Früh am Morgen startet unsere Fahrt von Mekele über das Hochland von Abessinien nach Lalibela. Wir sind froh, dass die Straßen in dieser Region von Äthiopien gut ausgebaut sind. Denn auch hier stehen einige Passüberquerungen an. Entlang des Großen Ostafrikanischen Grabenbruchs befinden wir uns beständig oberhalb von 2500 Meter. Hin und wieder geht es sogar auf über 3000 Meter. Allein anfühlen tut es sich lange nicht so hoch.
Die höchsten Berge, auf denen ich in Deutschland war, sind das Nebelhorn und das ebenfalls im Allgäu zu findende Fellhorn. Wenn ich frage, warum mich Lars nie auf die Zugspitze bringt, kommt eine prompte Antwort: »Weil es da oben immer Schnee gibt und Du Schnee nicht ausstehen kannst.« Doch wenn wir in Deutschland mal über 2000 Meter hoch sind, dann sind die Berge spitz und es geht zu allen Seiten steil herunter.
Bergspitzen finden wir hier weniger. Dafür Tafelberge und runde Kuppen. Die Stopps bei einigen Aussichtspunkten sind gute Gelegenheiten, um mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen. Die kennen natürlich die beliebten Stellen und bieten kleine, geröstete Knabbereien am Straßenrand an. Ich verteile derweil Schulhefte und Seifen. So langsam habe ich die Kinder im Griff und weiß mit ihnen umzugehen, ohne gleich über den Haufen gerannt zu werden.
Immerhin braucht unser Fahrer Sammy auch seine Pausen zwischen den kurvenreichen Bergstrecken. Zumal er heute schon in die Botanik hüpfen musste, nachdem sein neuer Lederhocker und ein Ersatzrad während der Fahrt vom Dach gehüpft sind. Während der Hocker oben liegen blieb, kam das Rad erst ein gutes Stück weit unterhalb der Straße zum Liegen.
Auch auf dem Hochland von Abessinien steht die Teffernte an. In riesigen Ballen gebunden, schleppen die Bauern die Ernte huckepack von den Feldern zum Dreschplatz ins Dorf. Ob die Esel Probleme mit der Höhenluft haben? Auf jeden Fall gibt es hier oben nur wenige solcher Helfer. Zwei Männer unserer Reisegruppe versuchen, einen der Teff-Ballen ein Stück weit zu tragen. Europäische Kniegelenke sind allerdings nicht auf so schwere Last ausgelegt und knicken schnell ein.
Im Vergleich dazu haben äthiopische Bauern doch einige Kraft in den Beinen stecken und sind die dünne Luft auf dem Hochland gewohnt. Angesichts der scheinbar reichen Ernte ist es für uns kaum vorstellbar, dass die Hungersnot von 1984 hier am schlimmsten grassierte. Berichte im britischen Sender BBC lösten damals eine bis dahin beispiellose Spendenaktion aus. Für viele Menschen kam jede Hilfe allerdings zu spät. Mehr als eine Million Menschen verhungerten infolge der Dürre und Missernte.
Auch danach war und ist Äthiopien immer wieder ein Land, das unter den Folgen lang anhaltender Dürren besonders leidet. So hat 2016 das Klimaphänomen El Niño zu herben Ernteausfällen geführt. Um die Folgen abzumildern, hat die Regierung soziale Systeme aufgebaut. Dazu zählt auch, dass sechs Millionen Äthiopier außerhalb der Erntezeit im öffentlichen Dienst beschäftigt werden. Als Gegenleistung erhalten sie Lebensmittel.
Auf der anderen Seite wird die Regierung für das rasche Bevölkerungswachstum mit verantwortlich gemacht. Seit dem Ende der Hungersnot 1984/1985 ist die Bevölkerung von 41 auf über 100 Millionen gestiegen. Das bringt billige Arbeitskräfte für die Textil- und Lederwarenfabriken, welche ebenfalls staatlich gefördert werden. So scheint es vorprogrammiert, wann die nächste Hungersnot hohe Opferzahlen in Abessinien fordert.