Ein niedriger Tunnel verbindet die Welterlöserkirche mit der Marienkirche oder auch Bete Maryam. Dort angekommen, fallen uns die Wasserbecken auf, in denen eine Entengrütze schwimmt. Sie machen die Marienkirche zur beliebtesten Kirche bei den Äthiopiern.
In der Marienkirche werden besonders beim Timkat-Fest Taufen durchgeführt. Eines davon ist das Fruchtbarkeitsbecken. Frauen, die kinderlos bleiben, setzen sich während einer religiösen Zeremonie in das Becken und hoffen, auf diese Weise fruchtbar zu werden.
Eindrücke von der Marienkirche in Lalibela, Aufnahmen aus dem Innern der Felsenkirche mit der kunstvoll gestalteten Decke und einem Priester beim Gebet.
Anders als die Welterlöserkirche Medhane Alem ist die Bete Maryam nicht von einem Säulengang umgeben. Sie wirkt damit wie ein Klotz, der mit einigen schlichten Reliefs verziert wurde. Dafür überrascht der Innenraum. Durch zwei Säulenreihen ist sie in drei Kirchenschiffe eingeteilt.
Die Säulen sind durch bunt verzierte Bögen miteinander verbunden. Die Ornamente sind zum Teil gemalt. Andere wurden in den Stein gemeißelt. Neben christlichen Motiven mit Heiligen finden wir Davidssterne und orientalisch anmutende Muster.
Vor dem Allerheiligsten der Bete Maryam sitzt ein Priester, der unentwegt aus seiner »Bibel« vorliest. Trotz des Trubels um ihn herum wirkt er ruhig und konzentriert. Wir gehen weiter und besuchen als Nächstes die weniger auffallenden Nebenkirchen der Marienkirche. In der winzigen Kreuzkapelle, Bete Maskal, lassen sich Pilger von einem Priester durch ein axumitisches Kreuz segnen. Auch die Jungfrauenkapelle ist recht klein und wirkt unfertig. Wie bei der Marienkirche sind die Pfeiler mit Bogen verbunden. Allerdings fehlt jede Art an Verzierung. Dafür zeigt uns der Priester stolz sein großes axumitisches Kreuz.
Inzwischen weihnachtet es sehr. Das Gennafest, wie es hier genannt wird, nehmen die äthiopisch-orthodoxen Christen gerne zum Anlass für eine Pilgerreise. Dabei sind die Menschen zum Teil schon wochenlang unterwegs, bevor sie Lalibela erreichen. Weihnachten wird auch hier als Fest der Besinnung begangen. Zugleich ist es aber auch die Zeit, Buße zu tun und Sünden abzulegen.
Dazu gehört, sich bei Gott zu bedanken und an den Prozessionen und Gottesdiensten teilzuhaben. Die Priester tragen dann die Tabots, die Nachbildungen der Zehn Gebote, um die Kirchen, während sie von brennenden Kerzen in den Händen der Gläubigen begleitet werden. Dabei ist das Fest in Lalibela besonders prachtvoll. Immerhin fallen die Geburt Christi und des Königs Lalibela auf denselben Tag.
Wir können beobachten, wie die Menschenmenge stündlich anwächst. In den schmalen Gängen zwischen den Kirchen kommen uns ganze Scharen von Pilgern lachend und singend entgegen. Das Bild bietet einen krassen Unterschied zu Wallfahrtsorten wie Santiago de Compostela. Erschöpft und müde sitzen oder liegen die Menschen unter den Bäumen. Anders als in Santiago hat hier nicht jeder Pilger sein Bettchen. Die Hotelbetten von Lalibela bleiben hauptsächlich den Touristen vorbehalten.
Während die Reisenden auf dem Jakobsweg oft wegen der heruntergekommenen Pilgerunterkünfte jammern, übernachten die äthiopisch-orthodoxen Christen schlicht im Freien – und das auf gut 2500 Meter über dem Meer. Die bunten Decken, die sie nachts vor der Kälte schützen, wickeln sie tagsüber einfach als Kleidung um den Körper. Dazu tragen die meisten noch weiße Tücher, die sie festlich umhängen.
Die Stimmung ist fantastisch. Es ist deutlich zu spüren, dass Genna auch ein Fest der Freude ist. Die Pilger sind glücklich, den langen Weg hinter sich zu haben und hier sein zu können. In dieser ausgelassenen und zugleich friedvollen Atmosphäre ist es dann auch ein Leichtes, zu fotografieren oder zu filmen. So sind wir doch froh, die Gebühr für unseren Camcorder gezahlt zu haben und einen Teil unserer ganz eigenen Erlebnisse einfangen zu können.