Heute besuchen wir die Iban, eine indigene Ethnie auf Borneo. Es ist schon lange Zeit her, da waren die Iban bekannt und gefürchtet wegen ihrer Piraterie. Als nettes Nebenprodukt der Raubzüge brachten sie die Schädel ihrer getöteten Feinde mit nach Hause.
Das Ritual der Kopfjagd war vor allem von religiöser Bedeutung. Beim Bau eines Langhauses, bei der Heirat oder zur Trauerphase nach dem Tod, war schlichtweg ein neuer Trophäenschädel erwünscht.
Die traditionelle Kopfjagd begann bereits vor dem 16. Jahrhundert und begrenzte sich auf Raubfahrten in den nahen Flusssystemen. Die spätere Piraterie folgte auf das Sesshaft werden einzelner Iban-Gemeinschaften. Für die regelmäßige Lieferung neuer Köpfe waren Kopfjäger dazu gezwungen, in weit entfernte Gebiete vorzudringen.
Mit der Piraterie kamen sie dann irgendwann in Konflikt mit den europäischen Kolonialmächten, die wenig Begeisterung für das spezielle Ritual empfanden. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Doch das Volk der Iban wurden trotz schwerer Kämpfe und spätere Kriege nie ausgelöscht. Geschützt durch den englischen Abenteurer James Brooke konnten sie noch lange Zeit ohne Angst vor Strafe der Kopfjagd nachgehen. Erst nach dem Zeiten Weltkrieg kam das Verbot der Kopfjagd.
Dafür konnten wurde den Iban ein ungestörtes Leben ohne äußere Einflussnahme eingeräumt. Heute leben nur noch wenige Iban ihre traditionelle Lebensweise in den Langhäusern, fernab der Zivilisation. Die jungen Iban haben Zugang zu Schulbildung und sind nur noch zu besonderen Anlässen bei ihren Familien im Langhaus. Doch es gibt sie noch, die Eingeborene Sarawaks, und wer sie besuchen will, muss erst einen längeren Weg über das Wasser auf sich nehmen.
Nachmittags erreichen wir den Bootsanleger am Lemanak-River. Wir scheinen mit dem Wetter Glück zu haben. So lasse ich meine Jacke im Rucksack, während Annette ihre nur anlässt, weil sie einen Sonnenbrand fürchtet. Während wir vorne sitzen und die Landschaft entlang des Flusses genießen, sind unsere Rucksäcke weiter hinten in dem schmalen Boot sicher verstaut. Das viele Grün auf beiden Seiten des Lemanak-Rivers ist einfach toll. Vor allem in den Kurven ergeben sich uns immer wieder schöne Blickwinkel über das braune Wasser, sodass wir auch gerne ein bis zwei Stunden auf dem Fluss verbringen könnten.
Zehn Minuten später fallen ein paar Tropfen auf uns hinab. Okay, ein kurzer, leichter Schauer ist ja nicht so schlimm. Doch dann regnet es richtig. Während Annette ganz froh ist, ihre Jacke bereits an zu haben, ist meine für mich unerreichbar - wie auch der Regenschutz für meine Kamera, sodass ich die Schwimmweste nutzen muss, um die Elektronik vor dem Wasser zu schützen.
Es dauert nicht lange, bis wir einen ausgewachsenen Monsun-Regen vor uns herab prasseln sehen. Einen Augenblick später befinden wir uns auch schon mittendrin. Nur einmal lässt es für ein paar Sekunden nach, sodass mir Nixon (unser Guide) lachend auf die Schulter klopft. Immerhin, das schlimmste scheint überstanden.
Die Atempause währt eine halbe Minute. Es ist eine halbe Minute der Hoffnung, eine halbe Minute des Ausschau halten nach den ersten blauen Flecken am Himmel. Oder auch eine halbe Minute, die viel zu kurz ist, um das zu ertragen, was als nächstes auf uns herabprasselt. Als ich spaßeshalber die Augen schließe, stellt sich mir angesichts des Tiefgangs unseres Bootes eine Frage: Regnet es noch oder sinken wir schon? Nein ehrlich, wäre das Boot gekentert, ich hätte kaum nasser werden können.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den Bootsanleger. Wir sind patschnass! Einzig unsere Rucksäcke sind während der Fahrt auf dem Lemanak trocken geblieben. Aber das soll sich bald ändern. Denn bis zum Iban Langhaus müssen wir gut 100 Meter weit laufen. Das reicht, um den Stoff soweit zu durchtränken, dass auch im Rucksack mehrere Sachen nass werden.
Aber so böse es auch klingt, wir sind gut gelaunt. Wir sind froh, das Ziel für die nächsten zwei Nächte erreicht zu haben und: wir werden trotz des heftigen Regens herzlich empfangen. So läuft uns eine Iban-Frau mit einem großen Hut entgegen, während sie auf einen Gong schlägt und uns anstrahlt. Sie ist trocken.
Im Langhaus angekommen, gilt es zu allererst, die nassen Klamotten loszuwerden. Mensch bin ich froh, dass ich ein (!) Ersatz-T-Shirt mitgenommen habe. Aber gut, schließlich laufen noch andere Männer mit freiem Oberkörper herum. Und die Hose trocknet eh besser, wenn man sie anbehält...
Während wir unser Quartier beziehen, brüht Nixon reichlich Tee auf und stellt in der für Besucher eingerichteten Küche sogar trocken gebliebene Kekse auf den Tisch. Außerdem sehen wir, dass er jede Menge Wasserflaschen für uns mitgenommen hat.
Apropos Wasser: vor der Reise hatte Annette gelesen, dass man genug Wasser mitnehmen sollte, da es bei den Iban auch kein Wasser gebe. Als ich vor Ort nochmals darüber nachdenke, muss ich lachen. Wer hier Durst hat, braucht eigentlich nur hinaus gehen und ganz, ganz kurz den Mund öffnen. Denn für den Regen, der nach unserer Ankunft einsetzt, fehlen mir die Worte. Es ist schier der Wahnsinn, was es hier während des Monsuns runterprasseln kann. Selbst von kleinen Dächern schießt das Wasser wie ein Sturzbach in die Tiefe. Durch das Wellblechdach ist es höllisch laut - und blickt man nach draußen, schaut man wie durch einen Wasserfall in die trübe Landschaft.
Aber: irgendwann hört es auch wieder auf. So nutzen wir den späten Nachmittag, um uns in der Umgebung des Langhauses umzuschauen. Dadurch, dass alles nass ist, leuchten die Farben. Der Sungai Lemanak sieht trotz des Hochwassers schon wieder viel idyllischer aus und schließlich zeigt sich sogar wieder die Sonne.
Fahrt über den Lemanak River zu den Iban ins Langhaus-Reservat im Staat Sarawak auf Borneo. Aufnahmen vom Monsunregen.
Beim ersten Rundgang durch das Langhaus lernen wir, dass die Töchter bei großen Festen quasi auf dem Dachboden der Wohnungen schlafen müssen. Anschließend wird die Leiter weggezogen, sodass es keinen ungebetenen Herrenbesuch geben kann. Ist eine Beziehung erwünscht oder soll die Familie vergrößert werden, verlässt das Paar hingegen das hellhörige Langhaus und macht es sich in einem Nebenraum des Hühnerstalls gemütlich.
Wohl aber wirken die Iban trotz der immer noch bescheidenen Verhältnisse in den Langhäusern zufrieden und wachsen die Kinder glücklich auf. So eignet sich der gemeinsame, breite Gang vor den Wohnungen wunderbar, um dort herumzutollen oder mit einem Dreirad ein paar Runden zu drehen.
Allzu wild dürfen es die Kleinen jedoch nicht treiben. Denn der Gang wird auch von den Erwachsenen genutzt, um Hüte zu flechten, Netze für den Fischfang zu richten, allerlei Dinge zu reparieren und Kunsthandwerk zu schnitzen, das als Souvenir angeboten wird.
Wer denkt, dass die Iban noch wie Eingeborene in ihre Hütten leben, wird allerdings schnell eines Besseren belehrt. So entdecken wir in der Stube des Häuptlings drei Fernseher. Auch Computer sind hier nicht unbekannt, wie das Notebook der Tochter verrät. Bis spät in die Nacht vor der Glotze hängen, gibt es dennoch nicht. Denn der Generator, der abends den nötigen Strom liefert, wird um etwa 22 Uhr wieder abgestellt. Abgesehen davon ziehen es die meisten Bewohner ohnehin vor, die freie Zeit in geselliger Runde zu verbringen.
Am ersten Abend erleben wir eine Überraschung. Anstelle des erwarteten kargen Essens bereitet Nixon jede Menge Sachen für uns zu. Hühnchen, Schwein, Reis, mehrere Arten Gemüse und auch frittierte Bananen stehen auf dem Speiseplan fürs Abendessen. Damit alles rechtzeitig fertig wird, helfen mehrere Frauen in der Küche und schälen nach seiner Anweisung das Gemüse. Als Dessert gibt es unter anderem Papaya. »Ich koche sehr gerne«, erklärt er. Außerdem habe er bei unserem Veranstalter für solche Sachen ein deutlich besseres Budget als andere. Na, das hören wir doch gerne!
Die Menge Essen, die uns aufgetischt wird, hat aber noch einen zweiten Grund. So können wir uns zwar nehmen, so viel wir wollen, später aber setzen sich noch andere Leute - nicht nur Nixon und unser Fahrer - an den Tisch. So wird in mehreren Schichten gegessen und ab und zu geschaut, was nachgelegt werden muss, damit jeder satt wird.
Genauso üppig sieht das Frühstück am nächsten Morgen aus. Rührei, Butter, Heinz Marmelade – wir kannten bis dahin nur Heinz Ketch-up – und abermals frittierte Bananen hatten wir mitten im Dschungel nicht erwartet. Vor der ersten Nacht und dem ersten Morgen aber werden wir erst einmal offiziell Willkommen geheißen.
Im Mittelpunkt der Begrüßung steht der Willkommenstanz. Eigentlich ist es ein Hochzeitstanz, der - wenn ich den Häuptling richtig verstanden habe - erst nach der Hochzeit von dem Paar getanzt wird. Ihre anmutigen Bewegungen sollen ihm dabei zeigen, dass es überhaupt keinen Sinn macht, sich noch nach anderen Frauen umzuschauen.
Denn sie ist ohnehin die Beste und sein Herz will keine andere mehr verlangen. Sein eher kriegerischer Tanz soll ihr im Gegenzug zeigen, dass er mit der Waffe umzugehen weiß. Er ist ein starker Jäger, dem es nicht schwer fallen wird, seine Familie zu ernähren und auch in gefährlichen Situationen zu beschützen.
Nach dem Willkommenstanz ist es Brauch, die Gastgeschenke an den Häuptling zu übergeben. Viele Urlauber nehmen leider irgendwelche Süßigkeiten mit, die alle paar Tage zwischen den einzelnen Familien (oder Kindern) aufgeteilt werden. Von den Erwachsenen mit deutlich mehr Respekt behandelt werden hingegen Schulhefte und Stifte für die Kinder sowie auch Seife und ähnliche Hygieneartikel. Auf Rat von Nixon haben wir allerdings die daheim gesammelten Parfümproben behalten, da sie nicht für alle Frauen gereicht hätten und wir keinen Zank anstiften wollten.
Rundreise durch Borneo: Eindrücke vom Leben im Langhaus und Willkommenstanz der Iban am Abend.
Anmerkung: Das ursprüngliche Langhaus der Iban, welches wir am Lemanak Fluss besucht haben, ist nach einem Küchenunfall im jahr 2015 abgebrannt. Danach wurde ein neuen Langhaus errichtet, welches moderner ist und damit Gästen mehr Komfort bietet als wir hatten.