Als wir bei unserer zweiten Wien-Reise nicht so recht wissen, was wir als Nächstes anschauen sollen, setzen wir uns einfach in die nächstbeste Straßenbahn. Ohne es zu wissen, erwischen wir die Linie D. Wohin diese fährt, wissen wir zwar nicht, aber mit Hilfe des Stadtplans werden wir uns schon irgendwie zurecht finden. Ansonsten lassen wir uns einfach überraschen, wo wir landen und was uns dort erwartet.
Just als ich merke, dass wir nach dem bereits zweiten Halt aus unserem Stadtplan hinausgefahren sind, meldet sich eine ältere Dame: »Die Bahn fährt nach Nussdorf. Wenn Sie ins Zentrum wollen, müssen Sie in die andere Richtung fahren.« Es dauert nicht lange, bis sie erklärt: »Wenn Sie gleich nach rechts schauen, sehen Sie den Hundertwasserturm, die einzige Sehenswürdigkeit in dieser Gegend.«
Aaaber, die nette Frau hat noch einen weiteren Tipp für uns parat: nahe der Endhaltestelle der Straßenbahn, in Nussdorf, befinden sich mehrere Heurigen-Lokale. Na also, da haben wir doch unser nächstes Ziel! Wir haben Glück. Denn nur fünf Minuten nach unserer Ankunft Nussdorf (Sa., 14.30 Uhr), öffnet zumindest eines der Heurigenlokale, sodass wir schon am frühen Nachmittag je zwei Gläsle Heurigenwein genießen können.
Auch wenn die Speisekarte nur wenige, einfache Gerichte bietet und sich die Heurigenlokale ein gutes Stück außerhalb vom Zentrum Wiens befinden, empfiehlt es sich auch hier, möglichst schon vorher einen Tisch zu reservieren. Zwar ist am Nachmittag noch nicht allzu viel los, an verschiedenen Tischen der großen Gaststube sowie den Nebenstuben hängen allerdings einige Karten, die zeigen, dass es in den Lokalen bereits am frühen Abend voll wird.
Beim Heurigen haben wir sowas erwartet wie das Törggelen in Südtirol oder die Besenwirtschaften im Kaiserstuhl beim Schwarzwald. Da wird Junger Wein und deftige Hausmannskost in saisonal geöffneten Schankbetrieben für Wein angeboten. Doch die Bezeichnung »Heuriger« ist weder geschützt noch gesetzlich definiert. So kann sich jeder Betrieb, der sich als Heurigen fühlt, auch so nennen. Trotzdem bietet die Wiener Heurigenkultur eine besondere Atmosphäre. Im 15. Jahrhundert war Wein zum Volksgetränk geworden. Die Winzer hatten ihren Ausschank, doch fehlte selbst eine kalte Küche. Damals brachten die Ausflügler ihr Essen zum Wein noch selbst mit.
Das änderte sich mit einem Dekret des Kaiser Josephs II., der den Weinausschank förderte und den Wirten ermöglichte, ihre Gäste mit bodenständigem Essen zu versorgen. Als Grundidee der alten Heurigen kann somit neben Wein, Sturm, Most und Traubensaft auch heimische Wurst- und Käsesorten und sonstige Brotzeitleckereien angeboten werden. Zahlreiche Lokale bieten heute aber auch ein warmes Heurigenbuffet an, was sie kaum noch von anderen Wirtshäusern unterscheidet. Doch die urige, wienerische Gemütlichkeit in rustikalem Ambiente ist noch immer gegeben. Dazu dudelt die typische Heurigenmusik, die mit ihren traurigen Klängen an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert.