte dies notwendig. Tausende von Eichenpfählen wurden viele Meter tief in den Untergrund getrieben.
So entstand ein halbwegs stabiles Gerüst, auf dem die Häuser stehen. Während die Eichenstämme im Verborgenen schlummern, ragen vor den Palästen bunte Pfähle aus dem brackigen Wasser. Die sogenannten Pali dienen dem Anbinden der Schiffe. Jeder Hausherr hat diese in seiner eigenen individuellen Farbe und Muster angestrichen.
Wir erreichen langsam das Ende des Canal Grande. Je näher wir dem Markusplatz kommen, umso mehr Gondeln treiben im Wasser. Entlang dem Kanal gibt es unzählige Gondola Services. Allein durch die Vaporetti ist das Verkehrsaufkommen schon groß.
Wie es hier wohl zu den Hochzeiten der Gondolieri zugeht, wenn ganze Heerscharen an Touristen die Stadt unsicher machen? Während unseres Besuchs herrscht auch bei ihnen Flaute. Dafür geben die vielen, schaukelnden Gondeln vor dem Dogenpalast ein schönes Bild ab.
Wir lassen die Seepromenade von Venedig an uns vorbeigleiten und fahren bis zur nächsten Insel, nach Lido di Venezia. Lido ist Teil einer Nehrung, welche die Lagune von Venedig von der offenen Adria trennt. Auf der Insel gibt es ein mondänes Seebad und das ein oder andere luxuriöse Hotel.
Mehr als die Hälfte der adriatischen Seite besteht aus Sandstrand. Die Insel bietet genügend Platz für die Reichen und Schönen sowie auch prominenten Filmstars, die hier zu den jährlich stattfindenden Internationalen Filmfestspielen von Venedig kommen.
Lido di Venezia selbst ist von ein paar wenigen Kanälen durchzogen, in denen die Boote der Anwohner tuckern. Auf den Straßen muss man jedoch achtgeben, nicht gleich vom nächsten Auto angefahren zu werden. Man gewöhnt sich unglaublich schnell an die autofreien Gassen von Venedig. Und hier, auf einer Insel mit Fähranschluss ans Festland, muss man tatsächlich aufpassen, bevor man eine Straße kreuzt.
Nach einem kleinen Rundgang finden wir ein nettes Straßencafé für eine Pause. Damit erschöpft sich Lido für uns aber auch schon. Irgendwie gefällt es uns drüben in Venedig besser. Wir lassen uns vom Vaporetto zurück an den Markusplatz bringen und suchen uns dort eine gemütliche Pizzeria, um den eindrucksvollen Tag bei einem guten Glas Wein ausklingen zu lassen.