Nach der zweiten erholsamen Nacht und einem tollen Frühstück im Hotel Sabean verlassen wir Axum. Mit der Fahrt nach Mekele liegt erneut eine lange Strecke durch die Berge im Norden Äthiopiens vor uns. Anders als bei der Fahrt nach Axum oder später nach Lalibela steht mit der Klosterkirche Abba Aftse jedoch schon bald ein kultureller Höhepunkt auf dem Programm.
Bei unserer Ankunft ist gerade der Gottesdienst zu Ende gegangen. Bevor wir den in weißen Tüchern gekleideten Gläubigen entgegenlaufen können, müssen wir jedoch die obligatorische Gebühr fürs Filmen berappen. Wobei es sich zumindest lohnt. Und auch wenn der Mann am Eingang einem Wegelagerer ähnlich sieht, stellt er uns für die 50 Birr eine ordentliche Quittung aus.
Der Zugang zur Kirche erfolgt über eine Treppe. Da die Anlage von einer Doppelmauer umgeben ist, führt der Weg durch zwei kurz aufeinander folgende Eingangstore. Am oberen Ende der Treppe thront dann die zu dieser Seite mit drei Wandbildern verzierte Kirche. Diese ist dem Hl. Abba Aftse, einem der neun äthiopischen Heiligen gewidmet, die im Sechsten Jahrhundert im Norden Äthiopiens lebten und wirkten. Der Eingang in die Kirche befindet sich auf der, von vorne gesehen, rechten Seite.
So friedlich die Atmosphäre bei der Kirche heute ist, ging es hier allerdings nicht immer zu. Als deutsche Forscher 1906 nach Yeha kamen, waren von der Kirche nur Ruinen übrig. Wer dafür die Verantwortung trägt, ist unbekannt. Seit 1949 ersetzt der neue, rechtwinklige Bau die alte Kirchenruine. Als Besonderheit wurden hierfür auch Steine von Bauwerken aus der sabäischen Epoche verwendet. Sichtbares Zeichen dafür sind zwei Reliefs mit Steinböcken, die wir auf der vorderen Außenmauer bemerken.
Besuch des Klosters Abba Aftse und des Tempels von Yeha im kulturellen Norden von Äthiopien.
Abba Aftse war einer der neun Heiligen von Äthiopien. Diese neun Heiligen sind eine Gruppe von Mönchen, die aus dem östlichen Mittelmeerraum kommend Klöster in Äthiopien gründeten. Dabei kamen sie aus verschiedenen Teilen des oströmischen Reiches, nachdem sie vor den Verfolgungen der Orthodoxen geflohen waren. Der Überlieferung zufolge kamen sie im Jahr 480 in Axum an. Abba Aftse stammt aus Asien, möglicherweise aus der Region, die unter ihrem antiken Namen Edessa bekannt ist.
Der Mönch verweilte einige Zeit in Axum, um die Sprache und Kultur Äthiopiens zu lernen. Zusammen mit Abba Gerima verließ er dann die kaiserliche Hauptstadt, um das Evangelium und den christlichen Glauben im Land zu predigen. Abba Aftse durchwanderten mehrere Gegenden, bis er in der antiken Stadt Yeha ankam. Es gelang ihm, den heidnischen Tempel in eine Kirche zu verwandeln. Daraufhin versammelte er in Yeha eine Gemeinschaft von Jüngern um sich und blieb dort bis zu seinem Tod.
Ein beliebtes Motiv sind auf dem parkähnlichen Platz vor bzw. links der Kirche übrigens Gläubige, die wie zufällig in ihren weißen Tüchern wie bestellt auf einem großen Stein sitzen oder sich an einem Stab halten. Offenbar wissen das auch die Äthiopier. So beobachten wir einen alten Mann, der sich geduldig ablichten lässt, eh er seinen Lohn - ein paar wenige Birr - einfordert. Auch wenn wir auf die Aufnahme verzichten, ist das sicher okay, da beide Seiten etwas davon haben.
Nachdem wir uns kurz bei den Gräbern zwischen der Kirche und der inneren Mauer aufgehalten haben, gehen wir zum benachbarten Großen Tempel von Yeha. Auch er wurde von der Kirche dem Heiligen Abba Aftse geweiht. Das gilt zumindest als Erklärung dafür, dass der bereits Mitte des 7. Jahrhunderts vor Christus errichtete Bau überhaupt solange erhalten blieb. Es wird vermutet, dass der Große Tempel einst zu Ehren des sabäischen Mondgottes Almaqah gebaut wurde.
Leider fiel ein Großteil des einst prächtigen Tempels einem verheerenden Feuer zum Opfer. Neben dem Fachwerk der Innenwände und der Decke des zweigeschossigen Hypostylbaus (ägyptischer Säulensaal) fiel diesem auch die für damalige Verhältnisse monumentale Eingangstür zum Opfer. Einzig die aus Kalkstein gefertigten Außenmauern überstanden die Katastrophe. Wer diese genauer betrachtet, wird über die Bauweise staunen: die für den Tempel verwendeten Steine wurden derart passgenau bearbeitet, dass sie auch ohne den sonst benötigten Mörtel hielten.
Leider hat ihnen die Verwitterung im Laufe der Jahrhunderte arg zugesetzt. Als Folge musste der Tempel von Yeha 2010 mit einem hässlichen Stahlgerüst abgesichert werden, was das Bild doch stört. Hätte man auf das Gerüst verzichtet, stünden wir jedoch womöglich vor einem Yeha-Steinhaufen, was auch nicht im Sinne des Betrachters liegt. Dennoch gilt der Bau durch seine bis zu 14 Meter hohen Mauern und dem noch sichtbaren Platz des Altars und dem Waschbrunnen der Priester als der am besten erhaltene sabäische Tempel, was uns über die Eisenstangen hinwegtröstet.