Die Rinder und tanzenden Hamer-Frauen führen uns zu einem baumfreien Plateau. Ein paar der Maza folgen uns. Der Initiator indes wird noch versteckt gehalten. In dem heillosen Durcheinander aus Rindern, Touristen und Hamer bildet sich wieder eine singende und trötende Frauengruppe heraus. Einzelne Frauen blasen in das Blechhorn und fordern die Maza auf, sie auszupeitschen. Im Gesicht des Mannes zeigen sich indes kaum Regungen.
Ob die Maza dabei Freude verspüren oder sich doch nur dem Jahrhunderte alten Brauch unterordnen, wagen wir nicht zu beurteilen. Sicher aber ist, dass die dünne Peitsche dann doch ein ums andere Mal durch die Luft sirrt, eh sie blutende Wunden auf dem nackten Rücken der Frau hinterlässt. Auch wenn es völlig unmenschlich wirkt (und auch ist), ist das für die Frauen ein wichtiger Bestandteil des Brauchs. Manche lachen dabei fröhlich, während andere ein eher verkniffenes Gesicht ziehen.
Während wir mit einem Gastgeschenk unsere Achtung zeigen, verfügen die Hamer-Frauen über keinen Besitz, den sie dem Initiator schenken könnten. Das Auspeitschen der Frauen ist somit ein Zeichen ihrer Verbundenheit und Zuneigung. Die dabei entstehenden Narben werden als kostbare Trophäen betrachtet.
Um diese noch hervorzuheben, schmieren die Frauen eine Flüssigkeit darauf, sodass sich die Wunden entzünden und wulstiger werden. So lässt sich mit einem Blick auf den Rücken erkennen, welche der Frauen schon öfters an solch einer Zeremonie teilgenommen haben und welche noch »frisch« dabei sind.
Immer wieder rennen die Frauen zu den Maza und fordern sie heraus, während die Maza die meiste Zeit eher reglos auf dem Plateau stehen, die Peitsche fest in ihrer Hand. Zum Teil wirkt es, als müssen die Frauen darum drängen, weiter ausgepeitscht zu werden. Saust dann die lange Gerte nach unten und streicht über den Rücken, lachen ein paar sogar weiter und bedanken sich. Als wäre nichts geschehen. Als gäbe es keinen Schmerz und kein frisches Blut, das in dünnen Fäden über die zerfetzte Haut rinnt.
Ganz so ist es aber wohl doch nicht. Ein junges Mädchen neben mir dreht sich beschämt weg und fängt an zu weinen, nachdem es die Prozedur tapfer erduldet hat. Sie versteckt sich und versucht, ihre Tränen vor unseren Augen zu verbergen. Sie tut mir Leid und ich würde sie liebend gerne in den Arm nehmen. Das lasse ich aber besser bleiben. Zu groß ist die Angst, von den Maza ebenfalls mit einem Peitschenhieb bedacht zu werden. Wie die anderen Frauen darauf reagieren, wage ich mir nicht einmal auszudenken.
Nach einer weiteren Zeit des langen Wartens betritt endlich der Initiator des Festes die freie Fläche auf dem Plateau. Anders als die Maza hat er lange und offene Strubbelhaare. Das soll ihn wohl von den anderen Männern des Dorfes unterscheiden. Bis auf zwei Ketten um die Schultern ist er völlig nackt. Bei seinem Erscheinen endet dann endlich das rituelle Auspeitschen der Frauen und werden die Rinder für den Bullensprung auf engstem Raum zusammengetrieben.
Für die Rinderreihe werden zwar nur ein paar Tiere benötigt, trotzdem wird erst einmal die ganze Herde auf der Fläche zusammengetrieben. So wird wohl der Reichtum des Stammes für alle Anwesenden sichtbar dargeboten. Die Hamer-Frauen tanzen mit viel Geschelle, Getröte und Gesang um die Herde herum. Dabei ziehen die Hamer den Kreis immer enger, bis die Rinder schließlich ganz nah beieinander stehen.
Dann beginnen die jungen Männer die benötigten Ochsen aus der Herde zu ziehen. Da auch Kühe darunter sind, dauert es eine Weile, die richtigen Tiere zu sammeln. Diese wurden bereits zuvor vom Initiator ausgewählt. Und doch haben die Ochsen keine Lust, brav nebeneinander stehen zu bleiben.
Es wird also gezogen und gezerrt an Schwanz, an den Beinen und den Hörnern der Tiere, die sich sichtlich unwohl fühlen. Und dazu noch der Radau der Frauen. Hin und wieder versucht ein Tier zu entkommen, was zusätzliches Gekreische auslöst. Aber es geht alles gut und die Rinder stehen bald in einer Reihe.
Die bemalten Männer, die jetzt magische Kräfte besitzen sollen, verteilen sich um den Kreis. Das ist blöd für so manchen Tourist. Einer Italienerin wird die Sicht verstellt und sie klopft dem Mann leicht auf die Schulter. Das hätte sie besser bleiben lassen.
Sie wird zwar nicht ausgepeitscht, erntet aber bitterböse Blicke der Hamer. Und das mit der Sicht auf den Platz hat sich für sie dadurch nun ganz erledigt. Die Verwandten des Initiators stehen mit dem Rücken nach Westen, um Böses abzuwenden.
Inzwischen ist der junge Mann bereit für den Bullensprung. Er steht vor den Tieren und konzentriert sich, bevor er losrennt. Er ist fit und sicher. Er nimmt Anlauf und mit wenig Mühe rennt er über die Ochsen hinweg. Auch beim zweiten und dritten Mal hat er keine Probleme.
Beim vierten Mal strauchelt er kurz, aber er schafft es. Er ist sichtlich erleichtert, während kurz Stille herrscht. Nachdem alle begriffen haben, dass der junge Mann jetzt erwachsen ist, beginnen die Frauen wieder zu tröten und zu singen.
Mit diesem Ritual hat der junge Mann bewiesen, dass er heiratsfähig und erwachsen ist. Auch wenn die Ehefrau in der Regel von der Familie ausgesucht wird, ist dies ein wichtiges Ritual für den Mann. Schafft er es nicht, über die Rücken der Rinder zu rennen, bekommt auch er die Peitschen zu spüren. So zahlen es ihm die Mädchen Hieb für Hieb heim.
Manche Stämme gehen so weit, dass sie den jungen Mann aus der Dorfgemeinschaft ausstoßen und vertreiben. Dabei hängt der Erfolg des Bullensprungs auch von den Haltern der Rinder ab. Stehen die Tiere nicht dicht beieinander, ist es kaum zu vermeiden, dass der Springer zwischen die Tiere rutscht. Damit ist das Ritual auch ein Vertrauensbeweis in die Gemeinschaft.
Aufnahmen vom Bullensprung der Hamer, der Reifeprüfung junger Männer. Der Besuch dieser Veranstaltung war für uns der Höhepunkt der Fahrt durch den Süden Äthiopiens. Dabei wurden wir auch Zeuge vom Auspeitschen der Frauen als Zeichen der Hingabe.
So langsam geht die Sonne unter. Wir haben ganz schön viel Zeit bei dem Ritual verbracht und sind glücklich, dabei gewesen zu sein. Jetzt, wo das Spektakel vorüber ist und alle zum Wadi und Auto zurücklaufen, ist das Fotografieren wieder verboten. Die Hamer sind erschöpft und werden nach der Anspannung leicht aggressiv, wenn eine Kamera in ihre Richtung zeigt.
Einzig die inzwischen leeren Wasserflaschen sammeln sie ein, wo immer dies möglich ist. Dann sind sie auch schon auf dem Weg zu den Wasserlöchern im Wadi, wo sie sich gemeinsam waschen. Wir selbst verzichten darauf und freuen uns stattdessen auf unser Zicklein, das jetzt schon lecker zubereitet sein muss.