Von den indigenen Völkern, die wir im Süden Äthiopiens besuchen, sind die Hamer die hübschesten. Die Haare der Frauen werden in kurzen, dünnen Zöpfen getragen, welche mit einer Mischung aus Butter und rotem Ton oder Lehm eingerieben werden. Das schützt sie vor Sonne und Ungeziefer. Als Kleidung tragen sie Lederschürzen, die mit vielen, vielen Perlenketten besetzt sind. Ketten aus Perlen oder Schneckenhäusern sind im Allgemeinen wichtige Accessoires für ihre Kleidung und den Körperschmuck.
Egal, ob Hals, Arm, Bein oder Bauch, überall hängen dünne Ketten oder breite Gurte aus Perlen. Die Arme werden zusätzlich mit mehreren dünnen Metallringen verziert. Bei einer Frau fallen uns zwei breite Metallringe um den Hals auf. Es sind spezielle Ehe-Halsringe, die nach der Geburt des ersten Kindes wieder abgenommen werden. Die Anzahl der Ringe signalisieren, die wievielte Frau ihres Mannes sie ist. Hier also die Zweitfrau.
Die Hamer sind ein Hirtenvolk und ernähren sich vor allem von Fleisch, Blut und der Milch ihrer Tiere. Die gezüchteten Ziegen und Rinder gelten zugleich als Statussymbole der Menschen. So bringt uns das Stammesoberhaupt stolz zu seiner Rinderherde, um uns seinen reichen Besitz vorzuführen. Ebenso stolz präsentiert er uns aber auch seinen über und über mit Schmucknarben verzierten Körper.
Sie symbolisieren Erfolge bei der Jagd und der Stammesverteidigung. Die Narben auf Bauch und Brust bedeuten, dass er Menschen aus befeindeten Stämmen getötet hat. Die Haut wirkt alt. Das muss auch so sein. Denn heute sind solche Narbensymbole auf dem Bauch verboten. Auch ein armes Land wie Äthiopien duldet keine Traditionen, die mit Mord und Totschlag einhergehen und stellt diese unter Haftstrafe.
Die Familie ist zwar gastfreundlich, wirkt aber sehr ernst. Und es wird noch ernster, als der neidische Nachbar dazustößt. Hat Yitbarek am Anfang einen Preis für unseren Besuch mit dem Familienoberhaupt ausgemacht, stichelt nun der Nachbar, es wäre viel zu wenig. Die vermeintliche Niederlage kann sich das stolze Oberhaupt natürlich kaum gefallen lassen.
Augenblicklich kommt es zu einem tumultartigen Wortgefecht. Es ist besser wir gehen. Während Yitbarek noch am Streiten ist, begleiten uns die Mädchen und Buben zum Auto und bedauern unser Gehen. Schade auch für uns. Aber wir haben hier das erste Mal die Rückennarben der Frauen gesehen, die von den Ritualen wie beim Bullensprung herrühren.
Am Nachmittag haben wir dann die Wahl: Wir können mit unserem Koch traditionell ein Zicklein schlachten und zubereiten oder an einem der bedeutendsten Rituale der Hamer, dem »Bullensprung«, teilnehmen. Beides hat was Grausames an sich.
Aber wenn man schon mal da ist und sich die Gelegenheit bietet, sollte man sich den Sprung über die Rinder auf keinen Fall entgehen lassen. Eines muss uns jedoch im Klaren sein: Was wir heute sehen, ist ein Brauchtum ohne Gnaden.
Damit fahren wir wieder auf unwegsamem Gelände durch die Savanne, zwischen Gebüschen und Sträuchern hindurch, bis wir an einem Wadi – dem Keske-River? – ankommen. Ab hier geht es nur zu Fuß weiter. Mehrere weitere Geländewagen haben den Weg hierher gefunden. Ob es sich um eine reine Touristenveranstaltung handelt?
Nein, das ist ausgeschlossen. Der Weg durch den trockenen Fluss ist bei dem lockeren Sand zu beschwerlich. Und dazu die drückende Hitze. Haben wir heute morgen unserem Fahrer noch eine Mütze geschenkt, so verleiht er diese jetzt an Lars, um ihn vor einem Sonnenstich zu bewahren.
Wir laufen eine ganze Weile an den schönsten Felsformationen im Wadi vorbei, immer auf der Suche nach schattigen Abschnitten. Nach etwa einer halben Stunde Fußmarsch hören wir lautes, weibliches Singen und das Tuten ähnlich einer Vuvuzela. Im Schatten von größeren Bäumen sitzen die Hamer bei den Vorbereitungen zum großen Fest. Dazwischen verteilen sich ein paar Touristen und passen doch nicht so richtig ins Bild.
Jetzt ist es kein Problem, Fotos von den Menschen aufzunehmen. Wir haben beim Stammesführer 500 Birr für beide bezahlt. Das entspricht in etwa dem Wert von zwei Ziegen, die wir sonst als Gastgeschenk hätten darbringen müssen. Somit dürfen wir uns während des Festes frei bewegen und fotografieren. Die Hamer haben damit neben der Rinderzucht eine weitere, ergiebige Einnahmequelle.
In einer Hamer-Gruppe bemalen sich die Männer gegenseitig die Gesichter mit bunten Mustern. Es sind »Maza«, Jünglinge, die ihre Prüfung schon hinter sich haben. Die Bemalung soll ihnen magische Kräfte verleihen. Aber auch einige Mädchen werden bemalt. Was dies alles bedeutet, bleibt uns verborgen. Die Hamer sind keiner Weltreligion zuzuordnen.
Sie glauben an treibende Kräfte, welche sie »barjo« nennen und mit Bemalungen und Gesängen hervorrufen. Missionare, die den christlichen Glauben lehren wollten, bissen bei den Hamer auf Granit. Der Glaube hatte weder in ihr soziales noch kulturelles Leben gepasst und ihre Feste und Bräuche ließen sich in kein christliches Gewand zwängen.
Wieder fangen die Frauen an zu singen und im Kreis zu tanzen. Sie haben laute Schellen um ihre Beine. Das Geräusch erinnert an die schwäbisch-alemannische Fasnacht. Irgendwann fängt eine der Frauen an in ein Blechhorn zu tröten, dann hüpfen sie alle im Kreis und der Tanz löst sich kurz auf, bevor es weiter im Kreis herum geht. Völlig fertig sitzt ein Teil am Rand und schaut nur zu.
Aus Kalebassen trinken sie eine seltsame braune Flüssigkeit, wahrscheinlich ihr Biergebräu aus Hirse. Die Stimmung ist ausgelassen, aber so richtig fröhlich wirken nur wenige. Ein Teil der Frauen scheint sich mehr in einer Art Trance zu befinden. Und die, die es nicht sind, scheinen eher unter einem anderen Brauch zu leiden: Dem rituellen Auspeitschen.
Wir setzen uns zu den Hamer und warten ab. Wann und wie es weiter geht, weiß keiner so genau. Hin und wieder werde ich auf mein T-Shirt angesprochen. Bunte Kleidung wirkt anziehend. Diese wollen sie haben, auch wenn es ihrem Kleidungsstil widerspricht.
Da ich nicht nackt herumrennen will, lasse ich das mit dem Verschenken. So warten wir noch eine ganze Weile, bis ein paar Rinder gesammelt und an uns vorbei getrieben werden. Wir folgen und sind gespannt, wie es weitergeht.
Bullensprung und Frauen Auspeitschen bei den Hamer
Die Rinder und tanzende Hamer-Frauen führen uns zum Platz der Rituale. Hier erleben wir, wie die Mädchen und Frauen die Maza mit Pauken und Trompeten auffordern, sie auszupeitschen. Warum machen sie das? Und dürfen die Frauen auch weinen? Es gehört zur Vorbereitung zum Bullensprung, dessen Spektakel wir auch miterleben dürfen. Bei dem Sprung über die Ochsen steht für den jungen Mann viel auf dem Spiel.