Der Neujahrsmorgen beginnt sonnig. Die Sicht von unserem Zimmer auf den Mount Kinabalu ist herrlich und da wir fit sind, hätten wir auch gut schon um sieben Uhr aufbrechen können. Frühstück aber muss sein. Weil dieses im Balsam Buffet Restaurant bereit steht, sollen wir die Koffer mitnehmen, um diese im Hauptgebäude (gegenüber vom Balsam Büffet) deponieren zu können. Andernfalls hätte sich der Start auf den Kinabalu um 20 bis 30 Minuten verzögert.
Um 8:45 Uhr erreichen wir mit dem Bus die Power Station. Sie befindet sich auf 1866 Metern über dem Meer und ist der Ausgangspunkt der meisten Wanderer. Außer unseren eigenen Vorräten haben wir zwei Lunchpakete mit auf den Weg bekommen. Diese werden am besten am Rucksack befestigt, sodass die Hände frei bleiben. Damit müssen wir zwar zusätzlichen Ballast hoch auf den Mount Kinabalu schleppen. Für den ersten Teil des Aufstiegs braucht man diesen aber auch. Schließlich befindet sich das Tagesziel, das Laban Rata Resthouse, auf etwa 3300 Metern über dem Meer.
Zunächst aber führt der Weg ein gutes Stück bergab. Vielleicht 30 oder 40 Höhenmeter verlieren wir, bis wir den Carson Wasserfall erreichen. Erst danach geht es wieder bergauf - allerdings nur noch bergauf. Auch wenn sich das erste Stück noch relativ leicht anfühlt, laufen wir bewusst langsam. Dies hat zwei Gründe: zum einen wollen wir nicht riskieren, dass uns ein zu hohes Tempo die Kondition raubt. Zum anderen braucht der Körper genügend Zeit, um sich auf die weiter oben herrschenden Bedingungen einzustellen.
Um 9:17 Uhr passieren wir Pondok Kandis, den ersten Rastplatz nach der Power Station. Zwei Gruppen, die uns auf den ersten Metern sehr flott überholt hatten, sind damit wieder hinter uns. Beide Gruppen werden das Laban Rata Resthouse ein bis zwei Stunden nach uns erreichen. Das bestätigt uns noch einmal darin, den Aufstieg besser in einem gemächlichen, dafür stetigen Tempo anzugehen. Damit dies jeder frei selber wählen kann, laufen die Guides übrigens die meiste Zeit hinter einem.
9:35 Uhr passieren wir die Schutzhütte Ubah und gleich danach die Entfernungsmarke 1,5 km (ab der Power Station). Damit haben wir die ersten 300 Höhenmeter geschafft. Wieder bleiben ein paar Wanderer hinter uns zurück, während andere an uns vorbeiziehen. Wir halten unser Tempo und steigen gemächlich weiter bergauf. Um 9:55 Uhr passieren wir die 2-km-Marke (2252 m über dem Meer). Beim dritten Rastplatz, der Low´s-Schutzhütte, legen dann auch wir die erste kurze Pause ein.
Wer Hörnchen beobachten will, hat es bei den Schutzhütten leicht. Denn die flinken Tiere haben längst herausgefunden, dass die Wanderer immer einiges von ihrem Proviant liegen lassen oder ihnen sogar direkt zuwerfen. So dauert keine Minute, bis sich die ersten Hörnchen in unsere Nähe trauen und den Boden nach essbaren Krümeln absuchen. Inzwischen sind Wolken aufgezogen und beginnt es regnen. Auch wenn zunächst nur ein paar Tropfen fallen, empfiehlt unser Guide, Joseph, die Regenjacken anzuziehen und die Kamera gut zu schützen. Denn am Mount Kinabalu kann aus einem leichten Nieselregen schnell ein heftiger Schauer werden.
Leider behält er recht, sodass wir der nächste Abschnitt ein recht nasser wird und wir aufpassen müssen, um nicht auf den Holztreppen und -stufen auszurutschen. Nachdem wir die 2,5-km-Marke (10:23 Uhr bei 2350 m) und 3-km-Marke (10:39 Uhr, 2455 m) passiert haben, erreichen wir kurz vor 11 Uhr die Mempening-Schutzhütte unterhalb von Layang Layang. Wie die meisten Wanderer legen wir hier unsere Mittagspause ein. Zum Glück erweist sich das Lunchpaket als brauchbar. Neben je zwei gekochten Eiern beinhaltet es ein paar Brote, einen Apfel und eine Flasche Wasser.
Obwohl wir uns Zeit gelassen haben, spürt Annette den Aufstieg bis zur Mempening-Schutzhütte schon ganz schön in den Beinen. Mit anderen Worten: sie ist völlig kaputt und geschafft, baut sich dann aber an einer anderen Deutschen auf, die noch viel kaputterer ist als sie. Später (ab Layang Layang) erbarmt sich der Mann der anderen und schleppt ihren Rucksack zusätzlich zu seinem, was Annette niemals von mir erwarten oder verlangen würde. Viertel nach 11 nehmen wir die nächste Etappe in Angriff. Zum Glück hat der Regen nachgelassen, sodass wir die Jacken öffnen und Kapuze abnehmen können. Auf Höhe der 3,5-km-Marke (11:28 Uhr, 2634 m) scheint sogar wieder die Sonne, sodass wir uns ganz auf den weiteren Aufstieg bis nach Layang Layang konzentrieren können.
11:46 Uhr erreichen wir das Carson´s Camp und die Layang Layang-Schutzhütte (2702 m), wo wir unsere dritte Pause einlegen. Blicken wir zurück, können wir stolz sein. Denn gut 850 Höhenmeter liegen hier bereits hinter uns. Schauen wir nach oben, warten allerdings noch 600 Höhenmeter auf uns, bis wir das Tagesziel erreicht haben.
Kurz nachdem wir die 4-km-Marke (12:11 Uhr, 2745 m) passiert haben, zweigt ein Pfad nach rechts zum Mesilau Nature Resort ab. Dieser Weg ist vor allem bei Pflanzen- und Tierliebhabern beliebt. Wir jedoch laufen weiter geradeaus und damit schnurstracks hinauf auf den Mount Kinabalu. Wer noch genug Kraft hat, um sich an der Natur zu erfreuen,
wird feststellen, dass die Bäume in dieser Höhe längst nicht mehr so groß wie in den tiefer gelegenen Wäldern des Kinabalu werden. Die Baumfarne sind ganz verschwunden. An ihre Stelle sind niedrige Büsche und Rhododendren getreten. Auch Orchideen mit winzigen Blüten sind in der oberen Bergregion zu finden.
Die letzten zwei Kilometer bis zum Laban Rata Resthouse haben es in sich. So müssen wir immer wieder kurz innehalten, um unsere Kräfte zu schonen. Als wir um 12:43 Uhr die 4,5-km-Marke bei knapp 2900 Meter über dem Meer passieren, spüren wir längst, dass die Luft hier oben dünner ist.
So bin auch ich froh, dass wir bei der Schutzhütte Pondiosa nochmals eine Weile verschnaufen, eh wir um 13:19 Uhr in die Region oberhalb von 3000 Metern über dem Meer kommen. Dennoch: die letzten 300 Höhenmeter (zwischen Kilometer 5 und 6) gehen ziemlich an die Substanz.
14:30 Uhr: endlich haben wir das Laban Rata Resthouse erreicht, rund anderthalb Stunden später als wir ursprünglich gedacht hatten. Wir sind erschöpft und wir haben leichte Kopfschmerzen. In dieser Höhe ist das normal. Im Gegensatz zu anderen Bergsteigern, welche das Resthouse vor uns erreicht haben, aber geht es uns gut. So reichen zwei Kopfschmerztabletten mit Cola, damit wir uns schon bald deutlich besser fühlen.
Unser Zimmer besteht aus zwei Doppelstockbetten. Leider funktioniert die Stromversorgung vom Laban Rata Resthouse nur schlecht, weshalb die Heizung abgestellt und die Steckdosen zugeklebt sind. Insgesamt aber macht das Gebäude einen besseren Eindruck, als wir befürchtet hatten. So ist der Speise- und Aufenthaltsraum zwar einfach, aber ansprechend eingerichtet. Das Büfett ist sogar besser als im Bako Nationalpark. Wer sich erfrischen will, empfehlen wir einen Sprung unter die Dusche. Sie wird von Bergwasser gespeist, das sich eiskalt anfühlt.
Die Arme, Beine und den Kopf (!!!) unter das fließende Wasser zu halten, kann ich noch einigermaßen aushalten. Rücken und Brust aber gehen einfach nicht. Als ich Annette meine Katzenwäsche beichte, lacht sie. Sie hat es genauso gemacht. Als wir uns später mit anderen Bergsteigern unterhalten, stellen wir fest, dass diese Art zu Duschen hier oben ganz normal ist. Allerdings sollte man sein Duschgel oder irgendwelche Tuben unbedingt in eine Tüte einpacken. Andernfalls riskiert man, dass sie sich durch den hier oben viel geringeren Luftdruck öffnen und auslaufen.
Obgleich wir früh ins Bett gehen, bekommen wir kaum ein Auge zu. Zum einen befindet sich unser Zimmer direkt neben dem Waschraum, den die Chinesen bis in den späten Abend für lautstarkes Rotzen nutzen (warum machen die das?), zum anderen müssen wir den Raum mit einem Japaner teilen, der abwechselnd schnarcht und mit den Zähnen knirscht. Um Punkt 2 Uhr klingelt dann der Wecker.
Nach einem leichten Frühstück nehmen wir um 2:30 Uhr den Aufstieg vom Laban Rata Resthouse hinauf auf den Low´s Peak, den höchsten Gipfel des Mount Kinabalu, in Angriff. Es ist dunkel, sodass wir immer nur das kurze Stück Weg sehen, das von unserer Taschenlampe erhellt wird. Solange der Aufstieg über Treppen mit Geländern an beiden Seiten erfolgt, ist dies alles kein wirkliches Problem.
Dann aber enden die Treppen und müssen wir uns an Seilen hinauf hangeln. Abgesehen davon, dass einige Passagen sehr steil sind, haben wir oft keine Ahnung, ob wir uns im sicheren Abstand zur nächsten Kante befinden oder es nur einen, zwei Meter neben uns senkrecht nach unten geht. Zur Beruhigung: die Seile sind so gelegt, dass sie mittig über 20 bis 30 Meter breite Granitplatten führen.
Aufstieg auf den Gipfel des Kinabalu
In der Nacht hat es sich abgekühlt, dafür aber ist der Himmel wolkenlos, sodass wir über uns in ein wahres Lichtermeer unzähliger Sterne blicken können. Dabei gilt: je höher wir kommen, desto mehr Sterne sind zu sehen. Auch Sternschnuppen können wir in der oberen Region des Kinabalu beobachten. Schauen wir zur Ost- oder Westküste von Borneo, können wir außerdem von oben auf zwei Gewitter hinabblicken. Wir sind begeistert und endlich kann ich stolz sagen: »Das war meine Idee!«
Da wir nur einen Rucksack mit dem nötigsten bei uns haben, kommen wir schneller voran als am ersten Tag. Um nicht zu sagen: viel schneller. Aber wer mag schon lange Pause einlegen, wenn es eisig kalt ist, der Wind einem um die Ohren pfeift und auf dem Weg selbst nichts zu sehen ist? Da sich vor uns nur eine Handvoll Wanderer befindet, während unter uns ganze Karawanen den Berg empor steigen, wollen wir außerdem unseren Vorsprung möglichst halten.
Ab etwa 3800 Meter setzen mir der wenige Schlaf, die Kälte und die dünne Luft zu. Immer wieder muss ich einen Schritt zwei-, drei-, viermal setzen, bis ich wieder sicher im Gleichgewicht bin. Vor allem der finale Anstieg vom Joch zwischen dem Low´s Peak und dem St. John´s Peak, dem zweithöchsten Gipfel des Kinabalu, fordert seinen Tribut. 5:07 Uhr aber haben wir es geschafft und unseren ersten 4000er bezwungen. Genau sind wir oben auf dem Low´s Peak satte 4095,2 Meter über dem Meer. Das Ziel, den Gipfel vor Sonnenaufgang zu erreichen, haben wir damit geschafft. Aber was heißt geschafft? Nach den ersten Beweisfotos müssen wir eine Stunde warten, bis es hell wird. Als im Osten Wolken zu sehen sind, welche die Sonne verdecken werden, schlägt Joseph vor, wieder abzusteigen. Das aber kommt natürlich nicht in Frage. Denn auch wenn wir bibbern, wollen wir den Gipfel auf jeden Fall erst verlassen, wenn es hell ist.
Kurz vor halb sieben verlassen wir den Low´s Peak. Für das Warten werden wir beim Abstieg mit strahlendem Sonnenschein und fantastischen Lichtverhältnissen belohnt. Und so anstrengend der Aufstieg in der Nacht auch war, so geht es bergab umso leichter.
Dennoch legen wir viele kurze Pausen ein. Wenn nicht, um uns zu erholen, so doch, um uns an der wunderschönen Landschaft rund um den Mount Kinabalu satt zu sehen. Zugefrorene Pfützen zeigen unterdessen, dass wir mit den eisigen Temperaturen richtig lagen.
Viele Passagen, die uns in der Nacht allein wegen der Wegführung einiges abverlangt hatten, sind bei Tageslicht ganz einfach. Denn da man weite Teile des Wegs überblicken kann, müssen wir uns nur grob am Seil orientieren, können die Route ansonsten aber frei wählen. Nur in den Bereichen, wo wir uns hochziehen mussten, um voranzukommen, greifen wir zum Seil, um sicher über die schräg abfallenden Granitplatten nach unten zu kommen.
Nach etwa einer Stunde ab dem Gipfel erreichen wir bei Sayat Sayat den Checkpoint. Hier werden alle Wanderer verzeichnet, welche den Kinabalu erfolgreich bezwungen haben. Wem hingegen die dünne Luft zu arg zugesetzt hat, sprich: wer unter Höhenkrankheit leidet, wird indessen in eine geschlossene Schutzhütte verfrachtet. Wie viele Bergsteiger dieses Schicksal ereilt, wissen wir nicht. Wohl aber hören wir Stimmen, als wir die Schutzhütte passieren. Später erfahren wir, dass auch wenigstens ein deutsches Paar den Aufstieg abbrechen musste.
Um Punkt 8 Uhr haben wir das letzte Seil geschafft und können die letzten Höhenmeter bequem zum Laban Rata Resthouse hinunter laufen. Oder auch nicht, denn die Treppen bestehen aus sehr hohen Stufen, was ganz schön in die Knie geht. Kurz nach halb neun aber haben wir den ersten Teil des Abstiegs geschafft und können uns über ein gemütliches zweites Frühstück freuen.
Wie beim Aufstieg auf den Kinabalu gilt auch für den Abstieg, dass jeder sein eigenes Tempo frei wählen soll. Eine Einschränkung jedoch gibt es: wer im Laban Rata Resthouse erst nach 10:30 Uhr auscheckt, muss eine zusätzliche Gebühr bezahlen. Überhaupt bemerken wir erst bei der Abreise, wie rau der Umgangston hier oben ist. So steht auf einem Aushang: Das Management ist für jedweden Verlust von persönlichen Gegenständen, Verletzungen, Übelkeit oder Tod während ihres Aufenthalts nicht verantwortlich. Na, das macht doch Mut!
Mit dem guten Gefühl, ein wahres Highlight erlebt zu haben, brechen wir um 9:45 Uhr wieder auf. Bis zur Power Station sind es noch rund sechs Kilometer bzw. fast 1500 Höhenmeter. Zusammen mit den 800 Höhenmeter vom Laban Rata Resthouse hinauf zum Low´s Peak und wieder hinunter ist das eine ganz schöne Belastungsprobe für die Knie und Beine. So machen die an vielen Stellen hohen Stufen Annette - und auch vielen anderen Wanderern - arg zu schaffen.
Um ihr den Abstieg einigermaßen erträglich zu machen, nutzen wir dieses Mal jede Schutzhütte, um den Gelenken viele kurze Erholungsphasen zu geben. Zum Glück ist ein anderes deutsches Paar genauso langsam wie wir, sodass wir uns (und auch die beiden Guides) während des langen Abstiegs unterhalten und von der Strapaze ablenken können. Auch ermöglicht mir der langsame Abstieg, noch einige Fotos in den Abschnitten aufzunehmen, in denen es beim Aufstieg geregnet hatte. Nach 4,5 Stunden aber haben wir es endlich geschafft und können bei der Power Station in den Bus zurück zum Hauptquartier steigen.
Unten werden wir von unserem Reiseleiter (von Borneo Adventure) empfangen. Er weiß bereits, dass wir den Gipfel erreicht haben. Denn als wir ihn nach unserem Zertifikat für den erfolgreichen Aufstieg auf den Mount Kinabalu fragen, gibt er uns lächelnd den Umschlag mit der wirklich sehr schön gestalteten Urkunde. Auch kümmert er sich um unsere Koffer, während wir uns von Joseph verabschieden und anschließend im Balsam Buffet Restaurant zu Mittag essen.
Aufstieg auf den Kinabalu auf 4095 m und Eindrücke vom Laban Rata Resthouse, dem Lager auf 3300 m.
Kinabalu Park - Ein Weltnaturerbe
Hiermit wird bescheinigt, dass Annette und Lars Freudenthal den Low´s Peak, den Gipfel vom Kinabalu (4095,2 m), am 1. Januar 2012 bestiegen haben.
Dieser Berg ist der zentrale Ort im Kinabalu Park, Malaysias erstem Weltnaturerbe, das eine der reichsten Sammlungen der biologischen Vielfalt und atemberaubende Landschaften in Südostasian besitzt.