Direkt gegenüber vom Stelenpark befindet sich die Kathedrale Maryam Tsion bzw. die Kirche St. Maria von Zion. Die benachbarte Lage zu den Stelen ist sicher gewollt. Denn schon im Vierten Jahrhundert nach Christus wechselte der Aksumitische König Ezana zum Christentum. Damit nahm Axum als erstes Land von Schwarzafrika den christlichen Glauben an und stand die Kirche von Beginn an im Zentrum der Macht.
Es wird angenommen, dass hier ebenfalls schon im Vierten Jahrhundert eine erste Kirche gebaut wurde. Damit gilt sie als das älteste und wichtigste Kirchengebäude der Äthiopisch-orthodoxen Kirche. Allerdings wurde das Gotteshaus im Laufe der Jahrhunderte wenigstens zweimal zerstört. Neben der alten Kirche ließ Kaiser Haile Selassie 1950 eine neue bauen, in der außer den Männern auch die Frauen Zutritt haben.
Unser Programm hatte die Kirche als erstes Ziel vorgesehen, gleich im Anschluss an den Gottesdienst. Doch das kann ganz schön dauern. So hören wir zwar einen Vorbeter, der ähnlich einem Muezzin ein halb gesungenes »Amen« nach dem anderen durch die Lautsprecher ertönen lässt. Doch wer nach einer Reihe fünf, sechs Amens denkt, dass dies das Ende des Abschlussgebets sein müsse, wird bald eines Besseren belehrt.
Weil nicht gewiss ist, wie lange der Gottesdienst noch dauern wird, hatte unser Reiseleiter den Besuch des Stelenparks vorgezogen. Zu Recht, wie wir später mitbekommen. Denn tatsächlich sind wir mit den Stelen und Grabkammern sowie dem Stelenmuseum fast durch, als wir endlich durch das Tor auf den großen Vorplatz der Kirche gelassen werden und die Kirche besuchen können.
Doch das Warten lohnt sich. So sehen wir beim Rundgang durch die Marienkathedrale einige farbenfrohe Wandbilder mit biblischen Szenen. Stolz zeigt uns einer der Priester außerdem ein Buch mit zahlreichen weiteren Bildern. Beides muss so sein. Denn die Äthiopisch-orthodoxe Kirche sieht es als ihre Aufgabe, Gottes Wort zu verkünden. Weil damals kaum einer lesen konnte, wurden die biblischen Geschichten einfach in Bildern erzählt. Das erleichterte auch der einfachen Bevölkerung - meist Bauern - den Zugang zu Gottes Wort.
Nicht zu sehen bekommen wir hingegen das wertvollste biblische Artefakt der Kirche. So soll dem Glauben der ähtiopisch-orthodoxen Christen nach in einer Kapelle neben der St. Maria von Zion die echte Bundeslade aufbewahrt werden. Glaubt man der Überlieferung, kam diese mit Menelik I. nach Äthiopien, nachdem er seinen Vater König Salomo besucht hatte. Bleibt die Frage, warum Salomo die Bundeslade ihm hätte geben sollen? Sah er sie in Gefahr? Wenn ja, dann war das weise, da Axum eine weit ruhigere Geschichte als Israel durchlitt.