Für die Wanderung auf das Tomlishorn sind wir ab Fräkmüntegg zunächst immer dem Heitertannliweg gefolgt. Oberhalb von Oberlauelen sind bis zu den Chastelen einige Treppen zu meistern. Sowie diese Passage hinter uns liegt, ginge es auf dem Heitertannliweg weiter in Richtung Klimsenhorn bis zur Bergkapelle, und von dort auf sicheren Wegen auf den Pilatus. Für den Aufstieg auf das Tomlishorn wechseln wir stattdessen auf einen schmalen Pfad, der schräg hinauf zum, oder eher: hinter den Chastelendossen (auch Kastelendossen) führt. Das Massiv wirkt wie ein Bollwerk vor dem Nordabdachung des Tomlishorns und ist von oben her zugänglich.
Damit wählen wir den unbequemeren Aufstieg. Das eine Problem ist, dass der Pfad im unteren Bereich über große Blöcke hinweg führt und deshalb mehrmals aussetzt. Als Folge wählt ein Herr vor uns eine ganz andere Route hinauf zum Alten Tomliweg, sodass er die Serpentinen des Wegs gar nicht mehr finden kann. Das andere Problem ist der lose Untergrund. Bei jedem Schritt bewegt sich das Geröll unter den Schuhen - oder es rutscht von oben nach, sobald die tiefer liegenden Felssplitter nachgeben. Dadurch artet der Aufstieg zu einem Kraftakt aus, der uns den Blick für die Pflanzen hier oben wie Rittersporn, Steinbrech und Glockenblumen nimmt.
Als wir erstmals hinter die hoch aufragende Felswand Chastelendossen schauen können, verliert sich der Trampel- und Rutschpfad. Dafür hat sich ein kleines Bächle entlang der Felswand ein Bett geschaffen, in dem sein Wasser munter talwärts hüpft. Munter? Hüpft? Ha! Wir wissen nicht einmal, ob es besser ist, den Wall zwischen uns und dem Wasser zu überwinden und auf der anderen Seite nach oben zu kraxeln oder doch auf der Seite zu bleiben, zu der uns der Pfad geführt hat.
Einigermaßen erschöpft erreichen wir endlich den Alten Tomliweg. Da er parallel zum Tomlishorn verläuft, ist er bis zum Chastelendossen ohne weitere Anstrengung gut zu begehen. Damit ist es nur noch ein kurzes, leichtes Stück bis zur geplanten Pause oberhalb der Felswand. ‘Pause’, ja das ist, was ich schon den gesamten Anstieg über dachte. Ein Fehler, der mich beim letzten gar nicht mal so schwierigen Hindernis unachtsam werden lässt:
Ratsch, der rechte Fuß rutscht am Fels ab, meine Kamera beschreibt einen Bogen und scheppert mit dem Schutzfilter gegen das Gestein. Mein linker Arm blessiert sich an demselben. Auch wenn ich die ein- oder anderthalb Meter unter mir nicht zurückfalle, brauche ich doch einige Augenblicke, bis ich wieder festen Halt gefunden hab. Damit wissen wir nun, warum uns der Angestellte der Pilatus-Bahnen ein Päckchen Pflaster mitgegeben hat, und sind zugleich froh, dass er nicht auch noch einen Probepack Gips parat hatte ...
Durch den Ausrutscher beim Chastelendossen sind wir gewarnt. Das darf auf dem nächsten Stück nicht passieren, wenn wir den Grat heile erreichen wollen. Gewappnet und innerlich angespannt legen wir die wenigen Meter vom Chastelendossen zur Felswand zurück. Denn sowohl die Bilder vom Wurm (ein ausgebuchteter Weg im Fels) als auch der Blick aus der Ferne machen es für uns einfache Wanderer kaum vorstellbar, dass man dort überhaupt hindurchgehen kann.
Erst vor Ort ist gut zu erkennen, dass der Alte Tomliweg eine durchaus akzeptable Breite hat und der Wurm hoch genug ist, dass man aufrecht darin laufen kann. Also bis 1,80 m ist dies zumindest gut möglich. Deswegen, und weil der Alte Tomliweg kein offizieller Wanderweg mehr ist, gibt es hier kein Seil an der Wand. Was ich bedaure. Denn am Anfang müssen wir zwei, drei Schritte über eine Stelle gehen, die schräg nach außen abfällt. Da hier Wasser fließt, könnten die Steine ja glatt sein. Das sind sie zwar nicht. Das weiß man allerdings erst, wenn man drauf steht.
Der Rest vom Wurm stellt kein Problem dar. Allerdings sollte man schwindelfrei sein. Denn der Abgrund, der sich rechts von einem auftut, wirkt doch arg bedrohlich. Annette macht dies nichts aus. Ich aber bin froh, als wir auf der anderen Seite des Wurms wieder etwas mehr Stein zwischen uns und der Kante haben. Danach kraxeln wir sicher auf allen Vieren weiter bergauf. Es ist steil und kostet Kraft. Einige fest in den Fels getriebene Eisenstangen aber machen den Aufstieg gut möglich. Weil oben ein sicherer Standpunkt wartet, kann Annette außerdem in aller Ruhe filmen, wie ich mir eins abplage.
Sie hätte besser in die andere Richtung gefilmt. Denn als ich sie erreiche, sehe ich einen Steinbock, der von der anderen Seite den Alten Tomliweg hinunter steigt. Eine Kurve weiter stehen sie dann vor uns: zwei Steinböcke, die aus einer Art Höhle heraus beobachten, wie wir sie beobachten. Sie stehen direkt vor dem Sperrblock, der den früher gut ausgebauten und mit Geländer versehenen Höhenwanderweg zerstörte. Heute ist dies die Schlüsselstelle der Wanderung. Für Annette, weil einer der Steinböcke am Ende des ersten Seils auf sie wartet und sie sich nicht vorbei traut. Für alle anderen, weil die Seile oberhalb von dem Spalt rechts über den Sperrblock und damit aus der schwindelsicheren Kluft heraus auf einen völlig ungeschützten Bereich des Felsens führen.
Oh, mein Gott! Das ist ja gar nicht nach meinem Geschmack. Während es hinter mir vermeintliche hundert Meter in die Tiefe geht, ziehe ich mich Stückchen für Stückchen die Drahtseile hoch. Das Problem bei der Sache ist, dass ich keine Vorstellung habe, wie lang ich diese verdammte Schräge aushalten muss, bis ich wieder gesünderes Terrain unter mir weiß; ob es nur ein paar Meter sind oder der Horror bis zum Grat anhält. Denn weil man hier beide Hände braucht, gibt es von der Schlüsselstelle keine Bilder, die sie einem ganz genau zeigen. An eine Umkehr war aber schon beim Spalt nicht mehr zu denken, da während unseres kurzen Fotostopps bei den Steinböcken Wolken über die Chastelen hinauf zum Wurm gezogen waren.
Als Annette mir zuruft, es werde bereits flacher und das schlimmste Stück hätten wir hinter uns, stehen genau links von mir drei weitere Steinböcke. Deswegen anzuhalten oder gar die Kamera aus dem Rucksack zu kramen, kommt nicht in Frage. Nein, jenseits meiner Grenzen bin ich froh, als wir den Sperrblock endlich bezwungen haben und die nächsten Meter über einen gesicherten Weg zum finalen Aufstieg auf den Grad führen. Etwas bleich um die Nase lasse ich mich kurz danach ins weiche Gras sinken. Wir haben es geschafft - und ich werde so einen Weg kein zweites Mal wählen ... und falls doch, verratet es bitte nicht meinen Eltern (-;
Eindrücke vom spektakulären Alten Tomliweg am Pilatus. Aufnahmen von Steinböcken.
So gemein der Aufstieg an der Nordseite des Tomlishorns ist, so gemütlich ist der gut gesicherte Höhenwanderweg südlich des Grats. Außerdem scheint hier die Sonne, während die Wolken den Norden des Pilatus bereits beherrschen. Das gilt allerdings nur für den Norden. Denn so, wie sie sich über den Grat zu schieben versuchen, werden sie vom Südwind abgedrängt. Damit entsteht ein Wirbel, der wie eine Walze feuchte Luft an der Nordseite des Bergmassivs aufsteigen lässt. Ein herrliches Schauspiel, das die Natur uns hier oben bietet.
Noch ganz geschafft von der Grenzerfahrung auf dem Tomliweg spazieren wir vom Gemsmättli zum Tomlishorn (2.128 m). Bevor wir den stark frequentierten Gipfel stürmen, suchen wir uns aber erstmal ein gemütliches und vom Hauptwanderstrom nicht einsehbares Plätzchen auf einer Grasmatte am Südwesthang. Es ist Zeit für die zweite wohlverdiente Pause; Zeit zum Erholen und wieder Farbe gewinnen und: es ist Zeit, die geselligen Alpendohlen mit Brotkrumen zu füttern. Hier oben auf dem Pilatus sind die schönen Vögel so zahm, dass sich einige sogar trauen, den Wanderern das Brot direkt aus der Hand zu nehmen. Hoffen wir mal, dass wir damit nichts Unrechtes tun.
Zwanzig Minuten später rappeln wir uns schließlich wieder für das letzte kleine Wegstück bis auf den Gipfel auf. Während wir den anderen Wanderern und Spaziergängern über die Treppe nach oben folgen, sehen wir links von uns, dass dort, wo wir noch eine Stunde zuvor gewandert waren, nun gar nichts mehr zu sehen ist. Wenn nicht eine dichte weiße Decke, die verdeckt, wo nichts außer einer steilen Wand und ein tiefer Abgrund ist. Oh, wie bin ich froh, dass wir dies hinter uns haben und oben einem Spaziergänger zuschauen können, der die Alpendohlen mit Obst füttert.
Die Anfahrt erfolgt über die A 2 bzw. E 35 oder A4 nach Luzern. In Luzern bei der Ausfahrt 27 abfahren und weiter über die 2a bis Kriens, dort der Beschilderung zur Pilatus-Bahn in Kriens folgen.
Ausgangspunkt | Fräkmüntegg (1416 m), Mittelstation der Pilatus-Bahn |
Koordinaten | N 47.03050, E 8.27770 (Talstation in Kriens) |
Gehzeit | 3 - 3.30 Stunden |
Distanz | 4,0 km |
An-/Abstiege | ca. 850/140 m |
Grad | T4 |
Einkehr | in Fräkmüntegg, auf der Strecke keine |
Beschilderung | Heitertannliweg - Lauelenegg (1442 m) - Oberlauelen (1332 m) - Pilatus - »Bergweg«, dann ohne Beschilderung rechts Richtung Chastelendossen halten und auf blaue Punkte achten, auf dem Grad nach links laufen und dann Schildern zum Tomlishorn folgen |
GPS-Daten | Wanderung Pilatus Alter Tomliweg Tomlishorn gpx |
kml-Daten | Wanderung Pilatus Alter Tomliweg Tomlishorn kml |